Mit dem Recruiting-Lebenswelten-Modell
Mal wieder habe ich mir viel Zeit gelassen - zu viel Zeit. Aber hier ist er, mein Blick auf das Werk „Lebenswelt Recruiting“ von Michael Witt. Das vorliegende Buch passt zum Anspruch einer zunehmenden Professionalisierung aller Teilbereiche des Recruitings. So sind mMn bei der Eignungsdiagnostik bereits erste Erfolge z.B. durch Initiativen wie den „Recruiting Rebels“ erkennbar. Woran es fehlt, ist ein Gesamtkonzept des Recruitings. Dies ist umso wichtiger, weil derzeit so oft der Eindruck vermittelt wird, dass mit einem erfolgreichen Recruiting alle Fachkräfte-Probleme bewältigt werden können. Hier wird dann aber auch schnell die Lücke zwischen konkreten Handlungsanforderungen und theoretischen Konzepten sichtbar, auf die das Recruiting bei einer systematischen Weiterentwicklung oder Professionalisierung zurückgreifen kann. Mit seinem Buch kann Micheal Witt einen wichtigen Beitrag zum Schließen dieser Lücke leisten.
Ein von ihm entwickeltes Gesamtkonzept des Recruitings steht im Zentrum des Buches. Es liefert zahlreiche Hinweise, um “dem operativen Recruiting mit all seinen Facetten und seinen in der Praxis erprobten Handlungsweisen einen ebenso strategisch-operativen Handlungsrahmen anzubieten, der ihm organisatorisch-strategisch Rückhalt gibt.“ In diesem Post möchte ich einige Aspekte aus dem Buch herausgreifen, die es mMn Wert sind, zu diskutieren und auch umzusetzen. In insgesamt 6 Kapiteln stellt Michael Witt seine Ideen vor. Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist die Notwendigkeit eines eigenen Organisationsmodells für das Recruiting. Dies entspricht einem anhaltenden Trend im Personalmanagement, denn viele Unternehmen haben in den letzten Jahren die Arbeits- oder Organisationsmodelle ihrer Personalbereiche insgesamt verändert. Im Zentrum seines Buches steht die sogenannte „Recruiting-Lebenswelt“, die sich aus seiner Sicht „aus einem Zusammenspiel vom operationalen Realwerten, in denen Recruiting Anwendung findet, und einem komplettierenden Rahmen, der Sinn und Wissen bereithält“ (S. 14) bildet. Im dritten Kapitel geht er näher auf das Recruiting und die hier relevanten Begriffe und Konzepte ein. Dabei erläutert er auch die Themen Netzwerke und Digitalisierung mit ihren Wirkungen auf das Recruiting. Insbesondere mit seinen Ausführungen zu Kommunikation und Prozessen gelingt es ihm sehr gut, die Leser an aktuelle Fragestellungen des modernen Recruitings heranzuführen. Mit seinen Hinweisen zu den Prozessen des Recruitings macht er ihre Gestaltung möglich. Hier hätte er etwas näher auf agile Organisationsformen eingehen können, weil der Begriff Agiles Recruting seit einiger Zeit gebraucht wird.
Das vierte Kapitel bildet den Kern des vorliegenden Buches, denn hier stellt Michael Witt sein Recruiting-Lebenswelten-Modell (im Folgenden RLM) ausführlich vor. Dabei greift er auch einen großen Teil der aktuellen Entwicklungen auf (Diversity, HR-Analytics, neue Rollen, Einbindung von Führungskräften) und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf grundlegende Inhalte und Anwendungsziele seines RLM (S. 84f.). Dazu gehören die
- Verbindung von Employer Branding, HR-Marketing und Recruiting
- strukturelle Verankerung des Recruiting als Dienstleistung, um Exzellenz zu erreichen
- Organisation des Recruitings bzw. der Recruiter um unterschiedliche Anforderungen zu berücksichtigen
- Eigenorganisation des Recruitings um „schnell, flexibel und kundenzentiert zu agieren“ sowie
- die systematische Verankerung der Weiterentwicklung der Recruiter und des Recruitings
Mit seinem Recruiting-Lebenswelten-Modell stellt er einen Ansatz vor, das im Sinne eines Frameworks Recruiting-Organisationen verschiedene konzeptionelle Ordnungselemente anbietet, um damit auf einen erfolgreichen operativen Einsatz des Recruitings vorzubereiten. Ab Seite 88 beschreibt er die vertikale und horizontale Gliederung der RLM. Dazu gehören die Recruiting-Handlungsbebenen mit Makro-, Meso- und Mikroebene sowie die Recruiting-Dimensionen Person und Unternehmen. Im Anschluss beschreibt Michael Witt die Formen der Zusammenarbeit innerhalb seines RLM und differenziert dabei zwischen Recruiting Management-, Konzept- und Methodenebene. Damit wird eine zielgerichtete Gestaltung des Recruitings bzw. die systematische Umsetzung des RLM möglich. Wie diese erfolgen kann, beschreibt er in den nächsten Abschnitten detailliert bis hin zu konkreten Maßnahmen ausführlich. Durch Verweise auf Integration von Veränderungskonzepten, wie z.b. der Lernenden Organisation, gibt Michel Witt auch Informationen auf mögliche Veränderungen und Innovationen im RLM. Letztlich kann das RLM als komplexes Recruiting-orientiertes Operating und Service Delivery Modell verstanden werden. Eine gute Viualisierung dazu findet sich auf Seite 177 des Buches.
Das RLM als Blueprint für Recruiting Transformationen herangezogen werden, denn es erlaubt ein strukturiertes Vorgehen und kann Transparenz bei Aufgaben und Zielen einer Recruiting-Reorganisation schaffen. Abgeschlossen wird das Werk mit einem Glossar wichtiger Begriffe.
Hervorzuheben ist, dass Michael Witt viele aktuelle Konzepte der Organsationswissenschaft, wie Prozessorgansiation, strategischen Management, Agile Konzepte und Ambidextrie auf das Recruiting anwendet. Dadurch gelingt es ihm, viele dieser Management- und Organisationsfragen im Sinne ihrer Möglichkeiten für die Professionalisierung des Recruitings zu thematisieren. Damit zählt er zu der wenigen, die den Mut aufbringen, einen Bereich zu betrachten, der vielerorts vor allem durch die Alltagserfahrungen und kurzfristige Anforderungen geprägt ist. Ich bin sicher, dass seine Überlegungen und deren Umsetzung zur notwendigen Professionalisierung des Recruitings beitragen können.