Gespräch mit Simone Lis zur Notwendigkeit und den Besonderheiten digitaler Gewandtheit
Wieder einmal entstand die Idee zu einem Interview online. Den Kontakt mit Simone Lis habe ich im Rahmen von Diskussionen zu einem Blogpost zum Thema Digital Fluency im Juni 2021 via LinkedIn aufgenommen. Sie lebt und arbeitet in Los Angeles und ist weithin als Community-Builderin bekannt. Mit Digital Fluency bearbeitet sie ein Thema, das für den Erfolg der digitalen Transformation von entscheidender Bedeutung ist. Für mich ist Digital Fluency oder sind digitale Kompetenzen insbesondere bei Führungskräften unverzichtbare Voraussetzung für künftige Führungserfolge.
In diesem Sinne hat mich die Kontaktaufnahme von Simone gefreut, denn ich denke, dass sie meinen Lesern und Leserinnen Einblicke in eine neue Art der Vermittlung digitaler Kompetenzen verschaffen kann. Mit ihrem Community-Ansatz geht sie dabei einen eher ungewöhnlichen aber mMn Erfolg versprechenden Weg. Ich freue mich sehr, dass ich Simone als Interviewgast im Leipziger HRM-Blog begrüßen kann.
Peter: Vielen Dank bereits an dieser Stelle dafür, dass ich Dir einige Fragen zu Deiner Sichtweise und Deinen Aktivitäten im Bereich der Vermittlung digitaler Kompetenzen stellen kann. In einem Interview mit Shirley Sheffer habe ich in diesem Zusammenhang erstmals den Begriff Digital Fluency benutzt und im Sinne digitaler Kompetenzen interpretiert. Wie ich verstanden habe, interpretierst Du Digital Fluency als Denkweise. Könntest Du hier bitte Dein Verständnis des Begriffes erläutern?
Simone: Ich war schon immer fasziniert von der treibenden Kraft neuer Technologien. Diese Faszination wurde noch stärker als ich vor über 10 Jahren mit einem Koffer und einer Idee in San Francisco gelandet bin. Dort war ich plötzlich von so vielen großartigen Innovatoren umgeben, wie beispielsweise den Gründern von Airbnb, die unsere Zukunft neu erfinden. Wenn Du jeden Tag von Menschen umgeben bist, die unsere Welt aktiv zum Besseren gestalten wollen, dann fängst du plötzlich auch an Technologien besser verstehen zu wollen und zu nutzen. Du siehst die großen Herausforderungen dieser Welt und versuchst mit kreativen Wegen eine Lösung für diese Probleme zu finden. Ich nenne das Digital Fluency, eine Denkweise die jeder erlernen kann. Mittlerweile muss man hierfür auch nicht mehr extra nach Silicon Valley reisen, sondern kann das bequem von Zuhause aus trainieren.
Peter: Bei der Vermittlung von Digital Fluency gehst Du einen neuen Weg. Wie bringst Du Digital Fluency und Community-Building zusammen? Was verbirgt sich hinter dem MatchlabN Approach?
Simone: In den letzten Jahren konnte ich verstärkt beobachtet, dass die Geschwindigkeit der Entwicklung und Einführung neuer Technologien extrem zugenommen hat und neben dem Silicon Valley viele weitere Startup-Hotspots in der ganzen Welt entstanden sind. Um wirklich zu verstehen, in welche Richtung sich unsere Welt in Sachen Technologien entwickelt, müsste man eigentlich kontinuierlich um die ganze Welt reisen. Dies ist natürlich aus Kosten-, Zeit- und Nachhaltigkeits-Gründen nicht möglich. Zudem denke ich sehr viel über Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit am Arbeitsplatz nach. Ich hatte mich damals gefragt, ob der digitale Mindset im Unternehmen wirklich vorangetrieben werden kann, wenn nur das Top-Management Zugang zu meinen Leadership-Programmen in Silicon Valley hat. So ist bereits Ende 2019 die Idee eines community-getriebenen Konzeptes entstanden, das virtuell Mitglieder aus verschiedenen Hierarchieebenen und Unternehmen in einem Netzwerk zusammenbringt und mit Innovatoren aus der ganzen Welt verbindet. Das Ziel ist es, jeden Einzelnen in einen Innovations-Agenten zu transformieren. Durch kollektive Intelligenz entsteht praxisrelevanter Content, der tagesaktuell ist und mit der rasanten Geschwindigkeit der Technologien mithalten kann. Als die Pandemie uns allen über Nacht bewiesen hat, dass virtuelles Arbeiten funktioniert, war der perfekte Zeitpunkt gekommen, um MatchlabN zu launchen.
Peter: Mit diesem Ansatz soll auch die Kultur der Gleichberechtigung am Arbeitsplatz erreicht werden. Wie kann ich mir dies vorstellen?
Simone: Das Besondere an Digital Fluency ist, dass es nicht vom Alter oder einem Business-Titel abhängig ist. Ein Werkstudent*in kann durchaus ein höheres Level haben als seine Vorgesetzten. Zudem können diese Innovations-Agenten in allen Abteilungen zu finden sein. Führungskräfte und HR müssen daher neue Wege gehen, diese oftmals versteckten Talente im Unternehmen zu suchen und sie anschliessend zu fördern. Da Digital Fluency eine neue Denkweise ist, die neben der digitalen Gewandtheit auch einzigartige, menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, kritisches Denken und emotionale Intelligenz miteinander verbindet, sehe ich vor allem bei Frauen, bereits nach kurzer Zeit tolle Erfolge. Die neu gewonnene digitale Kompetenz hilft nicht nur dabei kontinuierlich neue Ideen für den eigenen Arbeitsplatz zu entwickeln, sondern fördert auch die eigene Produktivität und den Aufbau eines weltweiten Netzwerkes. Dies führt bei den Frauen zu mehr Selbstbewusstsein, Sichtbarkeit und Wertschätzung im Unternehmen und oftmals zu einer Beförderung.
Peter: Du bist im Silicon Valley unterwegs. Wie steht es hier um Digital Fluency? Haben die Führungskräfte hier per se eine ausgeprägte digitale Kompetenz oder anders gefragt sind hier alle digital fluent?
Simone: Die meisten Menschen in Silicon Valley sind extrem technologieaffin und haben eine sehr ausgeprägte digitale Kompetenz, was aber nicht zwingend heißt, dass alle Menschen dort digital fluent sind. Digital Fluency ist mehr als nur digital kompetent zu sein. Ein Coder in Silicon Valley mag zum Beispiel eine sehr hohe digitale Kompetenz im Bereich Künstlicher Intelligenz haben, aber wenn es um den Einsatz der Technologie geht, dann fehlt dieser Person eventuell die Kreativität, Empathie oder die richtigen Kontakte, um das Produkt erfolgreich zu machen. Ich spreche in der Community von “Connecting the Dots” - das sind Menschen, die nicht nur Punkte um sich herum sehen, sondern auch außerhalb ihres Blickfeldes und diese anschließend verbinden können.
Peter: Du schreibst, dass die Entwicklung von Digital Fluency wie das Lernen einer Sprache ist. Könntest Du dies etwas näher erläutern?
Simone: Viele haben erkannt, dass Digital Fluency wichtig ist, aber wie kann man es trainieren? Es ist nicht ein Projekt mit einem Ziel, dass man irgendwann einmal erreicht und sich dann auf seinen Lorbeeren ausruhen kann. Es ist ein Mindset, das man ständig trainieren muss. Deswegen mag ich auch den Vergleich mit dem Erlernen einer Sprache, den Jennifer Sparrow, Deputy Chief Information Officer an der Penn State Universität in einem Interview getätigt hat. Um Lesen und Schreiben in einer neuen Sprache zu lernen muss man erstmal seine Vokabeln lernen bevor man diese dann zu Sätzen zusammenfügen kann. Wer diese Stufe erreicht hat, kann anfangen diese Wörter kreativ miteinander zu kombinieren und zu etwas Neuem zusammenzufügen, wie etwa zu einem Gedicht oder eine fliessenden Konversation. Ähnlich kann man dieses Beispiel auch auf Digital Fluency und Technologien übertragen. Zunächst muss man verstehen welche Technologien derzeit auf dem Markt sind, welche Merkmale sie aufweisen und wie sie in der Praxis eingesetzt werden. Hat man diese Stufe erreicht, dann sprechen wir von “Digital Literacy”. Menschen, die digital fluent sind, gehen dann noch einen Schritt weiter. Sie fangen an diese Technologien kreativ miteinander zu kombinieren, um einzigartige Lösungen für ihre Probleme zu finden.
Peter: Was sind aus Deiner Sicht die größten Unterschiede beim Umgang mit digitalen Kompetenzen zwischen Deutschland und den USA?
Simone: Ich beobachte vor allem hier in Kalifornien, dass der technologische Fortschritt als etwas Positives wahrgenommen wird und weniger Ablehnungshaltung vor allem bei der Generation ab 40 herrscht. Viele Ideen werden einfach mal ausprobiert und ständig angepasst. Selbst Schulen haben sich während der Pandemie wie Privatunternehmen innerhalb weniger Wochen zu digitalen Hybrid-Formaten transformiert. Dieser positive Umgang, den sowohl Lehrer als auch Eltern vorleben, hilft Kindern und Teenager bereits früh dabei sich zu "Digital Citizen" zu entwickeln, die einen authentischen und positiven digitalen Fußabdruck im Internet hinterlassen wollen.
Peter: Wie steht es in diesem Kontext um die Social Skills?
Simone: In der Pandemie ist uns schnell bewusst geworden wie wichtig Social Skills sind und wie schnell sie auch beim Remote Arbeiten vergessen werden können. Empathie, aktives Zuhören, Kollaboration und Kommunikation sind Fähigkeiten, die wie Digital Fluency ständig trainiert werden müssen. Hier in Kalifornien fängt das bereits im Kindergarten an. Mindfulness ist als Fach, neben Kreativität und problembasiertes Arbeiten in Teams, fest in den Stundenplan integriert. So werden Kinder gut auf die neuen Job-Anforderungen der Zukunft vorbereitet, denn Social Skills werden immer wichtiger werden. Diese einzigartigen menschlichen Fähigkeiten machen uns im Vergleich zu Robotern und Maschinen unersetzbar.
Peter: Eine Frage zu Deiner persönlichen Entwicklung. Wie bist Du zum Digital Fluency Pioneer geworden?
Simone: Seit über einem Jahrzehnt beschäftige ich mich mit dem Thema, wie Menschen digitaler werden können. Aus der Praxis heraus habe ich innovative Lernkonzepte für Unternehmen, Verbände und Universitäten entwickelt wie etwa den “Innovation Journey” in Silicon Valley. In den letzten Jahren ist zudem verstärkt der Digital Fluency Mindset-Gedanke hinzugekommen und auch die Erkenntnis, dass es vielmehr als Metakompetenz verstanden werden muss. Ich sehe mich selbst als eine "Pionierin", da ich ständig experimentiere, neue Dinge dazu lerne und mich mit anderen Gleichgesinnten austausche. Viele reden darüber, dass "Digital Fluency" der Skill der Zukunft ist, aber wenige beschäftigen sich damit, wie man diese Denkweise in der Praxis erlernen kann oder wie man den Erfolg misst. Zusammen mit der MatchlabN Community versuche ich Antworten auf diese Fragen zu bekommen, um noch mehr Menschen fit für unsere digitale Zukunft zu machen.
Peter: In meinem Umfeld erfahren derzeit die hybride Lösungen einen Hype. Kommt es dadurch zu geänderten Anforderungen an die digitalen Kompetenzen?
Simone: Hybride Lösungen sind mit Sicherheit auch in Zukunft weiter gefragt, denn sie verbinden die Vorteile aus beiden Welten, wenn man sie richtig aufsetzt. Während wir früher die IT-Abteilung angerufen oder Agenturen und Berater für digitale Projekte beauftragt haben, bleibt in Zukunft keine Zeit mehr. Erwartet wird, dass jeder selbst zum Innovations-Agenten in seinem Bereich wird. Neben digitalen Kenntnissen, werden Kommunikation, Kollaboration und emotionale Intelligenz mit Sicherheit an Wichtigkeit zunehmen. Die Herausforderung wird sein, wie man es schafft neben einem Full-Time Job auch noch oben auf der Technologie-Welle mitzuschwimmen.
Peter: Liebe Simone, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche Dir viele und anhaltende Erfolge und sende viele herzliche Grüße über den großen Teich.
Meine Gesprächspartnerin Simone Lis hat an der Universität Regensburg BWL mit Schwerpunkt Innovations- und Technologiemanagement studiert. Vor über 10 Jahren ist die gebürtige Schwäbin mit einem Koffer und einer Idee in San Francisco angekommen. Gegen den guten Rat ihrer Familie hat sie ihre sichere Karriere in Deutschland hinter sich gelassen und eine neue Existenz in Kalifornien aufgebaut. Simone bringt deutsche CEOs ins Silicon Valley, um sie dort mit innovativen Unternehmen und Start-ups zu vernetzen. In der Pandemie hat sie zusätzlich das community-getriebene Netzwerk MatchlabN aufgebaut, in dem sie - beginnend mit einer Masterclass - einzigartige, menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, kritisches Denken, emotionale Intelligenz sowie digitale Gewandtheit entwickelt - oder wie sie es nennt: Digital Fluency. Derzeit skaliert sie weltweit und möchte vor allem Frauen in Unternehmen begeistern, mit ihr zusammen Digital Fluency gezielt zu entwickeln.