- Recap 1 zur Kurzkonferenz am 23. März 2023
Zuweilen nerven mich die laufenden Diskussionen über Homeoffice, hybride Arbeit und Workation etc. Auch wird viel zu oft über die Möglichkeiten von „New Work“ gesprochen. Dabei gibt es viele Mitarbeiter/innen, die gar nicht die Möglichkeit haben, auf viele dieser derzeit massiv gehypten Lösungen und Angebote zurückzugreifen. In der Konsequenz hat sich mittlerweile in vielen Bereichen eine Art „Zweiklassengesellschaft“ gebildet. Auf der einen Seite stehen die Mitarbeitergruppen, die auf vielfältige Flexibilisierungsoptionen zurückgreifen können. Auf der anderen Seiten befinden sich Mitarbeitergruppen, denen diese Optionen nicht zur Verfügung stehen. Es ist meiner Meinung nach unabdingbar über neue Möglichkeiten der Flexibilisierung für die sogenannten Deskless Worker zu diskutieren. Im Rahmen dieser Diskussionen sollte ein modernes Personalmanagement gleichermaßen als Lieferant innovativer Ideen und als Treiber bei deren Umsetzung agieren. Dies auch im eigenen Interesse, denn aus neuen Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeit bei den Deskless Workern erwachsen Chancen für die Gewinnung neuer Mitarbeiter/innen und die nachhaltige Bindung der vorhandenen Mitarbeiter.
Lösungen und Ideen zur Flexibilisierung der Arbeit für diese Mitarbeitergruppen standen im Mittelpunkt einer „Kurzkonferenz“ am 23. März 2023 in Leipzig. Damit konnte ich rückblickend auf meine beruflichen Erfahrungen ein Herzensprojekt realisieren. Die Relevanz der Diskussionen zu dieser Thematik unterstreicht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass je nach Betrachtung über 70% der Arbeitnehmer/innen in Deutschland zu dieser Zielgruppe gezählt werden können. Von den 10 beschäftigungsstärksten Engpassberufen zählen allein 8 zu den Blue-Collar-Berufen. Um hier ein breites Spektrum an Ideen zu präsentieren, wurden Impulsgeber mit unterschiedlichen Erfahrungen einbezogen. So konnte ein breites Spektrum an Ideen von der Mitarbeiterbefragung über die Rekrutierung, Arbeitszeitgestaltung, den Einsatz digitaler Kommunikationsmittel bis hin zum Lernen im Bereich Blue-Collar-Worker präsentiert und diskutiert werden.
Ausgangspunkt der Diskussionen waren Erkenntnisse, die kennzeichnend für viele Arbeitgeber mit Blue Collar-Workern sind. So haben viele Arbeitgeber ein falsches Bild der Erwartungen ihrer Blue Collar-Mitarbeiter. Deren Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung steht viel zu selten im Mittelpunkt der Gestaltung der Arbeitsbedingungen (McKinsey). Auch ist erkennbar, dass ein hoher Anteil an Deskless Workern offensichtlich die Innovationsfähigkeit der Unternehmen bremst (BCG). Interessant ist der Blick auf Entwicklungen in anderen Ländern. So spricht das Wall Street Journal zur Zeit von einer "Richcession" bei den White-Collar-Berufen und steigenden Entgelten bei den BueCollar-Tätigkeiten.
Zum Beginn der Kurzkonferenz haben Marie Ladner und Daniela Datzer die Meinungen der Deskless Mitarbeiter in den Mittelpunkt gerückt. Marie Ladner verantwortet bei Quinyx den Bereich Marketing (DACH). Quinyx ist eine Firma, die Personaplanungssoftware anbietet, aber seit einigen Jahren mit „The state of Deskless Workforce“ eine der wenigen Studien anbietet, die einen recht guten Überblick zu den Erwartungen der Deskless Mitarbeiter vermittelt. Zu diesen Erwartungen zählen der Wunsch nach mehr Flexibilität und Wertschätzung, nach besserer Kommunikation, nach umfassenden Entwicklungsmöglichkeiten und kompetenten Führungskräften.
Daniela Datzer verantwortet bei functionHR den Bereich Mitarbeiterbefragungen und kann hier auf breite Erfahrungen im Bereich der Blue Collar Mitarbeiter verweisen. Aus ihrer Sicht führt das fehlende Wissen über Mitarbeitende aus dem Blue-Collar-Segment häufig zu unpassenden Lösungen und Inhalten. Sie ging in ihrem Impuls auch auf die besonderen Herausforderungen ein, wie den oft unpassenden One-Size-Fits-All-Ansatz, verwies auf eingeschränkte Erreichbarkeit und die oftmals erschwerten Folgeprozesse bei Deskless Workern, die nicht zuletzt auf die begrenzten Möglichkeiten zur Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in diesem Bereich zurückzuführen sind. Daten aus Mitarbeiterbefragungen können nach Daniela Datzer jedoch dafür genutzt werden, um die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen und somit die Bleibeintention der Mitarbeitenden zu stärken. Eingebettet in eine klare HR Analytics-Strategie ist es nachweisbar möglich, mit Hilfe der Daten aus Mitarbeiterbefragungen fundiertere Entscheidungen zu treffen. Interessant war die sich anschließende Diskussion zum Verhältnis von Mitarbeiterbefragung und -gespräch. Beides gehört zusammen und sollte unverzichtbar sein.
Der bekannte Arbeitszeitexperte Guido Zander ließ die Zuhörer wie so oft an seinen breiten Erfahrungen bei Umsetzung flexibler Arbeitszeitlösungen teilhaben. Seine Erfahrungen hat er mit Offenheit und auch sehr pointiert vorgetragen. Er unterstrich, dass es bei Arbeitszeitlösungen für BlueCollar immer auch um eine Verkürzung der Arbeitszeit gehen muss und verwies sowohl auf die notwendige Einbeziehung aller Mitarbeitergruppen als auch den für eine erfolgreiche Arbeitszeitflexibilisierung notwendigen Kulturwandel. Darüber hinaus relativierte er anschaulich die Ergebnisse der derzeit geradezu euphorisch diskutierten UK-Studie zur 4-Tage Arbeitswoche (nur sehr wenige der beteiligten Unternehmen sind überhaupt dem Bereich Fertigung zuzuordnen). Interessant seine abschließende Aussage: "Eine Arbeitszeitverkürzung könnte das Homeoffice für Deskless Worker sein".
Im nächsten Teil des Recaps werde ich auf weitere Impulse der Kurzkonferenz eingehen. Stay tuned!