Ein Gespräch mit Professor Jörg Klukas
Wie so oft passiert es. Ein Thema verschwindet fast aus dem Blickfeld und wird nach einiger Zeit – hier sind es sogar mehrere Jahre – wieder aktuell. Um was geht es? Um Fragen im Zusammenhang mit der Weiterempfehlung von abgelehnten Bewerber_innen an andere Unternehmen. Ich habe den Eindruck, dass dieses Thema aktuell wieder häufiger diskutiert wird und möchte deshalb dazu einige Fragen an meinen Kollegen Professor Jörg Klukas richten, der mit seinem Unternehmen, der pludoni GmbH bzw. der Plattform empfehlungsbund.de seit 2009 diese Geschäftsidee erfolgreich umsetzt. Auch freue ich mich sehr, mit Herrn Professor Klukas einen ausgewiesenen Experten für digitale Personalgewinnung, für dieses Gespräch gewonnen zu haben.
Wald: Bereits an dieser Stelle herzlichen Dank, dass ich Ihnen Fragen zu pludoni und Empfehlungsbund stellen kann. Vornweg aber die Frage, mit welchen Hoffnungen gehen Sie in das Jahr 2021?
Klukas: Ich bin zuversichtlich, dass wir die aktuelle Corona Situation lösen werden und bald wieder betriebliche Normalität herrscht. Und ich denke, Corona hat uns auch zum Umdenken gebracht, ob die ganzen Geschäftsreisen wirklich sein müssen. Meiner Meinung nach waren die meisten überflüssig und schadeten der Umwelt. Mir ist es wichtig, dass das Personalmanagement nachhaltiger wird. Viel zu oft werden Ressourcen einfach verschwendet.
Wald: Dies klingt interessant. Könnten Sie Ihr Unternehmen, die pludoni GmbH, und den Empfehlungsbund etwas näher vorstellen?
Klukas: Wir stärken mit Empfehlungsbund regionale und überregionale Kreisläufe. Am Ende eines jeden Personalgewinnungsprozesses gibt es zwei Ausgänge: Eingestellte oder Botschafter. Jeden Kandidaten, der nicht einstellt wird, muss aus dem Unternehmen raus gehen und sagen „Schade, dass das nicht geklappt hat, das ist ein klasse Unternehmen." 2008 war ich noch ein Leiter Personal in einem großen IT-Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern. Einige Geschäftsführer und Personaler klopften bei mir an und fragten, ob ich meine Absagen an sie weiterleiten könnte. Ich war etwas verdutzt, da ich mich fragte „Was wollen die mit meinem Absagen?“. Ich musste erkennen, dass auch bei uns – trotz aller Mühe die Gütekriterien in der Personalauswahl einzuhalten – Kandidaten vom Tellerrand runterkrümeln. Umso erstaunter war ich, wie viele das sind. Ca. 10% der Absagen sind gute Kandidaten! Bei 100 Bewerbungseingängen, von denen 10 eingestellt werden, sind immer noch 9 gute Kandidaten dabei. Wenn die vor der richtigen Firmentür stehen würden, wäre vielen Firmen geholfen. Außerdem würde man jemanden einstellen, der über das Marketing-Budget einer anderen Firma kommt.
Auf diese Weise schöpfen wir das ausgegebene Marketing-Budget sinnvoller aus. Wir haben im Jahr 2009 mit 17 Firmen angefangen, uns diese Kandidaten zuzuleiten - natürlich ohne Kandidatendatenbank und Datenschutzproblematiken. Heute sind im Empfehlungsbund über 400 Unternehmen aus IT, Maschinenbau, Elektrotechnik, BWL/VWL und Gesundheitsbranche (Pfleger und Ärzte) dabei. Wir haben uns seit der Gründung über 14.000 Kandidaten gegenseitig vermittelt – ohne dass irgendeiner eine Provision dafür zahlen musste. Unsere Ergebnisse machen wir ganz transparent auf www.empfehlungsbund.de/mediadaten.
Wald: Worauf ist aus Ihrer Sicht der Erfolg der Plattform Empfehlungsbund zurückzuführen. Oder anders gefragt, worin besteht das Erfolgsgeheimnis?
Klukas: Das Geheimnis ist, Nachhaltigkeit im Recruiting zu realisieren. Da gibt es verschiedene Gründe, warum das Personalmanagement hier Nachholbedarf hat: Vermeintliche Rankings der besten Marketing-Kanäle führen in die Irre, da diese den wissenschaftlichen Gütekriterien nicht standhalten. Die Personalauswahl ist voller Fehler, weil A die Anforderungen unklar sind, B die dazugehörige Art der Messung in Interviews und Tests (Operationalisierung) nicht funktionieren, sowie C die Kandidaten nicht dahingehend analysiert werden, ob sie woanders Wertschöpfung erreichen. Auf der anderen Seite ist der Stellenmarkt für Jobsuchende so komplex geworden, dass es beinahe eine eigene Weiterbildung braucht, um sich hierin noch zurecht zu finden. Die größte Herausforderung ist, dass wir Unternehmen für uns finden, denen soziales Engagement und Nachhaltigkeit im Recruiting wichtig sind und diese immer wieder zu motivieren, sich richtig für die Community zu engagieren. Wir funktionieren nicht für jedes Unternehmen. Empfehlungsbund ist nur sinnvoll, wenn man eine attraktive Arbeitgebermarke entwickeln will und das an allen Touchpoints mit Kandidaten. Unternehmen, die erkannt haben, dass abgesagte Bewerber sich mit 3-7 Personen im Freundeskreis über ihre Bewerbungserfahrung unterhalten und damit den Arbeitgeber empfehlen oder ruftechnisch vernichten. Bewerber an andere zu empfehlen bedeutet nicht nur, diesem Bewerber wichtige Orientierung im Stellenmarkt zu geben, sondern man kann fest damit rechnen, dass diese Kandidaten Werbung für das Unternehmen machen werden. Empfehlungsbund ist in jeder Hinsicht eine Mitmach-Community. So empfehlen wir uns nicht nur gute Bewerber, sondern auch Azubis/Studenten, die wir nicht übernehmen können, und Mitarbeiter, die wir betriebsbedingt entlassen müssen. Außerdem teilen wir arbeitsmarktrelevante Informationen miteinander.
Wald: Mittlerweile gibt es neben dem Empfehlungsbund noch weitere Plattformen mit Services für Personaler. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang auch an die von Ihnen angebotenen Studien (z.B. kanaleo), um mit Hilfe besonderer Informationen Personaler bei wichtigen Entscheidungen zu unterstützen. Können Sie diese etwas näher vorstellen?
Klukas: Alle Services, die wir entwickeln, stimmen wir Empfehlungsbund-Community-Workshops (EBCW) drei Mal jährlich mit allen Mitgliedern ab. Die Mitglieder geben uns wichtige Impulse, wie wir das Netzwerk optimieren können. Mit 86% Verlängerungsquote sind die meisten Mitglieder sehr lange dabei. Auf diese Weise wurden die Funktionalitäten systematisch erweitert. Es wurden in den letzten 10 Jahren 14 Services entwickelt, die alle den Mitgliedern kostenlos zu Verfügung stehen und die alle per Design zum Community-Gedanken beitragen. So wurde z.B. kanaleo.de entwickelt, welches alle Bewerbungseingänge systematisch nach deren Verhaltensweisen befragt, wie diese zum neuen Arbeitgeber finden. So wissen alle Mitglieder aus mittlerweile 100.000 Bewerberfeedbacks, wie man ganz spezifische regionale Zielgruppen gewinnen kann. Die Einführung von jobwert.info ermöglichte es tatsächlich gezahlte Gehälter zwischen den Mitgliedern anonym zu vergleichen. Mit Faire-Karriere.de bieten wir ein Bewertungsportal, das auf strukturierte Feedbackkultur und Solidarität setzt. Mit Cowork.de ermöglichen wir gezielte Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter Programme über soziale Medien. Über Mittlr.de greifen die Partner auf die Kandidaten-Pools ihrer Lieblingspersonaldienstleister zu. Und mit CandiSearch durchsuchen sie das ganze Web nach passenden Kandidaten zu Ihren Stellenanzeigen. Unser komplexester Service ist das EBMS – ein integriertes vollständiges Bewerbermanagementsystem von Anzeigenoptimierung bis zum On-Boarding. Alles ist in einem Produkt in einer Mitgliedschaft enthalten. Wir führen mit jedem Neumitglied drei Einarbeitungsworkshop durch und in jedem Jahr ein 3-4-stündiges Review. Wichtig ist hier: Es reicht nicht, dass die Mitglieder sehen, dass Empfehlungsbund eine der Hauptzugriffsquellen auf Ihre Karrierewebseite wird – das schaffen wir immer, sondern dass es auch gute Bewerbungen gibt. Und deshalb müssen wir uns den ganzen Prozess anschauen, da die guten Bewerber sehr wählerisch sind!
Wald: Gibt es für die nächste Zeit Pläne für weitere Plattformen oder Änderungen der Leistungsangebote?
Klukas: Ohja, unsere Mitglieder sind sehr fleißig mit Feedback geben und neuen Ideen. Unsere Pipes für Weiterentwicklungen sind sehr voll. Doch wir entscheiden intern sehr hart, was tatsächlich einen Mehrwert bringt. Es müssen sich immer so ca. 10 Mitglieder finden, die ein neues Feature wollen und es rege mitentwickeln in verschiedenen Workshops. Wenn hier keine Resonanz kommt, bleibt das Thema liegen, bis es wieder Liebe bekommt. Manchmal kommen wir auch nicht weiter und lassen das Thema ruhen, bis dann doch mal wieder ein Mitglied kommt und das Ganze mit einem neuen Impuls zum Leben erweckt. Die Services entwickeln sich so ständig weiter, manche davon verändern sich auch komplett, da sie wie ursprünglich geplant nicht mehr funktionieren. So haben wir ein Tool joblytics.de entwickelt, mit dem jeder Personaler seine Stellenanzeigen auf Effizienz messen kann. Wir versuchen zurzeit ein Modell zu entwickeln, dass für jede Stellenanzeige vorhersagt, wie viele Klicks und Bewerbungen es generieren wird. Hier stecken wir aber noch in den Kinderschuhen, auch wenn man es schon jetzt testen kann – live ist es ja in einer Basisvariante. Aber wir sammeln so schnell Feedback.
Wald: Derzeit wird auch zunehmend über intelligente Matching-Technologien aber auch über Themen wie cultural fit gesprochen. Können Sie Ihren Partnern diese oder ähnliche Leistungen anbieten?
Klukas: Davon halte ich nicht viel. Da ich nun auf dem Gebiet der KI mit neuralen Netzwerken und Case-based Reasoning promoviert habe, weiß ich, dass das meiste, was als KI in den Personal-IT-Systemen verkauft wird, nichts mit KI zu tun hat. Das Hauptproblem sind dabei nicht die Algorithmen, sondern die Datenlage. Woran messen wir das Wesen einer Person und woran das Wesen eines Teams? Lebensläufe und Stellenanzeigen scheiden hier aus – die sind beide sehr schlechte Datenquellen. In der Stellenanzeige steht „Sie haben starke kommunikative Fähigkeiten". Was soll das bedeuten? Hier kommt es ganz auf den Arbeitskontext an. In einem Lebenslauf stehen leider so gut wie nie Ergebnisse drin, sondern nur wann, wo man was war. Das sagt gar nichts. „10 Jahre lang Java-Entwickler" kann auch nur bedeuten, er war 10 Jahre lang anwesend. Arbeitszeugnisse sind gefakt, bringen auch nichts. Selbst der Begriff „cultural fit" ist mir zu einseitig. Soll es bedeuten, dass jemand genauso zu sein hat wie die anderen? Oder sollten wir nicht gerade nach Leuten Ausschau halten, die wie ein ergänzendes Puzzleteil passen? Beides hat seine Vor- und Nachteile. Ich glaube man muss anders ran gehen: Wie kann ich mit dieser Person jetzt oder später bei mir oder woanders Geschäft machen? Natürlich gibt es noch Unternehmen, die auf die ein oder andere Stellen ganz viele Bewerbungen erhalten, und richtig sieben müssen. Aber doch nicht mit wirtschaftspsychogisch fragwürdigen Methoden!Hier muss man objektive K.O. Kriterien definieren, welche ganz klar manifest messbar sind. Das können Zertifikate sein, Anzahl Vorträge auf Messen, die Größe eines geführten Teams, Anzahl vertriebsrelevanter Kontakte, Anzahl Neukunden, Umsatz, Prozessreifegrade, Größe des XING-Netzwerkes, Führerschein, etc. Das Subjektive (menschliches Miteinander) ist sehr, sehr wichtig und muss durch intensive Kontakte zwischen Belegschaft und Kandidaten während des Auswahlprozesses und während der STRUKTURIERTEN Probezeit gefunden werden.
Wald: Mit dem Blick auf Ihre Erfahrungen: Wo liegt die Zukunft im Markt der Dienstleistungen im Bereich Personalbeschaffung? Wo sehen Sie Schwerpunkte?
Klukas: Hier würde ich gern zwei Unterscheidungen machen: Die Dienstleister, welche IT-Systeme für das Personalmanagement entwickeln, und die Personalvermittler. Wenn es mit den in einigen Bereichen vorhandenen Fachkräftemangel so weiter geht, werden die internen Recruiter zu Headhuntern für das hoffentlich eigene Unternehmen. Hier ist die Gefahr, wenn der Recruiter das Unternehmen verlässt und zum Headhunter geworden ist, nimmt er ggf. die Kandidaten mit. Die Personalvermittlerbranche wird immer unübersichtlicher, was zu einer großen Herausforderung für den Einkaufsbereich wird. Hier braucht es noch neue Lösungen, wo sich bereits einige Startups damit beschäftigen. Bzgl. IT-Dienstleister wird es sehr bunt – da hier gerade neue Services wie Pilze aus dem Boden schießen. Jeder wittert Geschäft in der Personalbeschaffung. Man sieht das gut an XING – die nun New Work heißen. Die Digitalisierung des Personalwesens hat nicht nur etwas mit vielen Vorgängen im Sinne der Rationalisierung und Automatisierung zu tun, sondern auch für Bequemlichkeit der Mitarbeiter. Die Mitarbeiter werden für alles eine App auf Ihrem Handy erwarten. Samsung nannte sein Smartphone Life-Companion, so übertragen werden die Geräte zu Work-Companions werden. Dabei geht es nicht nur um die ständige Verfügbarkeit und somit die Erhöhung des Belastungspegels, sondern gerade andersherum, dass Mitarbeiter durch Deaktivierung einer App durch sich selbst oder von Seiten des Arbeitgebers! für eine Pause sorgen.
Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses offene Gespräch. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Team weiterhin viele Erfolge.
Klukas: Sehr gerne. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin so viel Erfolg und weitere spannende Themen in Ihrem Blog!
Mein Gesprächspartner Professor Jörg Klukas hat an der Universität TU-Dresden und College des Ingenieures Paris studiert und verfügt über eine lange Berufserfahrung im Personalumfeld - davon ca. 8 Jahre als Leiter Human Resources und Business Excellence bei der T-Systems Multimedia Solutions, jetzt ca. 11 Jahre als Geschäftsführer der pludoni GmbH mit www.Empfehlungsbund.de zur qualifizierten Fachkräfteempfehlung und seit etwa 5 Jahren hauptberuflicher Professor der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement an der FOM Leipzig.