Guido Zander zu seinem Workshop beim HR Innovation Day 2022
Guido Zander gehört zu den gern gesehenen Gesprächspartnern in meinem Blog. Seine Aussagen zum Thema Arbeitszeitmanagement sind immer klar und vor allem offen. Auch seine Sensibilität bei Fragen des Flexibilisierung der Arbeit von Deskless Workern beeindruckt mich immer wieder. Das folgende Gespräch hat zwei Funktionen. Zum einen ist es als Abschluss einer Gesprächsreihe zum NewWorkforce Management bzw. dem innovativen Umgang mit Arbeitszeit zu verstehen. Im ersten Gespräch haben wir uns zum Sinn und Unsinn vollkontinuierlicher Schichtmodelle ausgetauscht und im zweiten Gespräch eine innovative Arbeitszeitlösung mit Gleitzeit und selbstbestimmter Gruppenarbeit diskutiert. Zum anderen ist es ein Gespräch im Vorfeld des diesjährigen HR Innovation Days mit den Partnern, die mich bei diesem Event aktiv unterstützen. Guido Zander wird hier einen Workshop zum Thema „New Work und Arbeitgeberattraktivität auf dem Shopfloor“ anbieten. Bereits an dieser Stelle sage ich herzlich Dank sowohl für die sehr oft gelesenen Interviews als auch für die Unterstützung beim HR Innovation Day am 11. Juni 2022.
Wald: Ich freue mich sehr, dass ich Sie für dieses Gespräch und für den genannten Workshop gewinnen konnte.
Zander: Und ich freue mich, dass ich dabei sein darf. Ich bin schon sehr gespannt, ist ja für mich das erste mal.
Wald: Wir haben noch eine Frage aus unserer Gesprächsrunde offen. Dabei geht es um das Themenfeld Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice im Lichte des bekannten EuGH-Urteils. Häufig wird dies diskutiert aber offensichtlich gibt es hier Unklarheiten.
Zander: In der Tat. Im EuGH-Urteil ist ja davon die Rede, dass die Unternehmen ein transparentes System zur Zeiterfassung vorhalten müssen, um Gesetzesverstöße überprüfbar zu machen. Das hat dazu geführt, dass die meisten das Wort „Zeiterfassung“ wörtlich genommen und mit einer Stechuhr gleichgesetzt haben. Vorbehaltlich der Umsetzung in deutsches Recht gehen die meisten Juristen aber davon aus, dass eine Zeitdokumentation gemeint ist. Und Zeiten können auch vertrauensbasiert durch die Beschäftigten selbst dokumentiert werden, d.h. es ist nicht das viel kolportierte Ende der Vertrauensarbeitszeit, da die Zeiten vertrauensbasiert dokumentiert werden können. Und es gibt auch keine Forderung, ein Zeitkonto zu führen. Vertrauensarbeitszeitsysteme, die aber eigentlich als „Mehrarbeitauszahlungsvermeidungssysteme“ eingeführt wurden, werden aber m.E. unter Druck kommen. Denn wenn die Mitarbeitenden sich ausgenutzt fühlen, werden diese Mehrzeiten gerne dokumentiert werden und dann ist es auch nicht mehr weit, dass die Einführung eines Zeitkontos gefordert wird.
Wald: Wie sollten sich hier die Unternehmen in Zukunft verhalten?
Zander: Ich denke, dass die Unternehmen sich darauf einstellen sollten, dass früher oder später Zeiten in einem System dokumentiert werden müssen. Aber bevor man ein System kauft, sollte man sich darüber klar werden, ob man Zeiten wirklich per Stempeluhr erfassen möchte oder Zeiten „nur“ dokumentieren lassen möchte. Und auch bei der Dokumentation könnte es noch Freiräume geben, nämlich ob man jedes „Kommen“ und „Gehen“ erfasst oder nur das erste „Kommen“ und das letzte „Gehen“ und zusätzlich noch die gearbeitete Zeit innerhalb dieses Rahmens. Denn nicht jedes System kann jeden dieser Prozesse. D.h. erst Anforderungen definieren und erst dann ein geeignetes IT-System kaufen. Wer unsicher ist, dem können wir bei SSZ bei der Entscheidung gerne unterstützen.
Wald: Doch nun zum Workshop beim HR Innovation Day. Hier wird das Thema New Work und der Umgang mit Arbeitszeit und der Einfluss auf die Arbeitgeberattraktivität in den Mittelpunkt gerückt. Was können die Teilnehmerrinnen und Teilnehmer erwarten? Viele werden doch denken, dass bei praktizierter New Work die Arbeitgeberattraktivität automatisch gegeben ist, oder?
Zander: Wir werden im Workshop einen Blick darauf werfen, warum Schichtarbeit im Status Quo so unattraktiv und ehrlich gesagt auch einfallslos ist. Ich werde aufzeigen, was die Voraussetzungen für attraktive Schichtarbeit ist und wie man den Beschäftigten mehr Gestaltungsfreiheit geben kann. Darüber hinaus werde ich ein paar Konzepte für flexible Schichtpläne zeigen, die allgemein nicht so bekannt sind. Sofern Teilnehmer aus Unternehmen dabei sind, die Schichtarbeit praktizieren, können wir - wenn es gewünscht wird - das Schichtsystem eines Teilnehmenden betrachten, bewerten und Optimierungspotenziale aufzeigen. Und was New Work angeht, ich halte es für einen Irrglauben, dass New Work automatisch bedeutet, dass man als Arbeitgeber attraktiv ist, zumal es viele Missverständnisse darüber gibt, was New Work eigentlich ist. Wenn jemand von 9 bis 17 Uhr im Homeoffice am Arbeitsplatz sitzen und erreichbar sein muss, dann ist das eine Verlagerung des Arbeitsortes und noch lange kein New Work und auch nicht zwingend attraktiv. Gerade war z.B. in den Medien, dass Goldman Sachs nun unbegrenzten Urlaub für alle einführt, um sich einen New Work-Touch zu geben. Mich wundert allerdings nicht, dass ausgerechnet Goldman Sachs dieses Konzept verfolgt, da es mit vielen Studien belegt ist, dass die Beschäftigten bei so einer Regelung eher weniger Urlaub nehmen, als wenn sie einen klar definierten Urlaubsanspruch haben. Das ist schon sehr perfide. Also nicht überall, wo New Work drauf steht ist, auch Arbeitgeberattraktivität drin und nicht jedes altes Konzept ist automatisch unattraktiv. Deshalb verwende ich mittlerweile lieber den Begriff Human Work, da kommt es nämlich nicht darauf an, ob es alt oder neu ist, sondern nur, ob es für die Menschen von Vorteil ist.
Wald: Wir haben bei den Gesprächen in den letzten Monaten oft über die Vernachlässigung der Deskless Worker bei Initiativen zur Neugestaltung der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen gesprochen. Woran liegt dies?
Zander: Es ist vergleichsweise einfach in Angestelltenbereichen Home-Office einzuführen, einen nette Kaffeeecke einzurichten und Obstkörbe aufzustellen und selbst eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist relativ einfach, weil sehr oft viel Zeit in unproduktiven Meetings, in der Kaffeeküche etc. verschwendet wird. Und wenn wir ehrlich sind, waren das im Kern die häufigsten Maßnahmen, die unter der New Work-Flagge umgesetzt wurden. Richtige Kulturwechsel mit flachen Hierarchien, dezentraler Verantwortung, Selbstorganisation usw. sind auch hier nach wie vor die Ausnahme. Bei der Deskless Workforce funktioniert das alles nicht so einfach, d.h. die „Fake-New-Work“-Konzepte sind nicht umzusetzen, hier muss man gleich ans Eingemachte und das scheuen die meisten. Und leider hat es auch damit zu tun, dass es Vorbehalte gegenüber der Deskless Workforce gibt: „das kapieren die sowieso nicht“, „die wollen das doch gar nicht“ etc.. Und teilweise ist es einfach Ignoranz, weil die, die es treiben müssten, selber in schicken Büros sitzen und das Problembewusstsein gar nicht da ist.
Wald: Warum scheint es vielen Unternehmen schwer zu fallen in diesen Bereichen innovative Lösungen einzuführen? Trägt dafür immer der Betriebsrat die Verantwortung?
Zander:Nein, da wirken alle gleich mit. Auch Führungskräfte blockieren oft, weil es ja bis jetzt irgendwie immer gut gegangen ist und das Vorstellungsvermögen fehlt, dass man irgendwann evtl. genug Aufträge hat, aber keine Mitarbeitenden mehr, die diese abarbeiten. Dann das Top-Management, das immer noch nicht selten eher mit der „Shareholder Value-Brille“ auf die Themen sieht und zwar Veränderung will, sie darf aber nichts kosten. Und ja, es liegt auch immer wieder an Betriebsräten, die sich unglaublich schwer mit Veränderungen tun. Aber mittlerweile haben wir immer wieder Situationen, wo die Betriebsräte für Veränderungen offener sind als die Arbeitgebervertreter. Und last but not least gilt auch bei den Mitarbeitenden, dass der verhassteste Schichtplan zum heiligen Gral wird, wenn er geändert werden soll… So sehr mir mein Job Spaß macht, manchmal ist es schon echt frustrierend, wenn man weiß, dass Konzepte funktionieren, weil man sie bereits anderweitig umgesetzt hat und bei einem Kunden alle immer nur der Meinung sind, dass das bei Ihnen nicht funktionieren kann…
Wald: Was empfehlen Sie Unternehmen, die sich ernsthaft um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei den Deskless Workern und damit auch der Arbeitgeberattraktivität bemühen? Wo sollen diese starten?
Zander: Mit einer gründlichen Analysephase. Wir machen in unseren Projekten eine 360 Grad-Analyse. Wir machen Workshops mit Führungskräften und Betriebsräten, führen Interviews mit den Mitarbeitenden und analysieren Bedarfs- und Arbeitszeitdaten, damit wir objektiv den Personalbedarf, den Flexibilitätsbedarf und das Arbeitszeitverhalten bewerten können. Über die Datenanalysen ermitteln wir z.B. sogenannte Leerstunden, also Stunden, in denen die Beschäftigten da sind, aber eigentlich nichts zu tun haben. Die entstehen in starren Schichtsystemen fast zwangsläufig. Wenn wir wissen, wie hoch die sind, dann könnten das Spielräume für bezahlte Arbeitszeitverkürzungen sein, die wiederum Voraussetzung für flexible und attraktive Schichtpläne sind. D.h. nach der Analysephase wissen wir genau, wo es hakt, wo man ansetzen kann und welche Veränderungen akzeptanzfähig sind und wo ggf. auch rote Linien bei den einzelnen Stakeholdern existieren. Und dann entwickeln wir iterativ Konzepte und Arbeitszeitsysteme, die wir laufend mit allen Beteiligten abstimmen.
Wald: Über den Workshop hinaus, haben Sie ja auch interessantes Angebot - einen Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in. Welche Rolle spielen dabei Arbeitszeitmodelle für Deskless Worker?
Zander: Der Lehrgang richtet sich an alle, die tiefer in das Thema Arbeitszeitgestaltung, Personaleinsatzplanung und Workforce Management einsteigen wollen und ist thematisch für alle Branchen sowohl für White- als auch Blue Collar geeignet. D.h. von Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice über Zeitkonten und Lebensarbeitszeitsysteme bis hin zu Schichtsystemen und bedarfsorientierter Personaleinsatzplanung und Gruppenarbeit ist alles ein Thema. D.h. wer Lösungen für die Deskless Workforce sucht, wird in dem Lehrgang genug Stoff dafür bekommen.
Wald: Meine Standardfrage zum Schluss. Warum kommen Sie zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Zander: Wer kann schon ablehnen, wenn Sie anfragen? Nein im Ernst, ich glaube, dass das Thema der Arbeitsbedingungen gerade für die Deskless Workforce im HR-Bereich aktuell absolut unterrepräsentiert ist. Bei den meisten HR-Veranstaltungen geht es primär um Recruiting und Employer Branding, weil man ja aufgrund des Fachkräftemangels so viel rekrutieren muss. Was mich wundert ist, wie wenig Zeit gerade auf diesen Veranstaltungen auf Themen verwendet wird, die darauf abzielen, vorhandenen Beschäftigten zu halten. Und das heißt erstmal die Hausaufgaben zu machen und attraktive Arbeitszeit- und Bezahlmodelle zu entwickeln, dann muss man evtl. auch nicht mehr soviel rekrutieren. Und da ich durch unseren laufenden Kontakt weiß, dass Ihnen das Thema auch am Herzen liegt, nutze ich sehr gern die Plattform, die sie bieten. Und außerdem erhoffe ich mir, viele interessante Leute für mein Netzwerk kennenzulernen.
Mein Gesprächspartner und Workshop-Host zum diesjährigen HR Innovation Day Guido Zander hat Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg studiert und ist seit 2005 geschäftsführender Partner der SSZ Beratung. Seit über zwei Jahrzehnten berät er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf Unternehmen und Organisationen verschiedener Größen und Branchen zum innovativen Umgang mit Arbeitszeit und der Personalplanung. Er gilt deutschlandweit als einer der führenden Experten auf dem Gebiet Arbeitszeitmanagement. Sein Buch "NewWorkforce Management - Arbeitszeit human, wirtschaftlich und kundenorientiert gestalten", das er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf geschrieben hat und zu dem ich Ideen sowie ein Vorwort beisteuern konnte ist im April 2021 erschienen und ist regelmäßig in den Top 100-Büchern des Personalmanagements zu finden. Darüber hinaus bietet die SSZ-Beratung in diesem Jahr einen Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in an.