Interviews 2022
Wald: Lieber Herr Grenz, bereits an dieser Stelle ganz herzlichen Dank, dass ich Sie für dieses Gespräch gewinnen konnte.
Grenz: Sehr gerne, die Freude ist ganz meinerseits.
Wald: Die index-Gruppe liefert Stellenmarkt-Daten, die insbesondere für die weitere Professionalisierung der Recruiting-Aktivitäten der Unternehmen von außerordentlicher Bedeutung sind. Könnten Sie Ihr Unternehmen, die Index-Gruppe, kurz vorstellen?
Grenz: Der index Gruppe wurde 1994 gegründet und beschäftigt heute rund 180 Mitarbeitende. Das Kernprodukt ist index Anzeigedaten, die größte Stellenanzeigen-Datenbank Europas. Wir erfassen und analysieren jährlich rund 50 Millionen Stellenanzeigen in 10 europäischen Ländern. Zum einen recherchieren wir mit speziellen Crawler-Programmen die auf Online-Jobbörsen, Firmenwebsites und Stellenportalen der nationalen Arbeitsämter veröffentlichte Jobinserate. Zum anderen erfassen wir auch die in Printmedien geschalteten Stellenausschreibungen. Personaldienstleister finden in unserer Stellenanzeigen-Datenbank index Anzeigendaten mit wenigen Klicks passende Stellen für ihre Kandidaten. Verlage und Jobbörsen bekommen einen guten Überblick über personalsuchende Firmen und können diese gezielt als Anzeigenkunden gewinnen. Somit ist index Anzeigendaten Teil des Vertriebssystems. Ebenfalls zur Unternehmensgruppe gehört index Research. Die Personalmarktforschung analysiert Trends am Arbeits- und Stellenmarkt, den Erfolg von Stellenanzeigen und unternehmensspezifische Fragestellungen im Personalbereich. Hinzu kommt eine auf Employer Branding und Personalmarketing spezialisierte Agentur. Unser jüngster Geschäftsbereich ist der digitale, KI-basierte Outplacement-Service Talent Placement.
Wald: Ich kann hier auch mit einem guten Beispiel zur Nutzung der Stellenmarkt-Daten von index aufwarten. Mithilfe von Informationen aus dem index Recruiting-Report 2022 habe ich Änderungen bei den Recruiting-Schwerpunkten erkennen und umsetzen können. Dies betraf vor allem die nach wie vor stabile Rolle der Stellenbörsen, aber auch die wachsende Bedeutung von Social Media. Diese Erkenntnisse korrespondieren mit eigenen Studien. Meine Frage dazu ist. Welche Schwerpunkte sehen Sie bei der Nutzung der sozialen Medien im Recruiting?
Grenz: Die Ergebnisse des index Recruiting Report 2022, für den wir allein in Deutschland 568 HR-Verantwortliche aus Unternehmen aller Branchen und Größen befragt haben, sprechen eine deutliche Sprache: Für 73 % der Befragten sind die sozialen Medien in der Personalgewinnung mittlerweile genauso wichtig wie die klassischen Jobbörsen. Über 56 % halten Social Recruiting sogar für den wichtigsten Trend im Personalmarketing. Den perfekten Social-Media-Kanal für das Recruiting gibt es nicht. Wie im Personalmarketing allgemein gilt auch bei Social-Media-Recruiting: Arbeitgeber sollten sich auf Kanäle konzentrieren, auf denen die gesuchten Fachkräfte privat unterwegs sind. Bei der Wahl der Plattformen können sie sich unter anderem am Alter und Bildungsstand ihrer Zielgruppe orientieren. Die sogenannten White-Collar-Berufe finden personalsuchende Unternehmen gut auf den Karriereportalen Xing und Linkedin. Über Facebook werden aktuell eher ältere Menschen erreicht, im mittleren Segment kann auf Instagram gesetzt werden. Bei der Suche nach Auszubildenden und anderen Nachwuchskräften unter 35 führt an TikTok kein Weg vorbei. Das Recruiting auf der aufstrebenden Video-Plattform steckt zwar noch in den Kinderschuhen, birgt aber aufgrund der beeindruckenden Nutzerzahlen enormes Potenzial. Ob das ebenfalls gehypte Metaverse zukünftig eine Rolle in der Personalgewinnung spielen wird, bleibt abzuwarten.
Wald: Mit großem Interesse habe ich Ihre letzte Studie gelesen, in der Sie die 10 Top-Soft-Skills in Stellenanzeigen präsentiert haben. Gerade über die sozialen Kompetenzen wird in den Unternehmen, aber auch bei meinen Studierenden, häufig gesprochen. Welche Soft Skills wünschen sich Unternehmen von Bewerbern?
Grenz: Den mit Abstand größten Wert legen Unternehmen auf Teamfähigkeit. Diese Soft Skills stand von Oktober 2021 bis Oktober 2022 im Anforderungsprofil von über 7,3 Millionen Stellenanzeigen. Selbstständigkeit und Kommunikationsfähigkeit nannten Arbeitgeber im selben Zeitraum in rund 5,7 bzw. 4 Millionen Stellenausschreibungen. Fast genauso wichtig war personalsuchenden Firmen Zuverlässigkeit, die in mehr als 3,9 Millionen Jobinseraten genannt wurde. Soft Skills gewinnen gerade wegen der zunehmenden Digitalisierung im Arbeitsleben an Bedeutung. So arbeiten heutzutage beispielsweise bei der Entwicklung und Produktion moderner Technologien Menschen mit ganz unterschiedlichen Qualifikationen zusammen. Oft kommen sie aus verschiedenen Abteilungen, Firmen oder sogar Standorten. In solchen Konstellationen hängt der Erfolg maßgeblich von der Teamfähigkeit und anderen sozialen Kompetenzen der Beteiligten ab.
Wald: Sehr oft tauchen in meinen Lehrveranstaltungen und bei Kontakten mit Praxispartnern Fragen nach den konkreten Marktanteilen der Jobbörsen bei Stellenanzeigen auf. Können Sie dazu Aussagen treffen?
Grenz: Eine Antwort auf diese Frage ist sehr schwer, weil es darauf ankommt, wie man den „Markt“ definiert. Gerade bei digitalen Produkten können Zahlen leicht beeinflusst werden, beispielsweise kann ein reiner Crawler sehr schnell auf eine hohe Anzahl an Stellenanzeigen kommen, während er in der Sichtbarkeit von Stellensuchenden oder als Werbeplattform für zahlende Unternehmen keine Rolle spielt. Hinsichtlich der Sichtbarkeit im Markt, d. h. dem Traffic auf den Stellenanzeigen, können wir keine Aussagen machen. Hinsichtlich der Bruttoumsätze mit der Anzahl an bezahlten Stellenanzeigen schätzen wir, dass auf die etablierten allgemeinen Plattformen wie StepStone, indeed, Monster, Jobware, Stellenanzeigen.de oder MeineStadt rund 40 Prozent der Investitionen in die Anzeigenschaltung im Gesamtmarkt entfallen. Die Umsätze der einzelnen Jobbörsen können aufgrund unterschiedlichster Rabattkonditionen aktuell nicht seriös geschätzt werden, sicherlich liegen hier StepStone und indeed vorne.
Wald: Mit großem Interesse habe ich auch gelesen, dass Sie mit dem Forschungsprojekt ITB-MINT an der Identifikation von Trends und der Prognose von Berufskompetenzen im Bereich MINT beteiligt sind. Gibt es hier bereits erste Ergebnisse?
Grenz: Unsere Zielsetzung war, Prognosen über die Entwicklung von Berufskompetenzen, insbesondere der technologischen IT-Skills, zu erstellen. Hier konnten wir für einen Zeitraum von ca. neun Monaten eine sehr gute Vorhersagegenauigkeit für die Entwicklung von IT-Technologien wie Java, PHP oder Python erreichen. Insbesondere bei neuen, noch nicht so weit verbreiteten Technologien war jedoch die vorhandene Datenbasis – wir hatten uns seinerzeit auf den deutschsprachigen Markt konzentriert – für eine fundierte Prognose über einen längeren Zeitraum noch nicht ausreichend genug. Wir planen daher, diese Arbeiten unter Einbeziehung von Stellenanzeigen aus mehreren Ländern fortzuführen.
Wald: Mich interessieren auch sehr die Ziele der index-Gruppe in den nächsten Jahren? Was können Sie dazu sagen?
Grenz: index versteht sich als B2B-Partner für Personalprofis. Wir möchten unsere Kunden deshalb in den nächsten Jahren noch besser bei ihrer Arbeit unterstützen. Durch Kooperationen mit wissenschaftlichen Forschungsinstituten werden wir unser Vertriebssystem index Anzeigendaten weiter optimieren. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen wollen wir vor allem mit datenbasiertem Employer Branding gezielter als attraktive Arbeitgeber in Szene setzen. Auch bei unserem Outplacement-Service Talent-Placement, der auf der Stellensuche im „verdeckten Arbeitsmarkt“ basiert, haben wir Großes vor.
Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch. Ich freue mich darauf, auch in Zukunft meine Fragen an Sie richten zu dürfen.
Grenz: Ich danke Ihnen, Herr Prof. Wald.
Mein Gesprächspartner Jürgen Grenz ist Gründer und einer von zwei Geschäftsführern der Berliner index-Gruppe.
Wald: Lieber Herr Kröhl, schön, dass ich Sie für dieses Gespräch gewinnen konnte. Könnten Sie sich und Ihr Unternehmen kurz vorstellen?
Kröhl: Mein Name ist Gordon Kröhl. Ich bin Gründer und Geschäftsführer der L&K Beratungs GmbH. Dieses Unternehmen habe ich gemeinsam mit Jan Liebing im Jahr 2018 gegründet. Wir bieten eine Full-Service-Dienstleistung von der Vor-Analyse bis zum Abschluss der Arbeitsverträge mit geeigneten Kandidaten an. Mit fast 20 Mitarbeitern sind wir bei vielen Projekten vor allem für größere Arbeitgeber im Mittelstand und im Konzernverbund erfolgreich. Wir begeistern einerseits immer mehr junge Menschen für Handwerks- oder Bauberufe wie Anlagenmechaniker, Elektriker oder Straßenbauer. Andererseits sorgen wir für gerechte Marktbedingungen und Arbeitsbedingungen für beide Seiten.
Wald: Ihre Schwerpunkte haben Sie nach eigener Aussage in den Bereichen Bauen, Handwerk und Elektrotechnik. Wie ist diese Schwerpunktsetzung entstanden?
Kröhl: Mein Kollege Herr Liebing hat damals dual studiert im Bereich Automatisierungstechnik/Elektrotechnik. Hier liegt der für die technische Affinität zum Thema Handwerk & Industrie. Zudem haben wir das Ausschlussverfahren angewendet indem wir erst einmal nur mit Betrieben aus unserer Region aus allen Branchen zusammengearbeitet haben wie z.B. Steuerberater, Rechtsanwälten, Industrieunternehmen, Fitnessstudios etc. Mit der Zeit haben wir festgestellt, dass die Zusammenarbeit mit der Industrie sowie Handwerks- und Baubetrieben am angenehmsten für uns ist.
Wald: Anhand der Informationen über Sie und die L&K Beratung konnte ich den Eindruck gewinnen, dass Sie viele Dinge anders als die anderen Personalvermittler machen? Können Sie dies vielleicht etwas näher beschreiben?
Kröhl: Für uns geht es nicht nur darum Bewerber zu vermitteln oder einfach nur eine Stelle zu besetzen. Wir bieten unseren Kunden ein ganzheitliches System mit dem Sie kontinuierlich Mitarbeiter gewinnen die auch gehalten werden können. Unsere Kunden sollen zu jeder Zeit bestens Bescheid wissen, welchen Engpass Sie haben: Ist es das Personalmarketing? Ist es das Arbeitsangebot? Oder sogar der Bewerbungsprozess? Daher decken wir alle diese drei Bereiche in der Zusammenarbeit ab, daraus entstehen langfristige und vertrauensvolle Partnerschaften.
Wald: Mir ist klar, dass Sie ausschließlich über Social Media rekrutieren. Viele sagen, dass dies bei Blue-Collar-Jobs nicht funktioniert. Was sagen Sie dazu?
Kröhl: Unsere täglichen Ergebnisse über die letzten fünf Jahre zeigen, dass gerade Social-Media-Kanäle die besten Quellen sind für die Gewinnung von Personal im Blue-Collar-Bereich sind. Ich denke, viele Unternehmen oder Personaler haben es schwer auf Augenhöhe mit den Kandidaten auf diesen Plattformen zu kommunizieren. Es macht hier natürlich keinen Sinn einfach dasselbe zu posten wie auf StepStone, Indeed oder der eigenen Karrierewebsite.
Wald: Ausgangspunkte Ihrer Aktivitäten sind offensichtlich spezifische Social Media Kampagnen an die sich jeweils ein sehr schmaler Bewerbungsprozess anschließt. Dabei setzen Sie stets offensichtlich gezielt Videos ein. Was zeigen Sie in diesen Videos?
Kröhl: In den Videos versuchen wir so genau und authentisch wie möglich einen Einblick in das Unternehmen zu geben. Was arbeiten hier für Menschen? Wie ist die Stimmung? Was verkörpert Unternehmen x? Welche Benefits bekomme ich als zukünftiger Mitarbeiter? Bei den Videos ist es besonders wichtig verschiedene Formate zu nutzen, sprich für gewisse Kanäle wie YouTube oder TikTok benötige ich sehr kurze Videos (10-25 Sekunden). Auf Facebook kann ich es mir erlauben etwas längere Videos zu zeigen (50-80 Sekunden). Der zentrale Punkt der Videos sind immer die Mitarbeiter von den Unternehmen, der Mensch steht im Mittelpunkt. Besonders gut ist es auch, zu zeigen, wo die Bewerbungsgespräche im jeweiligen Unternehmen stattfinden.
Wald: Welche Plattformen eignen sich für die Videos bzw. Ihre Social Ads am besten?
Kröhl: Unserer Erkenntnis nach sind die besten Plattformen Instagram, Facebook und YouTube. Das Kräfteverhältnis kann sich hier natürlich verschieben. Gerade TikTok ist stark im Kommen was die Werbeanzeigen betrifft. Hier sollte man immer die aktuellen Entwicklungen beobachten.
Wald: Was bedeutet es für Sie, auf Augenhöhe mit Bewerbern und Unternehmen zusammenzuarbeiten.
Kröhl: Keiner sollte mehr die Haltung "du willst ja etwas von mir" haben. Ich denke das Allerwichtigste hierfür ist es, dass wir als Menschen gegenseitig die Perspektive des Anderen einnehmen können. Heißt also ich als Arbeitgeber sollte mich fragen: Was ist meinem Bewerber/Mitarbeiter wichtig? Wo möchte er/sie sich langfristig entwickeln? Passt meine Firmenphilosophie überhaupt für diesen Bewerber? Wir sollten in Bewerbungsgesprächen weniger über die Tätigkeit oder das Unternehmen sprechen, sondern viel mehr um die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Menschen. Dadurch kann man sehr schnell einen Grundbaustein für ein gesundes Arbeitsverhältnis schaffen.
Wald: Eine Frage zum Schluss. Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Wie wird es mit der L&K-Beratung weitergehen?
Kröhl: Wir möchten uns noch mehr auf die Unternehmen fokussieren, die dauerhaft wachsen möchten. Selbst möchten wir auch wachsen und uns erweitern. Vor allem eines wollen wir mehr implementieren: Spaß und Freude bei unserer täglichen Arbeit. Es wird viel Schwarzmalerei betrieben was Recruiting angeht und viele verkaufen ihre Leistungen über Angst. Deshalb werden wir ein Rebranding bis Ende des Jahres vollziehen auf REJOY Recruiting. Das Motto "Entspannt wachsen" wollen wir natürlich als erstes bei unseren Bestandskunden umsetzen.
Wald: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Ihnen, lieber Herr Kröhl, und dem L&K Team wünsche ich weiterhin viele Erfolge!
Mein Gesprächspartner Gordon Kröhl hat ein duales Studium bei BodyBalance in Wolfsburg abgeschlossen und absolviert den Studiengang BWL mit Fokus auf Vertrieb bei der EURO-FH Hamburg.
]]>Ein Blick in die Literatur zum Thema „Führung“ lässt die Leserinnen und Leser oft ratlos zurück, denn es existiert eine nahezu unendlich scheinende Anzahl von zum Teil modisch klingenden neuen Führungstheorien und -konzepten. Dabei haben gerade die letzten Jahre eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig Führung und Zusammenarbeit sind.
Mit ihrem Buch „Aktuelle Führungstheorien und -konzepte“ wollen die Autoren für mehr Klarheit sorgen und für das Thema „Führung“ aus wissenschaftlicher Sicht sensibilisieren. In ihrem Buch beleuchten sie die aktuelle Entwicklung der Führungstheorien, vergessen dabei aber auch den Blick auf die Führungspraxis nicht.
Frage: Ein Lehrbuch zum Thema Führung spielt in Wissenschaft und Ausbildung bestimmt eine große Rolle. Richtet sich das von Ihnen vorgelegt Buch auch an die Praktiker in den Unternehmen und Organisationen, die tagtäglich vor der Herausforderung stehen, Mitarbeitende zu führen? Was können diese aus Ihrem Buch entnehmen?
Irma Rybnikova: Zwar richtet sich unser Lehrbuch zunächst an die Hochschulwelt (Lehrende, Studierende), aber wir haben es bewusst für alle Interessierten geschrieben, die zum Thema Führung und Führungstheorien Neues erfahren und lernen möchten. Somit ist das Buch auch für die Praktiker:innen in der Wirtschaft eine inspirierende Lektüre, sofern sie Anregungen suchen, wie bestimmte Konflikt- oder Problemfälle des Alltags eingeordnet und erklärt werden können - bekanntlich ein erster Schritt zur Lösung. Enttäuscht werden hingegen all jene sein, die Rezeptlösungen für tägliche Herausforderungen der Mitarbeiterführung erwarten - das bietet das Lehrbuch ganz sicher nicht. Wir sehen Führungstheorien als unterschiedliche, systematische Sichtweisen auf Führungsprobleme, die jeweils einen eigenen Erklärungs- und manchmal auch Lösungsansatz bieten, und unsere erfahrungsgeleiteten "Alltagstheorien" zur Führung erweitern und ergänzen können. Wie ein roter Faden zieht sich der aus der Führungspraxis übernommene "Fall Mittermayer" durch alle Kapitel des Buches. Indem wir den Fall Mittermayer aus der jeweiligen Führungstheorie heraus betrachten, werden die Führungstheorien gut greifbar und das Praxisbeispiel weitaus facettenreicher als zu Beginn. Auch das Kapitel "Intermezzo" hält ein paar unerwartete Hinweise bereit, die z.B. aus der Tierwelt kommen und frappierende Ähnlichkeiten zur Wirtschaftswelt haben.
Frage: Noch ein Buch zum Thema Führung. Warum sollten Studierende und an Führungsthemen Interessierte Ihr Buch lesen. Und: Gibt es Konzepte oder Ansätze der Führung, die Sie aufgrund Ihrer Aktualität hier besonders hervorheben wollen?
Rainhart Lang: Die klassischen Bücher und Artikel zur Führung konzentrieren sich oft auf das Handeln der Führungspersonen und den Mikrokosmos der Führungsbeziehung. Im Gegensatz dazu haben wir vor allem auch Führungstheorien und Ansätze ausgewählt, die diesen Rahmen sprengen und weitere Kontextfaktoren der Führung aus Organisation und Gesellschaft mit einbeziehen. Dazu gehören zum Beispiel die Ansätze zur geteilten und verteilten Führung, die nicht nur eine Teilung der Führung zwischen Gruppenmitgliedern im Sinne einer Partizipation, sondern auch andere Führungsinstanzen wie Führungsinstrumente, Normen, Regeln und Organisationskultur einbeziehen. Auch das Konzept der impliziten Führungstheorien muss hier erwähnt werden. Es geht davon aus, dass Akzeptanz und Wirkung von Führung vor allem davon abhängen, welche Vorstellungen Führungskräfte und Geführte von "guter Führung" haben. Während eine weitgehende Übereinstimmung ("fit") positive Wirkungen hat, können größere Abweichungen zu Führungsproblemen und Konflikten führen.
Frage: Sie haben sich mit dem Thema „Frauen und Führung“ beschäftigt. Inzwischen sind Frauen in Führungspositionen zwar keine Seltenheit mehr, sie sind jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Gibt es dafür aus wissenschaftlicher Sicht eine Begründung?
Viktoria Menzel: Ja, und nicht nur eine! Im betreffenden Kapitel bieten wir eine Übersicht dieser vielfältigen Begründungen. Beispielsweise besagt das Konzept der Rolleninkongruenz von Eagly und Karau (2002), dass Frauen in Führungspositionen eine Irritation für tradierte Geschlechterrollen verursachen, so dass Frauen meist unbewusst als weniger geeignet für Führungspositionen eingeschätzt und dafür nicht berücksichtigt werden. Eine der neueren Begründungen beschreibt die Existenz einer „impliziten Geschlechterquote“. Solange es keine verpflichtende Geschlechterquote gibt, werden die wenige Frauen im Gremium als „genug“ angesehen. Im Ergebnis wird eine Aufnahme weiterer Frauen nicht unterstützt und deren Anteil steigt nicht an. Zu erwähnen ist auch das Konzept der „gläsernen Klippe“, welches darauf hinweist, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Frau, in eine prekäre/ungünstige Führungsposition zu gelangen, relativ hoch ist, denn das Unternehmen oder die Abteilung befinden sich dann oftmals in einer wirtschaftlichen oder (mikro)politischen Krise. Ein Scheitern ist dann kaum zu vermeiden, und zwar nicht, weil die Kompetenzen von Frauen nicht ausreichen, sondern weil es von Beginn an ungünstige Positionen waren. Lediglich wird im Nachhinein ein solches Scheitern gern auf Frauen alleine zurückgeführt und ihnen damit ihre Führungskompetenz abgesprochen.
Frage: Es gibt im Buch ein Kapitel zum Thema „Virtuelle Führung“. Was ist darunter zu verstehen und warum dazu eigentlich ein eigenes Kapitel?
Peter M. Wald: Führungsprozesse haben insbesondere in den letzten Jahren gravierende Änderungen erfahren, die durch technologische Innovationen bei den Medien für Information und Kommunikation geprägt sind. Das Internet und die sozialen Medien haben hier eine ähnliche infrastrukturelle Rolle wie in der Vergangenheit die Elektrizität übernommen. Der zunehmende Einsatz dieser Medien ermöglicht Führung und Zusammenarbeit in geografisch und zeitlich verteilten Strukturen. Da viele der traditionellen Führungsmodelle grundsätzlich auf direkten Interaktionen basieren, sind diese nicht geeignet, um die geänderte Führung zu beschreiben. Dabei wird virtuelle Führung hier als wechselseitige Einflussnahme zwischen Führungskräften und Geführten hauptsächlich über die erwähnten Medien verstanden. Für die Beteiligten ist es deshalb wichtig, neue Medien kompetent zu nutzen sowie ihren Einsatz auch mit physischer Präsenz zu verbinden. Damit sind wir bei den derzeit diskutierten hybriden Lösungen, d.h. den Wechsel zwischen traditioneller und virtueller Führung. Hier ist erforderlich, passende organisatorische Lösungen zu entwickeln sowie diese systematisch und rasch zu implementieren. Die Fragen virtueller Führung erfahren darüber hinaus eine weitere Zuspitzung durch die zunehmende Nutzung von Lösungen des maschinellen Lernens bzw. der sogenannten KI-Lösungen.
Zu den Autoren bzw. Interviewpartnern
Prof. Irma Rybnikova ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Personal und Organisation an der Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL).
Rainhart Lang ist emeritierter Professor für Organisation und Arbeitswissenschaft an der TU Chemnitz.
Peter M. Wald arbeitet als Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig.
Viktoria Menzel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HSHL.
Ein von ihm entwickeltes Gesamtkonzept des Recruitings steht im Zentrum des Buches. Es liefert zahlreiche Hinweise, um “dem operativen Recruiting mit all seinen Facetten und seinen in der Praxis erprobten Handlungsweisen einen ebenso strategisch-operativen Handlungsrahmen anzubieten, der ihm organisatorisch-strategisch Rückhalt gibt.“ In diesem Post möchte ich einige Aspekte aus dem Buch herausgreifen, die es mMn Wert sind, zu diskutieren und auch umzusetzen. In insgesamt 6 Kapiteln stellt Michael Witt seine Ideen vor. Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist die Notwendigkeit eines eigenen Organisationsmodells für das Recruiting. Dies entspricht einem anhaltenden Trend im Personalmanagement, denn viele Unternehmen haben in den letzten Jahren die Arbeits- oder Organisationsmodelle ihrer Personalbereiche insgesamt verändert. Im Zentrum seines Buches steht die sogenannte „Recruiting-Lebenswelt“, die sich aus seiner Sicht „aus einem Zusammenspiel vom operationalen Realwerten, in denen Recruiting Anwendung findet, und einem komplettierenden Rahmen, der Sinn und Wissen bereithält“ (S. 14) bildet. Im dritten Kapitel geht er näher auf das Recruiting und die hier relevanten Begriffe und Konzepte ein. Dabei erläutert er auch die Themen Netzwerke und Digitalisierung mit ihren Wirkungen auf das Recruiting. Insbesondere mit seinen Ausführungen zu Kommunikation und Prozessen gelingt es ihm sehr gut, die Leser an aktuelle Fragestellungen des modernen Recruitings heranzuführen. Mit seinen Hinweisen zu den Prozessen des Recruitings macht er ihre Gestaltung möglich. Hier hätte er etwas näher auf agile Organisationsformen eingehen können, weil der Begriff Agiles Recruting seit einiger Zeit gebraucht wird.
Das vierte Kapitel bildet den Kern des vorliegenden Buches, denn hier stellt Michael Witt sein Recruiting-Lebenswelten-Modell (im Folgenden RLM) ausführlich vor. Dabei greift er auch einen großen Teil der aktuellen Entwicklungen auf (Diversity, HR-Analytics, neue Rollen, Einbindung von Führungskräften) und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf grundlegende Inhalte und Anwendungsziele seines RLM (S. 84f.). Dazu gehören die
- Verbindung von Employer Branding, HR-Marketing und Recruiting
- strukturelle Verankerung des Recruiting als Dienstleistung, um Exzellenz zu erreichen
- Organisation des Recruitings bzw. der Recruiter um unterschiedliche Anforderungen zu berücksichtigen
- Eigenorganisation des Recruitings um „schnell, flexibel und kundenzentiert zu agieren“ sowie
- die systematische Verankerung der Weiterentwicklung der Recruiter und des Recruitings
Mit seinem Recruiting-Lebenswelten-Modell stellt er einen Ansatz vor, das im Sinne eines Frameworks Recruiting-Organisationen verschiedene konzeptionelle Ordnungselemente anbietet, um damit auf einen erfolgreichen operativen Einsatz des Recruitings vorzubereiten. Ab Seite 88 beschreibt er die vertikale und horizontale Gliederung der RLM. Dazu gehören die Recruiting-Handlungsbebenen mit Makro-, Meso- und Mikroebene sowie die Recruiting-Dimensionen Person und Unternehmen. Im Anschluss beschreibt Michael Witt die Formen der Zusammenarbeit innerhalb seines RLM und differenziert dabei zwischen Recruiting Management-, Konzept- und Methodenebene. Damit wird eine zielgerichtete Gestaltung des Recruitings bzw. die systematische Umsetzung des RLM möglich. Wie diese erfolgen kann, beschreibt er in den nächsten Abschnitten detailliert bis hin zu konkreten Maßnahmen ausführlich. Durch Verweise auf Integration von Veränderungskonzepten, wie z.b. der Lernenden Organisation, gibt Michel Witt auch Informationen auf mögliche Veränderungen und Innovationen im RLM. Letztlich kann das RLM als komplexes Recruiting-orientiertes Operating und Service Delivery Modell verstanden werden. Eine gute Viualisierung dazu findet sich auf Seite 177 des Buches.
Das RLM als Blueprint für Recruiting Transformationen herangezogen werden, denn es erlaubt ein strukturiertes Vorgehen und kann Transparenz bei Aufgaben und Zielen einer Recruiting-Reorganisation schaffen. Abgeschlossen wird das Werk mit einem Glossar wichtiger Begriffe.
Hervorzuheben ist, dass Michael Witt viele aktuelle Konzepte der Organsationswissenschaft, wie Prozessorgansiation, strategischen Management, Agile Konzepte und Ambidextrie auf das Recruiting anwendet. Dadurch gelingt es ihm, viele dieser Management- und Organisationsfragen im Sinne ihrer Möglichkeiten für die Professionalisierung des Recruitings zu thematisieren. Damit zählt er zu der wenigen, die den Mut aufbringen, einen Bereich zu betrachten, der vielerorts vor allem durch die Alltagserfahrungen und kurzfristige Anforderungen geprägt ist. Ich bin sicher, dass seine Überlegungen und deren Umsetzung zur notwendigen Professionalisierung des Recruitings beitragen können.
Peter: Lieber Jo, lieber Thiemo, ich freue mich, dass es mit diesem Gespräch klappt.
Jo: Lieber Peter, sehr gern! Die Freude ist ganz bei uns!
Peter: Was hat Euch auf die Idee gebracht, ein Werkzeug, wie den DigitalMatcher auf den Markt zu bringen und viel wichtiger, wie lang war die Time-To-Market?
Jo: Das waren verschiedene Impulse, einerseits direkt von unseren Kunden, andererseits aber auch, weil wir diese Signale immer stärker aus dem Markt wahrgenommen haben. Die Digitalisierung durchdringt das Berufsleben immer stärker, weshalb auch nicht überrascht, dass man immer häufiger von der Kompetenzanforderungen „Digitalität“ hört. Und wenn so etwas als Anforderung an Mitarbeitende und Bewerbende formuliert wird, dann muss man es ja auch irgendwie quantifizieren. Sonst weiß man ja nicht, ob und wenn ja wie viel „davon“ vorhanden ist. Das fordert einen als Eignungsdiagnostiker natürlich heraus. In diesem speziellen Fall kam aber noch hinzu, dass man ja erst einmal eine saubere Definition benötigt, was „Digitalität“ eigentlich ist. Alle Welt hält es für wichtig, aber die wenigsten können klar und einheitlich benennen, was genau darunter zu verstehen ist. Das Problem: Wenn man das nicht hat, kann man es auch nicht messen und wenn man es nicht beziffern kann, ist es eigentlich auch nicht möglich, bei einer/m Bewerber:in oder einer/m Mitarbeiter:in zu bewerten ob sie/er genügend davon mitbringt.
Step 1 war also die Operationalisierung des Merkmals bzw. seiner Komponenten, Step 2 dann die Entwicklung des Testverfahrens. Und zu letzterem gehört – das vergessen immer viele – auch eine empirische Überprüfung des Verfahrens. Ein Test wird erst durch empirische Kennwerte zu einem Test, weil man nur dann wirklich sagen, was ein gemessener Wert eigentlich aussagt. Und naja, technisch und gestalterisch umsetzen – der DigitalMatcher ist ja Online-Assessment – mussten wir es dann natürlich auch noch. Insgesamt ist die Entwicklung eines solchen Produkt am Ende dann doch immer relativ zeitintensiv, wenn dieses wie bei uns hohen wissenschaftlichen Standards genügen soll. Im konkreten Fall des DigitalMatchers waren es insgesamt am Ende rund anderthalb Jahre.
Peter: Für welche Zielgruppe ist der DigitalMatcher gedacht?
Thiemo: Für alle! Unsere Zielsetzung beim DigitalMatcher bestand darin, ein Tool für alle Altersgruppen, Karrierelevel und Berufsbereiche zu entwickeln. Daher befasst sich der DigitalMatcher auch mit Digitalität auf einem grundlegenden Niveau und ist nicht hoch spezialisiert, sodass nur IT-Experten ihn bearbeiten könnten. Das ist wichtig, denn wir messen mit dem DigitalMatcher keine Fachkenntnisse, wie etwa spezielle Programmierkenntnisse oder so.
Peter: Mit dem DigitalMatcher steht Ihr mMn nicht allein da, denn es existieren bereits einige Angebote zur Messung digitaler Skills, die sich aber mMn bislang nicht durchgesetzt haben. Ich denke hier vor allem an den Persönlichen Digital-Index (PDI) und die Messung der Digitalen Kompetenz mit DigCompCheck (DCC). Demgegenüber habt Ihr bei der Entwicklung des DigitalMatchers auf Eure umfangreichen Erfahrungen mit der Matcher-Familie zurückgreifen können.
Jo: Nun, wir äußern uns nicht so gern über die von anderen Anbietern entwickelten Verfahren. Dass es hier inzwischen verschiedene Angebote gibt, drückt aber meines Erachtens auf jeden Fall ja schon einmal aus, dass hier offenkundig auch andere einen Bedarf gesehen haben, das offenkundig wichtige Kompetenzmerkmal irgendwie messbar zu machen. Wir glauben, dass wir mit dem DigitalMatcher eine sehr zeitgemäße Antwort liefern, was konkret Digitalität ist bzw. welche Kompetenzmerkmale sich eigentlich genau dahinter verbergen und vor allem, wie sich deren Ausprägung bei Bewerbenden und Mitarbeitenden akkurat beziffern lässt. Da kam uns unsere in mittlerweile ja weit über zwanzig Jahren aufgebaute eignungsdiagnostische Erfahrung sehr zu gute. Wir haben bei der Entwicklung auf jeden Fall stark von den Erfahrungen bei unseren anderen vorkonfigurierten Testinstrumenten profitiert. Der DigitalMatcher ist ja nach dem QualiMatcher als kognitives Leistungs-Assessment, dem PersonalityMatcher als berufsbezogenem Persönlichkeitsinventar, dem KulturMatcher zur Messung von Werten und Cultural Fit sowie dem OrgaMatcher zur Erfassung von Planungs- und Problemlösefähigkeit nun das fünfte Mitglied unserer Matcher-Familie. Diese Tools messen natürlich alle etwas anderes und werden mithin von unseren Kunden auch immer für etwas unterschiedliche Zwecke eingesetzt, aber technologisch sind sie alle sehr ähnlich. Das bedeutet auch für Kunden, die mehrere dieser Produkte einsetzen – was durchaus ein paar sind -, dass diese alle Matcher mehr oder weniger identisch administrieren können. Das läuft dann immer in sehr ähnlicher Form über die gleiche webbasierte Testverwaltung – den „Testmanager“.
Peter: Welches Modell bzw. Konzept liegt Eurem DigitalMatcher zugrunde?
Jo: Der DigitalMatcher misst die „Digitalität“ einer Person und diese wiederum besteht aus der sog. „Digitalen Fitness“ (also z.B. der Digitalaffinität oder der technischen Begeisterung), „Digitalen Soft Skills“ (also der Leistungsbereitschaft, der Innovationsneigung oder der Agilität) und dem „Digitalen Kognitiven Potenzial“ (bei dem es sich nicht um die Neigung zu digitalen Themen handelt, sondern konkret um die Fähigkeit wie ein Algo zu denken). Digitalität steht in unserem Modell also auf drei Säulen, von denen zwei eher aus dem Bereich der sog. „weichen Merkmale“ kommen und über Selbsteinschätzung erhoben werden und eines ein echtes Performancemerkmal ist, was entsprechend auch mit Hilfe eines Leistungstests gemessen wird.
Peter: Was waren die Gründe dafür, hier auch Agilität und Leistungsmotivation einzubeziehen?
Thiemo: Das sind beides wichtige Eigenschaften, die für das Arbeiten in einer digitalen Berufswelt und damit verbunden, sich einer immer wieder verändernden Berufswelt relevant sind. Menschen müssen sich an die technologischen Neuerungen immer wieder anpassen können, wofür Agilität wichtig ist. Auch Leistungsmotivation ist in diesem Kontext ein interessantes Konstrukt, insbesondere wenn es um Problemlösen geht, wie im Kompetenzmodell gefordert. Denn Problemlösen erfordert kognitive Leistung und diese kann nur erfolgen, wenn Mitarbeitende auch motiviert sind, diese zu leisten.
Peter: Wie versteht Ihr in diesem Zusammenhang unter digitaler Affinität?
Thiemo: Darunter verstehen wir die positive Einstellung einer Person gegenüber digitalen Medien und Technologien. Personen mit einer hohen Ausprägung sind grundsätzlich interessiert an digitalen Medien und arbeiten gerne mit entsprechende Technologien. Digitalisierung wird als Bereicherung für sich selbst, den Arbeitsalltag und die Gesellschaft im Allgemeinen wahrgenommen.
Peter: Als Teil der Matcher-Familie - geht es beim DigitalMatcher doch um Passung. Inwieweit sind hier auch konkrete Aussagen zu Defiziten in einzelnen Bereichen möglich?
Thiemo: Das ist differenziert zu betrachten. Es geht zwar um Passung, wobei unsere Matcher helfen sollen, Passung zu beurteilen. Dabei geben Sie aber keine mechanistische Ja-Nein-Antwort, ob Passung gegeben ist oder nicht. Sie liefern vielmehr einen Teil der notwendigen Informationen, um diese Frage besser beantworten zu können. Am Beispiel des DigitalMatchers ist das leicht zu veranschaulichen: Dieser beinhaltet 7 Skalen, die auf Selbsteinschätzungen beruhen. Erfasst werden dabei Einstellungen, Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale. Im Ergebnis werden diese Selbsteinschätzungen im Vergleich mit anderen betrachtet, wodurch eine gewisse Interpretation der Ergebnisse im Sinne von „unterdurchschnittlich – durchschnittlich – überdurchschnittlich“ möglich wird. Natürlich können all diese Merkmale auf Passung überprüft und mit den Anforderungen einer Stelle abgeglichen werden. Der Mehrwert des Tests liegt an dieser Stelle darauf, Stärken und Schwächen zu identifizieren und konkret zu beziffern. In einem Personalentwicklungskontext kann auf dieser Basis auch die Entscheidung für eine Fortbildungsmaßnahme getroffen werden, bestenfalls sollte dies aber gemeinschaftlich mit der jeweiligen Person abgestimmt werden. Im Recruitingkontext können individuelle Stärken/Schwächen und Neigungen in Bezug auf digitale Themen identifiziert werden, um so z.B. sehr viel gezielter im Interview darauf eingehen zu können.
Peter: Gibt es hier eignungsdiagnostische Verfahren, die eine besondere Rolle im digitalen Kontext spielen?
Thiemo: Der im DigitalMatcher ebenfalls eingebundene Leistungstest ist ein Hybridverfahren, dass unterschiedliche Aspekte kognitiver Leistung kombiniert anspricht. Dazu gehören logisches Schlussfolgern, Konzentration, Arbeiten unter Zeitdruck, Verarbeitung unterschiedlicher Informationsmodalitäten und regelbasiertes bzw. prozessorientiertes Arbeiten. Das wird in unserem Test dadurch wiedergegeben, das hier komplexe Programmanweisungen ausgeführt werden müssen, um die korrekte Lösung zu erschließen. Wie Jo oben schon sagte: Es wird überprüft, ob und wie gut jemand in der Lage ist, zu „denken“ wie ein Algorithmus…
Peter: Kannst Du etwas zur Konstruktvalidität und der Normierung des DigitalMatchers sagen?
Thiemo: Das Verfahren ist zunächst, wie alle unsere Tests, nach den Standards der DIN 33430 konzipiert. In Bezug auf die Validität konnten wir sowohl die faktorielle Struktur der digitalen Skalen nachweisen als auch feststellen, dass zwischen dem Leistungsverfahren „Digitales kognitives Potenzial“ und unserem Culture-Fair-Test als externes Kriterium eine hohe Korrelation besteht. Das entspricht unseren Erwartungen, da dieses Verfahren ebenfalls logisches Schlussfolgern erfordert und aufgrund des Schwierigkeitsgrades gerne für IT-Zielgruppen verwendet wird. Unsere Normen basieren auf Daten aus realen Bewerbungskontexten und werden fortlaufend geprüft und validiert. Außerdem kann man beim Anlegen eines Testlinks entscheiden, welche spezifische Normgruppe hinterlegt werden soll (für unterschiedliche Karrierelevel und branchenspezifisch).
Peter: Wie lange dauert die Bearbeitung des DigitalMatchers?
Jo: Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt bei rund 20 Minuten, um die im DigitalMatcher abgebildeten Testverfahren vollständig abzuschließen. Im Detail kommt es hierbei natürlich darauf an, wie schnell Personen lesen und wie intensiv Testinstruktionen und Beispielaufgaben bearbeitet werden, was individuell verschieden ist. Insbesondere bei den enthaltenen Selbsteinschätzungsverfahren gibt es ja keine Zeitbegrenzung.
Peter: Wie wird beim DigitalMatcher die digitale Kompetenz letztlich abgebildet? Gibt es dazu einen Ergebnisbericht, wie bei vielen der anderen Verfahren der Matcher-Familie?
Jo: Richtig. Wie bei unseren anderen Matchern auch können Recruting-Verantwortliche über die mit dem Test bereitgestellte webbasierte Testverwaltung - den „Testmanager“ - einen Ergebnisbericht abrufen. Hier sind die normierten Ergebnisse pro Skala dargestellt. Auch liefert dieser Ergebnisbericht Hilfestellungen zur Ergebnisinterpretation, denn es ist uns sehr wichtig, dass auch Personaler:innen gut mit dem DigitalMatcher arbeiten können, die selber vielleicht nicht unbedingt von Hause aus Eignungsdiagnostiker sind.
Peter: Könntest Du etwas zu den konkreten Anwendungsfeldern des DigitalMatchers sagen? Oder anders gefragt: Wer fragt hier besonders nach?
Jo: Zum einen bietet sich der DigitalMatcher zum Einsatz im Kontext der Personalgewinnung an. Menschen, die sich auf Stellen beworben haben, bei denen es auf ein gewisses Maß an Digitalität ankommt (was perspektivisch wahrscheinlich die allermeisten sein dürften), können zum Test eingeladen werden und im Nachgang steht dem Recruiting ein valider Befund zur Verfügung, der in die Bewertung des Kandidaten bzw. der Kandidatin einfließen kann. Wichtig hierbei ist aber, dass man die Ergebnisse des DigitalMatchers nicht im Sinne eine harten Fallbeils verwenden sollte, also im Sinne von „Bestanden“ oder „Durchgefallen“. Vielmehr sollten die Befunde dem Zweck dienen, die betreffende Person einfach besser zu verstehen und so – auch im Dialog mit der jeweiligen Person – die Passung überprüfen zu können. Daneben kann der DigitalMatcher aber natürlich auch im Kontext der Personalentwicklung und des Upskillings eingesetzt werden. Bei einzelnen Mitarbeitenden oder auch bei ganzen Teams oder Abteilungen kann empirisch der Status Quo überprüft werden: Wo stehen wir, wo stehen sie aktuell eigentlich? Wo sind wir gut, wo gibt es Entwicklungsbedarfe und wenn ja, wie stark? Dafür kann der DigitalMatcher eine gute Grundlage liefern, um das Personal oder die Organisation gezielter weiter zu entwickeln.
Peter: Viele Unternehmen kämpfen mit den Angeboten zur Vermittlung digitaler Kompetenz. Lassen die Ergebnisse des DigitalMatchers ggf. auch Schlussfolgerungen zu, in welchen Bereichen hier ein besonderer Bedarf besteht?
Thiemo: Das kommt ganz drauf an. Sobald hier ausreichend Daten vorhanden sind, ist es natürlich sehr spannend diese auszuwerten, um solche Fragestellungen beantworten zu können. Dabei könnte man zum Beispiel annehmen und überprüfen, ob in kaufmännischen Berufen eine geringere digitale Affinität berichtet wird als in IT-Berufen. Oder ob Personen in IT-Berufen in dem Leistungsverfahren besser abschneiden. Aber auch ob Karrierelevel, in denen jüngere Personen einsteigen vielleicht eine höhere digitale Affinität berichten als Professionals, die bereits höheren Alters sind. Erfahrungsgemäß bestätigen sich solche Hypothesen aber nicht immer, auch wenn sie erstmal sehr plausibel erscheinen.
Peter: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche Euch und insbesondere dem DigitalMatcher viel Erfolg.
Zu meinen Gesprächspartnern: Jo Diercks ist Gründer und Geschäftsführer von CYQUEST, einem der führenden Entwickler und Anbieter von Auswahltests bzw. „Online-Assessments“. Daneben entwickelt CYQUEST auch SelfAssessment- und Matching-Verfahren sowie Berufsorientierungsangebote. Weiterhin betreibt er mit dem Recrutainment Blog einen der meistgelesenen HR-Blogs im deutschsprachigen Raum. Jo ist oft als Keynotespeaker auf Konferenzen und als Gastdozent an verschiedenen Hochschulen tätig.
Thiemo Coors ist Senior Projektmanager und seit Februar 2018 bei CYQUEST tätig. Davor absolvierte er seinen Master in Psychologie mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung und Validierung psychologischer Testverfahren.
Wie es um die digitalen Skills in Europa insgesamt steht, kann dem aktuellen „Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) entnommen werden. Aktuelle Informationen dazu gibt es hier. Nach diesem Bericht der Europäischen Kommission fehlt es fast jedem zweiten EU-Bürger an digitalen Grundkenntnissen. Nur 54 Prozent der Europäerinnen und Europäer (im Alter zwischen 16 und 74) verfügen zumindest über grundlegende digitale Fähigkeiten. Diese „Spaltung“ zwischen digital „Kundigen“ und Menschen mit Defiziten bei den digitalen Fähigkeiten zeigt sich auch in der Analyse der D21-Initiative zum Digital Skills Gap und in den Studienergebnissen zum Digitaltag 2022. Hoffen lässt hier, dass jeder Zweite gern mehr an der digitalen Welt teilhaben möchte und 83% der Befragten Maßnahmen zur Förderung digitaler Medien- und Informationskompetenz wünschen.
Was ist nun unter digitalen Fähigkeiten oder Kompetenzen zu verstehen? In einem Papier des Stifterverbands und McKinsey werden die digitalen Grundfähigkeiten als Fähigkeiten beschrieben, „durch die Menschen in der Lage sind, sich in einer digitalisierten Umwelt zurechtzufinden und aktiv an ihr teilzunehmen. Diese Fähigkeiten werden im Berufsleben ebenso wie für gesellschaftliche Teilhabe (Digital Citizenship) in Zukunft benötigt und von Arbeitgebern bei ihren Mitarbeitern zunehmend vorausgesetzt. Dazu zählt die digitale Wissensgenerierung (digitales Lernen) und der informierte Umgang mit Daten im Netz (digital Literacy) ebenso wie die Fähigkeit zum kollaborativen Arbeiten“. Detaillierte Informationen zu dem hier beschriebenen Framework gibt es in diesem Papier.
Ein weiteres Konzept bildet das Kompetenzmodell des Europäische Referenzrahmens „DigComp 2.1“ mit den Kompetenzbereichen Informations- und Datenkompetenz, Kommunikations- und Kooperationskompetenz, Entwicklungs- und Gestaltungskompetenz, Sicherheitskompetenz, Problemlösekompetenz, Analyse- und Reflexionskompetenz. Diesen Basiskompetenzen sind 25 Einzelkompetenzen, auf jeweils vier Kompetenzstufen (Grundlegend, Anwendungssicher, Fortgeschritten, Spezialisiert) zugeordnet. Mit Hilfe dieses Referenzrahmens sind mittlerweile auch Kompetenzchecks möglich. Mittlerweile wurde dieser Referenzrahmen aktualisiert. Die Informationen zu DigComp 2.2 sind unter diesem Link abrufbar.
Fragen der digitalen Kompetenzen habe ich darüber hinaus auch hier in diesem Blog einige Male thematisiert so im Gespräch mit Simone Lis zur Notwendigkeit und den Besonderheiten von Digital Fluency („digitale Gewandtheit“)oder auch im Rahmen eines Interviews mit Shirley Sheffer zur Accenture Global Digital Fluency Study 2020.
In der zuletzt genannten Studie wird zwischen Digital Foundation (technische Voraussetzungen - Toolset), Digital Operations, Digital Leadership and Culture und dem mitarbeiterbezogenen Technologie Quotienten (TQ) differenziert. Mit dem TQ wird die oft erwähnte Kombination von Mindset und Skillset um die soziale Bedeutung digitaler Werkzeuge ergänzt. Dabei geht es vor allem um die Frage, was digitale Werkzeuge für die zu erfüllende Aufgabe und das Unternehmen bedeuten.
Von hoher Bedeutung dürfte es sein, die digitalen Skills nicht nur zu erklären, sondern auch zu messen. Hierzu gibt es bereits konkrete Vorschläge und Verfahren. In einem Folgepost werde ich mit dem Geschäftsführer von Cyquest - Joachim (Jo) Diercks - über den von ihm vorgelegten DigitalMatcher sprechen.
]]>Peter: Vielen Dank, dass Du Zeit für dieses Interview gefunden hast und herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen #lernOS Convention.
Simon: Danke und vielen Dank für die Einladung in dieses Format.
Peter: Lieber Simon, könntest du Dich und Cogneon kurz vorstellen.
Simon: Mein Name ist Simon Dückert, ich bin verheiratet, habe eine Tochter, wohne in Nürnberg und habe in Erlangen Elektrotechnik mit Schwerpunkt Digitale Nachrichtentechnik studiert. Ich bin einer der vier Gründer von Cogneon, einem Unternehmen, das sich mit Wissensmanagement und der Entwicklung von Lernenden Organisationen. Zu unseren Kunden zählen hauptsächlich international tätige Großunternehmen in wissensintensiven Branchen. Bekannte Projekte sind z.B. Zusammenarbeit 2.0 bei Audi, der adidas Learning Campus, Bosch Learning Company oder DigitalTogether bei Siemens Healthineers.
Peter: Dein bekanntestes Projekt ist das sogenannte lernOS. Was verbirgt sich dahinter?
Simon: In unseren Strategietagen 2016 haben wir uns zu unserem 15-jährigen Bestehen gefragt, was wir in den nächsten 15 Jahren an großen Zielen erreichen wollen. Eine schwelende Unzufriedenheit war, dass viel Know-how zu Wissensmanagement-Themen wie z.B. Wissenslandkarten, Wissensstrategien, Wissensportalen, Wissensbewahrung mit Expert Debriefing, hybride Wissensarbeit etc. in über 340 Projekten verborgen liegt, davon die Welt aber nicht profitieren kann. Deswegen haben wir entschlossen, dieses Wissen zusammenzufassen und in Leitfäden entlang der drei Handlungsebenen des Wissensmanagement (Individuum, Team, Organisation) zu veröffentlichen. Ähnlich unserem offenen Wiki COPEDIA sollte das unter einer offenen Creative Commons Lizenz erfolgen. Als Namen haben wir „lernOS“ gewählt, weil das die Zukunftsform von Lernen in Esperanto ist. Das groß geschriebene „OS“ (wie bei iOS) deutet dabei auf die Bedeutung der Digitalität in der digital-vernetzten Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts hin.
Peter: Mit Cogneon stellt Ihr neben Beratungs- und Schulungsleistungen auch freie Materialien zur Verfügung. Warum freie Materialien?
Simon: Bei so komplexen Vorhaben wie der Entwicklung einer Lernenden Organisation glauben wir nicht an „One-Size-Fits-All-Ansätze“. Deswegen sind die lernOS Materialien so gestaltet, dass jede und jeder sie kostenfrei verwenden und einfach an die eigenen Rahmenbedingungen anpassen kann. Erst wenn bei der Umsetzung Hilfe benötigt wird, können wir kontaktiert werden und in Form von Maßnahmen und Projekten unterstützen. Im Prinzip ist der Ansatz vergleichbar mit Open-Source-Geschäftsmodellen im Softwarebereich (z.B. Wordpress, Moodle, RocketChat).
Peter: Anlass unseres Gesprächs ist die nach meinen Beobachtungen sehr erfolgreiche #lernOS Convention am 5./6. Juli 2022. Was waren hier aus Deiner Sicht die Highlights?
Simon: Nachdem die lernOS Convention pandemiebedingt die letzten beiden Jahre rein online stattgefunden hat, haben wir uns dieses Jahr im Orga-Team unter dem Motto „perfectly hybrid“ vorgenommen, ein Veranstaltungskonzept zu entwerfen, bei dem Vor-Ort- und Online-Teilnahme auf „auf Augenhöhe“ stattfinden kann. Das ist uns nach unserem eigenen Empfinden und auch dem Empfinden der Teilnehmenden (Net Promoter Score der Veranstaltung: 79) sehr gut gelungen. Einen schönen Einblick in die Veranstaltung bietet das Abschlussvideo. Neben vielen weiteren Highlights finde ich sehr gut, dass mit Julia Bangerth von der DATEV das erste Mal ein Vorstandsmitglied auf der loscon gesprochen hat und dass mit Leif Edvinsson (Knowledge Society), Celine Schillinger (Un-Lead) und Harold Jarche (Working = Learning) auch viele internationale Beiträge mit im Programm waren. Wir werden für 2023 auf jeden Fall an dem hybriden Konzept festhalten und Details optimieren.
Peter: Besonders gefallen haben mir hier die Lightning Talks. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Simon: Wie viele anderen Formate der Erfahrungs- und Wissensvermittlung (z.B. Barcamps, Hackathons, Birds of a Feather, Meetups) kommen auch die Lightning Talks aus dem IT-Bereich mit seiner geringen „Halbwertszeit“ von Wissen. Ich bin schon sehr lange im Chaos Computer Club aktiv. Dort habe ich beim jährlichen Chaos Communication Congress die Lightning Talks kennen gelernt und auch selber einen Talk zu lernOS gehalten. Ähnlich wie bei Ignite Talks oder Pecha Kucha Talks sind die Lightning Talks sehr kurz (5 Minuten). Dadurch kann in kurzer Zeit (1 Stunde) eine Vielfalt von Themen (10 Talks) angerissen und im Nachgang vertieft werden.
Peter: Wie ich gesehen habe, hast Du viel Wert auf die hybride Durchführung des Events gelegt. Was ist nötig, um Events dieser Art erfolgreich hybrid durchzuführen? Die Rede war hier auch von einem Hybrid Meeting Kit.
Simon: Es gibt Mitglieder in der lernOS Community, die im Ausland wohnen oder aus anderen Gründen nicht für zwei Tage vor Ort kommen können oder wollen. Mit der Veranstaltung verfolgen wir einen inklusiven Ansatz, so dass wir Online-Teilnehmende auf keinen Fall ausschließen wollen. In der Programmplanung haben wir von Anfang an Wert darauf gelegt, dass sich Vor-Ort- und Online-Teilnehmende gleich behandelt fühlen (z.B. Vorstellungsrunde im Wechsel Online/Vor Ort). Außerdem hatten wir die Rolle des „Remote Buddy“ definiert, der sich explizit um die Fragen und Anliegen der „Onliner“ gekümmert hat. Ein gemeinsames Slack-Netzwerk hat die Leute unabhängig von Ort und Zeit per Chat miteinander verbunden. Das Hybrid Meeting Kit (HMK, https://wiki.cogneon.de) haben wir in den Session/Workshop-Räumen eingesetzt. Für die hybride Teilnahme ist es wichtig, dass der Raum vor Ort gut zu sehen ist und die Redner_innen gut zu hören sind. Das HMK hat dafür dreh- und schwenkbare Kameras sowie Funkmikrofone, die in Schaumstoffwürfel verpackt im Raum hin und her geschmissen werden kann, um das Mikrofon nahe an die sprechenden Personen zu bekommen.
Peter: Ich kenne Dich auch aufgrund der breiten Arbeit mit und in Communitys. Könntest Du eine davon, die Learning Circle Experience, etwas näher vorstellen?
Simon: Ein Modus mit den lernOS Leitfäden zu lernen ist, sich in sog. Learning Circle (Gruppe von 4-5 Personen) über einen Zeitraum von 3 Monaten (dem sog. Learning Sprint) zusammenzufinden und gemeinsam 1h pro Woche zu Lernen. Bei einer Learning Circle Experience (LCE) laufen viele solcher Learning Circle parallel durch einen Lernpfad und tauschen sich auch untereinander aus. Wir bieten selbst solche LCEs an (z.B. zu Podcasting), es gibt aber mittlerweile auch Unternehmen wie Continental, DATEV oder SAP, die LCEs intern oder sogar gemischt intern/extern durchführen (Beispiel SAP).
Peter: Mein Fokus liegt seit einiger Zeit verstärkt auf den HR-Fragen der Deskless bzw. Blue Collar-Worker. Gibt es hier Besonderheiten hinsichtlich des Lernens bzw. des Umgangs mit Wissen?
Simon: In dem Bereich habe ich nicht so viel Erfahrung, ich sehe aber, das zwei kritische Faktoren Zugang und Zeit sind. Zum einen verfügen direkte Mitarbeiter_innen oft nicht über betriebliche Smartphones oder Laptops, so dass sie keinen barrierefreien Zugang zu den Intranets ihrer Organisationen haben. Ansätze wie die Frontline-Worker-Lizenzen (F-Lizenzen) bei Office 365 oder Bring You Own Device (BYOD) können hier Abhilfe schaffen, sind aber noch nicht in Breite verfügbar. Außerdem ist es gerade bei Schichtarbeit oder der Arbeit in einer Filiale schwierig, Zeiten fürs eigene Lernen einzuplanen. Hier sollten sich die Organisationen verstärkt Gedanken machen, wie an dieser Stelle lernförderliche Rahmenbedingungen geschaffen werden können.
Peter: Ich denke, dass Du - insbesondere mit Blick auf die lernOS Convention - der richtige Partner für die folgende Frage bis. Was sind aus Deiner Sicht derzeit die relevanten Trends im Corporate Learning?
Simon: Anders als du forsche ich nicht in dem Bereich und kann die Themen daher nur aus der praktischen Erfahrung und meinem Wirkungsfeld großer Organisationen beurteilen. Ich sehe insbesondere vier Trends:
- Das informelle Lernen gewinnt neben dem formellen Lernen zunehmend an Bedeutung. Ansätze wie beispielsweise „Learning from Experts“ (LEX) der Telekom stehen gleichbedeutend neben Kursen und Seminaren
- Das selbstgesteuerte Lernen rückt immer mehr in den Mittelpunkt, nicht mehr die Führungskräfte geben Lernpfade vor, sondern Wissensarbeiter_innen suchen aus
- die Lerninhalte stammen zunehmend auch aus externen Quellen und werden weniger oft selber erstellt. Das bringt eine Verschiebung von der Planung und Erstellung von Lerninhalten hin zur „Learning Content Curation“ (Zusammenstellung von bereits bestehenden Inhalten) mit sich
- die Intranets von Organisationen ähneln immer mehr dem Internet, sie sind weniger zentralistisch und bieten den Mitarbeitenden viele Möglichkeiten (eigene Homepage, eigener Blog, eigener Podcast, eigener vLog etc.).
Damit wird möglich, was Jane Hart in ihrer Top-Tools-for-Learning jährlich wieder neu herausfindet: gelernt wird weniger in dedizierten Lernsystemen, sondern viel mehr mit Suchmaschinen, Videoportalen, Sozialen Netzwerken, Wikis & Co. – Zeit, diese Erkenntnis auch in Intranets konsequent umzusetzen.
Peter: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und viele Grüße nach Nürnberg.
Simon: Danke für die Gelegenheit, hier von meinen Gedanken berichten zu können.
Mein Gesprächspartner Simon Dückert ist seit über 20 Jahren im Wissensmanagement tätig. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Universität Erlangen-Nürnberg arbeitete er am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen und war dort mit der Einführung von Wissensmanagement befasst. Aus diesen Aktivitäten ist ein ganzheitliches, prozessorientiertes und ISO-9001-kompatibles Wissensmanagement-Modell entstanden, das heute als Cogneon Wissensmanagement-Modell in der Beratung eingesetzt wird. Er ist als Berater und Coach hauptsächlich bei Kunden in Engineering-Branchen zu Themen wie Wissensmanagement, Lernende Organisation und Management 2.0 aktiv. Er ist der Initiator von lernOS, dem offenen „Betriebssystem“ für Lebenslanges Lernen und Lernende Organisationen.
]]>Da das Interview nach dem HR Innovation Day erscheint hier ein Foto vom Workshop mit Jess.
Peter: Lieber Jess, vornweg herzlichen Dank für Deine Unterstützung als Host des Workshops mit dem Titel „Der Agile Appetizer - "Agile" verstehen - Mindset vs. Tools. Oder: Warum agile immer auch eine Frage der Haltung ist“.
Jess: Peter, höre mir auf. Ich sage Danke für die Einladung in einer der schönsten Städte Deutschlands, zu einem der besten HR Events der Republik. Dein HR Innovation Day ist eines der ganz wenigen HR Events bei dem man die extra Priese Liebe mit der Du und Dein Team das Event peppst, an jeder Ecke spürt.
Peter: Mit dem Titel dieses Workshops hast Du eine Menge Buzzwords im Gepäck. Was steckt hinter dem Titel Deines Workshops?
Jess: Yo, ich kann auch Buzzwords. Nein, im Ernst. Noch haben viele absolut keine Ahnung was Agilität ist, übersetzten Agilität mit „sei doch mal flexibel“, mit „einfach machen, brauchst keinen Plan“, „mach mal in farbenfroh“… Klar, am Ende ist Agilität immer auch eine Frage der Prozesse, doch diese werden wirkungslos bleiben und keinen Nutzen stiften können, wenn nicht klar auch eine entsprechende Haltung eingenommen wird. In dem Workshop werde ich mich mit den Teilnehmenden der Sache spielerisch zuwenden und ergründen, was für Werte und Prinzipien gelten müssen, um einen Mehrwert für den Kunden zu generieren.
Peter: Agiles Mindset oder agile Einstellung - wie können wir dies beeinflussen oder muss dies selbst wachsen?
Jess: Machen. Anfangen und unter der Zuhilfenahme von Events aus dem agilen Werkzeugkasten, wie z.B. der Retrospektive, sich kontinuierlich einem Verbesserungspfad verschreiben. Dabei sollte man versuchen möglichst aufrichtig sich und anderen gegenüber zu sein, Fehler als Chance sehen und so mit kleinen Experimenten stetig mehr Agiliät wagen. Und da es um die innere Einstellung geht, dieses Umparken im Kopf, das braucht Zeit und Geduld. Diese muss man neben der Offenheit gegenüber dem Irrtum auf jeden Fall mitbringen.
Peter: Was bedeutet Agilität für künftige und bereits gestandene Personaler?
Jess: Agilität ist die Antwort auf Komplexität. Und das Geschäft der HRler wurde – leider – lange als nicht komplex, sondern als linear steuerbar empfunden. Deshalb sind wir Personaler auch so gut darin Prozesse zu bauen. Und deshalb haben wir auch nie wirklich einen guten Stand in Unternehmen. Den das was wir bauen ist oft für die Katz!. Vieles was in dem Standard HR Werkzeugkoffer steckt, ist einfach nicht gut und eigenen sich wenn überhaupt für planbare, vorhersehbare Ereignisse. Die Zusammenarbeit mit Menschen ist aber per se komplex und nicht vorhersehbar. Entsprechend kann Agilität jenen Personalern ein wirkungsmächtiges Werkzeug sein, die Lust haben endlich wirklich passende Lösungen für die Mitarbeiter zu kreieren.
Peter: Muss Personalmanagement eigentlich immer agil sein oder nur agiler werden?
Jess: Puh, Du Peter, Agilität ist machste nicht, weil das gerade in aller Munde ist. Auf der Prozessebene ist Agilität sicher für viele Fragestellungen eine tolle bzw. die passende Herangehensweise. Für viele Dinge aber schlichtweg auch nicht, Dennoch: Da Agilität immer auch eine Frage der Haltung ist und die hier vertretenden Werte und Prinzipien an sich sehr schöne und nachahmenswerte sind, kann nein sollte HR sich aufmachen und mehr Agilität wagen
Peter: Es ist logisch und mir auch ein Bedürfnis, Dich auf die wichtige Initiative junger HRler „LOVE HR - HATE RACISM“ anzusprechen. Was ist hier in den nicht einfachen Corona-Zeiten passiert?
Jess: Peter, danke für die Frage. Darf ich vorweg schnell auf unsere Homepage verweisen: www.hrespect.de ???? Du, wir haben mittlerweile rund 1000 Euro über den Verkauf von Merch, also dem LHRHR Shirt oder dem LHRHR Kaffeebecher u.a., eingenommen und zunächst an EXIT Deutschland e.V. und seit Kurzem an HÁWAR.help gespendet. Zudem waren wir als Gäste auf vielen Veranstaltungen und Talks, So sind wir nächste Woche u.a. beim Gero Hesse auf seinem RC22 und geben dort einen Workshop. Wir freuen uns diebisch, wenn Leute wie Cawa Younosi, unser Shirt auf Veranstaltungen tragen und so helfen das Thema in die HR Community zu tragen. Aktuell haben einige von uns den Job gewechselt, Kinder bekommen oder andere wichtige To Dos ganz oben liegen, so dass wir derzeit ein wenig in einem vorgezogenen Sommerloch stecken. Aber der Ideensack ist voll und wenn da draußen noch jemand mitmachen will: Schreibt uns gern!
Peter: Was können wir - auch beim HR Innovation Day 2022 und danach tun, um diese Initiative zu unterstützen?
Jess: Geht auf die Seite kauft Euch was aus unserem Shop. Tragt das Shirt dann bei Euren Bewerbungs- und Mitarbeitergesprächen (das machen echt schon einige). Postet Euch in dem schicken Outfit auf den Direktemedien und helft so andere zu erreichen, sprecht das Thema Rassismus direkt bei Euch an – in euerem Team, Eurer Abteilung und klar auch auf Unternehmensebene. Den vergessen wir nicht: Wir alle haben Rassismen verinnerlicht, dafür müssen wir uns nicht schämen. Schämen müssen wir uns nur, wenn wir weggucken, es nicht als wichig erachten dagegen etwas zu tun. So tun, als hätte ein wenig Rassismus noch niemandem geschadet (So wie es z.B. die Janine Kunze, der Thomas Gottschalk, Micky Beisenherz und Jürgen Milsk im Talk mit Steffen Hallaschka damals im WDR bei der letzten Instanz vorgeführt haben. Ich bringe dies Beispiel, da seien wir ehrlich: Das was die vier da erzählt haben ist Meinungsalltag in vielen, in viel zu vielen deutschen Betrieben. Und auch hier gilt wie beim Thema Agilität: bezieht Haltung und seid standhaft.
Peter: Vielen Dank für das Gespräch. Der Initiative „LOVE HR – HATE RACISM“ wünsche ich eine wachsende Beteiligung in der HR Community und auch darüber hinaus. Meine Standardfrage kommt wie immer als Abschluss des Gesprächs: Warum kommst Du zum HR Innovation Day 2022 an einem Samstag nach Leipzig?
Jess: Ganz einfach: Weil der HR Innovation Day 2022 an einem Samstag in Leipzig stattfindet.
Peter: Herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch. Bis zum 11. Juni 2022 hier in Leipzig.
Jess: Peter, ich danke Dir. Ich freue mich schon sehr auf den Tag. Das wird richtig gut.
Jess Koch ist gelernter Speditionskaufmann sowie Diplom Wirtschaft- und Arbeitsjurist und fand zum Ende seines Studiums den Weg in den HR-Bereich. Nach Stationen im operativen HR und seiner langjährigen Tätigkeit bei der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGfP) ist er seit 2020 als Agile Trainer, Coach & Berater bei HR Pioneers tätig. Er sorgt als HR Tech Botschafter seit einigen Jahren dafür, dass HR sich stärker den neuen, digitalen Möglichkeiten öffnet und innoviert. Er hat 2014 die HR Innovation Roadshow erfunden und begleitet immer wieder HR Startups in Sachen Business Development, HR und Marketing. Darüber hinaus ist der Mitbegründer der Initiative Love HR, hate racism und Vorstand im HR Nachwuchsnetzwerk HR Rookies e.V.
Peter: Vornweg ganz herzlichen Dank, dass Du wieder dabei bist und Dein Know-how mit den Teilnehmer:innen des Workshop teilen wirst. Wir treffen uns endlich wieder nach dieser langen Corona-Pause. Was ist bei Dir bzw. mit intercessio in den letzten Jahren passiert.
Barbara: Der Eintritt in die Pandemie mit dem ersten Lockdown hat unser Unternehmen schwer straucheln lassen – unsere Sourcing Aufträge wurden alle storniert, während gleichzeitig Recruiter und Sourcer anfangs mit allem anderen beschäftigt waren, als mit Trainings. So sah das in den ersten zwei Monaten wirtschaftlich gar nicht gut aus, erholt sich dann aber im Juni. Der Grund war, dass wir unsere beiden Qualitäts-Ausbildungsprogramme einführten: Die Master Class Talent Sourcing (Abschluss: Master Sourcer nach 6 Monaten) und das Sourcing Professional Programm (Abschluss als Sourcing Professional nach 3 Monaten) ins Leben, die großen Anklang fanden. Die Absolventen sind so viel treffsicherer und schneller in ihren Sourcing Projekten mit mehr Fun – alles geht ihnen leichter von der Hand. Dann kamen langsam auch die ersten Sourcing Aufträge zurück. Die ersten Inhouse-Trainings fanden aber erst in 2021 wieder statt, das hat länger gebraucht, bis Unternehmen diese Entscheidung getroffen haben, wobei das aktuell meist Fortgeschrittenen Trainings waren.
Peter: Gab es in den letzten Jahren Veränderungen im Sourcing? Welche Trends sind hier aus Deiner Sicht besonders hervorzuheben?
Barbara: Es sind sehr große Trends im Sourcing zu erkennen:
- Der erste Trend ist ein erschreckender Verlust der Kommunikationsqualität mit potentiellen Kandidaten. Durch Corona habe noch mehr Recruiter:innen angefangen, potentielle Kandidaten anzusprechen, aber leider ist die Qualität dabei in der Summe gesunken, während die Verzweiflung aller Recruiter:innen gestiegen ist. Bei kritischen Jobs wie Tech-Funktionen wie DevOps oder Java Developer oder Digital Marketing Funktionen wie Content Manager oder SEO-Experten, nur um ein paar Beispiele zu nennen, findet man insgesamt weniger Kandidaten, weil diese sich durch Löschung der relevanten Keywords von ihren Profilen schützen oder ganz Social Media verlassen haben. Ergo sind die Antwortquoten überall dort nach unten gegangen, wo es ein nicht eine klare Strahlkraft im Employer Branding gibt (Noch nie war ein gutes Employer Branding so der Motor der Kommunikation auch mit passiven Kandidaten, wie jetzt).
- Der zweite Trend ist eine Negativ-Entwicklung im Sector der Sourcing Tools bis zum Tool-Sterben. Eines der wichtigsten Tech-Sourcing Tools, Stackover Flow Talent gibt es nicht mehr. Wir erfahren gerade massive Qualitätsverluste der Tools für fortgeschrittene Sourcer wie z.B. XING und LinkedIn. XING hatte bereits vor Corona, die Sourcing-Möglichkeiten mit ihrem kostenlosen Account beendet und die Sourcing-Chancen des Prämien-Accounts extrem eingeschränkt. Während Corona konnte man beobachten, dass diese Einschränkungen verschärft wurden. Das setzt sich leider auch in ihrem Premium Sourcing Tool, dem XING TalentManager fort: Es wurde für Sourcing-Anfänger verbessert und damit für Fortgeschrittene eingeschränkt. LinkedIn ist einen anderen Weg gegangen: Auch hier ist es nun seit Corona nicht mehr möglich, mit dem kostenlosen LinkedIn Account noch erfolgreich Active Sourcing zu betreiben. Jedoch auch der Premium-Account (Business Account) wurde in seinen Möglichkeiten treffsicher zu suchen eingeschränkt: Bei beiden ist das Ziel ist erkennbar, dass der Schutz der User in den Vordergrund tritt. Allerdings wurde, im Gegensatz zu XING, das Premium Tool bei LinkedIn der „Recruiter“ sowohl für Anfänger wie für Fortgeschrittene intensiv verbessert und erhielt neue hilfreiche Funktionalitäten.
Peter: Doch nun zum Thema Deines Workshops. Warum sollten die Unternehmen eigentlich Blue-Collar-Worker sourcen?
Barbara: Der Begriff „Blue Collar“ (englisch für blauer Kragen im Gegensatz zu „White Collar“ – englisch für weißer Kragen) kommt aus den USA. Er kann am besten mit gewerblichen und sozialen Berufen übersetzt werden. Also geht es hier um die Fachkräfte, die nicht typischerweise im Office arbeiten von den angelernten Kräften wie Pflegehelfer oder Staplerfahrer, Lehrberufen aus Industrie und Handwerk wie Maurer, Mechaniker, Elektroniker oder auch Krankenpfleger bis hin zu Fachwirten und wie Monteur, Techniker oder Meistern. Betrachtet man den Fachkräftemangel aktuell aus der Vogelperspektive bestätigen alle Studien und Übersichten, dass 70 % des größten Bedarfs die „Blue Collar Worker“ sind. Klassische Stellenanzeigen und eine Facebook-Page mit ein paar Facebook-Anzeigen können den hohen Bedarf der Unternehmen nicht mehr decken. Dieses Post-and-Pray ist heute bereits ein Teil des Fachkräftemangels. Auch hier muss ein Unternehmen proaktiv auf potentielle Kandidaten zugehen. Und das geht eben auch mit Active Sourcing. Weil diese Zielgruppe in der Zwischenzeit in Social Media ja sogar in Business Netzwerken zu finden ist. Man kann sie dort proaktiv erreichen. Allerdings gilt für das Finden und Ansprechen der Blue Collar Fachkräfte: Es funktioniert nur dann erfolgreich, wenn man sich an diese so anders tickende Zielgruppe anpasst. Zum Beispiel: Blue Collar Worker füllen ihre Profile anders aus.
Peter: Ich stelle hier bei vielen mittelständischen Unternehmen eine beträchtliche Skepsis fest, was das Sourcing gewerblicher Fachkräfte angeht. Worauf ist diese Skepsis zurückzuführen?
Barbara: Viele mittelständischen Unternehmen haben bis heute selten Ansprechpersonen, die gezielt für das Recruiting abgestellt werden und wenn, fehlt diesen die Zeit. Das Bewußtsein, dass Active Sourcing nicht nur möglich ist und proaktive Ansprache notwendig ist, ist vielfach noch nicht vorhanden. Jedoch um Active Sourcing erfolgreich zu betreiben, muss dies gelernt werden, man braucht teure Tools und Zeit, um Erfahrung zu sammeln. Das ist eine Kosten-Nutzen-Analyse, die leider oft nicht gerechnet wird. Leider, denn auch im Mittelstand kosten unbesetzte Stellen oder Fehlbesetzungen unglaubliche Summen. Active Sourcing könnte für viele eine große Hilfe sein.
Peter: Wo siehst Du die größeren Herausforderungen beim Sourcing allgemein in der Zukunft?
Barbara: Viele denken, die KI wird die Hilfe der Zukunft auch im Sourcing sein. Das glaube ich nicht, denn selbst bei allerbester KI bleibt das Kernthema die Mensch-Mensch-Beziehung. Und hier beobachte ich aktuell, dass eine immer geringer werdende Empathie auf beiden Seiten: So viele Recruiter* und Kandidaten* waren schon vor Corona überlastet. Doch der persönliche Druck steigt und Abhilfe ist nicht in Sicht: Die Herausforderungen der letzten Monate von Corona, Existenzängsten, (Zwangs-)Digitalisierung des eigenen Arbeitsplatzes und der betreuten Funktionen, den Auswirkungen des Ukrainekriegs von den unglaublich belastenden Fotos bis zur Veränderung des ganzen Systems der aktuellen Weltwirtschaft trifft Menschen in ganz unterschiedlicher Form. Das Ergebnis ist, dass nicht nur Recruiter*, sondern auch alle Kandidaten* immer mehr mit sich selbst beschäftigt sind, als mit dem Job. Man kann es daran erkennen: Viele sind weniger online, der Ton wird direkter, teilweise sogar rauer. Alle Seiten wollen sich mehr als je zuvor absichern und sind viel vorsichtiger geworden: Sie wägen lange ab, bevor sie Entscheidungen treffen. Da das Sourcing aber die von den latent-suchenden bis passiven Kandidaten eher genau diese noch nicht entschiedenen Kandidaten hat, wird es nur dann noch skalierbar erfolgreich mit zusätzlicher Empathie, Prozess Exzellenz und einem klaren Bild von der Zielgruppe bzw. Candidate Personas. Die zentrale Herausforderung ist deshalb, die Sourcing Tools systematisch zu nutzen und nicht alles dem Zufall aka Tools zu überlassen, also geht es um Prozess Exzellenz.
Peter: Meine Standardfrage kommt zum Schluss. Du bist bereits sehr oft beim HR Innovation Day dabei gewesen, warum kommst Du erneut nach Leipzig?
Barbara: Ich könnte jetzt einfach sagen: Weil ich das Glück habe, dass ausgerechnet mein Lieblingsevent auch das erste Event ist, dass nach den Corona-Einschränkungen stattfindet und ich endlich wieder live auch die Kollegen treffen werde. Nicht zu vergessen: Ich habe in den letzten Jahr Mitarbeiterinnen aus Leipzig eingestellt, die ich nun zum ersten Mal auf dem #HRInnoDay22 persönlich kennenlernen werde. Ist beides genauso auch richtig, aber dazu kommt noch, dass ich mich super auf den hochwertigen Content freue und ich schon seit Tagen grüble, welche Sessions ich besuchen werde. Du hast es mir wieder sehr schwer gemacht, aber dafür danke ich Dir ganz herzlich, weil das genau das tolle Event auszeichnet.
Meine Interviewpartnerin, Barbara Braehmer, ist Geschäftsführerin der Intercessio GmbH in Bonn. Sie sieht sich als pragmatische Talentfinderin, Expertin im ‚Finden‘ talentierter Mitarbeiter und ist Talent Acquisition Expertin, Master-Sourcerin und Autorin. Sie ist als Rednerin und Expertin sowohl Organisatorin als auch geschätzter Gast auf verschiedenen Konferenzen. Nach 20 Jahren HR-Berufserfahrung sowohl als langjährige Personalmanagerin als auch Personalberaterin gründete sie 2005 die Intercessio GmbH. Intercessio ist ein Recruiting-Consulting- und Service-Unternehmen, das seine Kunden auch durch Recruiting/Sourcing Aufträge (RPO) unterstützt und wurde vor 6 Jahren um die Intercessio-Akademie erweitert, die auf Human Resource, Recruiting und Sourcing Trainings spezialisiert ist. Barbara Braehmer ist Autorin des Buches „Praxiswissen Talent Sourcing“ und Co-Autorin des Praxishandbuches "Social Media Recruiting: Experten Know-How/Praxistipps/Rechtshinweise“ - dem bislang umfangreichsten Buch zu dieser Thematik.
]]>Wald: Liebe Frau Volejnik, würden Sie sich und Ihr Unternehmen kurz vorstellen?
Volejnik: Die T-Systems MMS GmbH ist einer der führenden Digital Dienstleister in Deutschland. Wir leben für und mit unseren Kunden unsere Vision - Experience Beyond Digital. Für Morgen. Und Übermorgen. Das bedeutet, dass wir unsere Kunden nicht nur technologisch auf dem Weg der Digitalisierung begleiten sondern vor allem auch Partner für die Transformation von Unternehmen und Organisationen sind. Wir schaffen digitale Erlebnisse für Kunden, Mitarbeiter, Partner. Mein Fokus dabei sind Ideen und Lösungen rund um New Work – Employee Experience, Digital Workspaces, Prozess Automatisierung, die intelligente Nutzung von Daten für Prozesse und Applikationen oder Nachhaltigkeit. Ich leite die Business Area New Work der MMS, in der wir diese Themen für unsere Kunden gemeinsam weiter entwickeln und natürlich auf alle Kompetenzen der MMS setzen.
Wald: Was verbinden Sie mit dem Begriff Employee Experience?
Volejnik: Employee Experience umfasst für mich alle Erlebnisse, die Mitarbeitende mit ihrem Unternehmen verbinden. Vom Bewerbungsverfahren über den ersten Arbeitstag, die Erfahrungen mit ihrer Führungskraft und ihrem Team, Prozesse und Tools in der täglichen Arbeit, Karriere und Entwicklung im Unternehmen, Zusammenarbeit in Projekten oder die Geschäftsentwicklung insgesamt. Employee Experience ist angesichts des Fachkräftemangels und der rasant wachsenden Anforderungen an die Veränderungsbereitschaft von Mitarbeitenden und Führungskräften ein Dreh- und Angelpunkt der Unternehmensführung. Nachhaltigkeit, Transformation, Digitalisierung, Resilienz sind Herausforderungen, mit denen sich alle Unternehmen auseinandersetzen müssen. Employee Experience hilft, Talente für diesen Gestaltungsprozess im Unternehmen zu finden und zu entwickeln – und ist damit Teil der Unternehmensstrategie und ein kritischer Erfolgsfaktor im Wettbewerb.
Wald: Meine Leser:innen und die Teilnehmer:innen des HR Innovation Days interessiert in diesem Zusammenhang wie Sie als IT-Dienstleister die Employee Experience gezielt beeinflussen können und wie sich dies in der Praxis umsetzen lässt.
Volejnik: Wir als Digital Dienstleister sind Berater und Umsetzer für unsere Kunden. Wir bringen unsere Digitalisierungskompetenzen mit und verbinden sie mit unseren Erfahrungen in der Organisationsentwicklung, mit agilen Methoden, dem Change Management, mit Technologien und Plattformen, die Employee Experience digital unterstützen und mit dem Know-how, wie man Prozesse und Systeme im Unternehmen digitalisiert, automatisiert und für die Mitarbeitenden besser nutzbar macht. Wir entwickeln mit unseren Kunden Konzepte, wie man für Mitarbeitende Erlebnisse im Unternehmen schafft, z.B. in Arbeitswelten, die eine optimale Verbindung aus Office und Homeoffice schaffen oder durch Intranets, die egal wo man ist eine optimale Zusammenarbeit ermöglichen. Wir unterstützen aber auch Führungskräfte, digitale Werkzeuge in der Transformation zu nutzen, ob in Bewerbergesprächen, in der Unternehmenskommunikation oder im Team. Und wir integrieren die Unternehmensinfrastruktur und automatisieren Prozesse um sie einfacher nutzbar zu machen und Zeit für kreative Aufgaben zu gewinnen.
Wald: Könnten Sie dies anhand eines Beispiel näher erläutern?
Volejnik: Eines meiner Lieblingsbeispiele ist die Einführung von Mitarbeiter-Apps, sozusagen die Verlängerung des Social Intranets auf das Smartphone. Wir integrieren die Inhalte und Möglichkeiten des Intranets mit einer App, die ich noch einfacher überall mit hinnehmen und von überall bedienen kann. Das ist einfach und damit attraktiv für das Teilen von Informationen und die Zusammenarbeit und gleichzeitig wird niemand ausgeschlossen, weil sich alles Inhalte und Funktionen auch im Intranet finden. Wer viel unterwegs ist oder mobil arbeitet – z.B. im Krankenhaus, im technischen Service oder in der Logistik – der ist immer auf dem Laufenden, kann selbst Beiträge verfassen und kommentieren, kann Anwendungen wie Umfragen oder Communities nutzen. Das schafft Verbindung untereinander und positive Erlebnisse mit dem Team und dem Unternehmen.
Wald: Schauen wir einmal in die Zukunft, wie wird sich Ihr Leistungs- und Beratungsangebot hinsichtlich der Zielstellung Verbesserung der Employee Experience verändern?
Volejnik: Unsere Kunden erwarten von uns, dass wir sie beraten, dass wir Ideen für ihre Herausforderungen mitbringen und mit ihnen Erlebnisse für ihre Mitarbeitenden schaffen, um Talente zu gewinnen und zu entwickeln. Viele dieser Ideen setzen wir digital um bzw. sie wären ohne Digitalisierung gar nicht zu denken. Ich denke, wir werden künftig noch mehr „Beyond Digital“ denken und Lösungen entwickeln. Technologien sind ein wichtiger Teil, es geht aber vor allem auch um die Entwicklung der Unternehmenskultur und der Menschen. Beides bringen wir in Einklang und nutzen dabei immer mehr auch Daten und KI.
Wald: Das Motto des diesjährigen HR Innovation Days lautet „Mit HR Unternehmen besser machen“. Welche konkreten Aufgaben können Sie oder Ihr Unternehmen dabei übernehmen?
Volejnik: Wir können unsere Erfahrungen mit der Entwicklung von HR Innovationen einbringen, unser Digitalisierungs-Know-how mit den HR Konzepten der Unternehmen verbinden, Lösungen zur Einführung neuer Prozesse oder Systeme anbieten, Mitarbeitende und Führungskräfte in der Transformation beraten und unterstützen. Und wir können den Austausch zwischen Unternehmen anregen und Best Practices teilen.
Wald: Ich bin mir sicher, dass die Teilnehmer von Ihrer Keynote viele Anregungen zum Nachdenken aber auch zum Umsetzen erhalten werden. Meine Standardfrage zum Abschluss der Vorab-Interviews lautet jedoch: Warum kommen Sie zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Volejnik: Ich finde das Thema dieses Jahr sehr spannend und ich freue mich einfach, nach 2 Jahren Pandemie wieder live mit Experten zu diskutieren und Ideen auszutauschen.
Wald: Herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch. Ich freue mich sehr auf Ihre Keynote.
Zu meiner Gesprächspartnerin: Ulrike Volejnik ist seit 2012 Mitglied der Geschäftsleitung der T-Systems Multimedia Solutions GmbH. Zuvor war sie in verschiedenen Positionen im Bereich Produktmanagement bei der Deutschen Telekom tätig und bekleidete mehrere leitende Positionen bei der T-Systems MMS. Seit Anfang 2019 verantwortet sie darüber hinaus die Business Area New Work von T-Systems, die mit rund 500 Mitarbeitern den Digitalen Arbeitsplatz von morgen gestaltet. In dieser Funktion begleitet sie Unternehmen auf ihrem Weg der digitalen Transformation. Ulrike Volejnik ist Spezialistin für die Identifizierung und Etablierung effizienter Formen der Zusammenarbeit, die einen Großteil des Digitalisierungsprozesses ausmachen.
]]>Wald: Liebe Frau Friedrich, herzlichen Dank, dass Sie unser Event unterstützen.
Friedrich: Ich habe mich sehr über die Anfrage gefreut und teile gerne meine Erfahrungen. Besonders freue ich mich auf den Austausch mit den anderen Speaker*innen und Teilnehmer*innen.
Wald: Können Sie Staffbase kurz vorstellen?
Friedrich: Staffbase ist ein Unternehmen, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, die interne Kommunikation zu revolutionieren. Wir bieten eine Interne Kommunikationsplattform mit der Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen auf verschiedenen Kanälen erreichen können. An einem Ort können Redaktionspläne erstellt werden, Kampagnen geplant und per Mitarbeiter-App, E-Mail, Front-Door Intranet oder via Sharepoint oder Teams geteilt werden. Unsere mehr als 2.000 Kunden erreichen weltweit über 13 Mio. Mitarbeiter*innen. Dabei begleiten wir unsere Kunden bei Veränderungsprozessen und bieten ihnen eine Community mit anderen internen Kommunikatoren. Staffbase beschäftigt mehr als 700 Mitarbeiter*innen in 7 Ländern.
Wald: Sie sind für ein Unternehmen tätig, das eine App für die Mitarbeiterkommunikation erfolgreich und mittlerweile auch international anbietet. Wie steht es um die Mitarbeiterkommunikation bei Staffbase selbst?
Friedrich: Interne Kommunikation ist eine meiner Kernaufgaben. Wir nutzen unsere eigenen Produkte natürlich selbst. Wir kommunizieren über 10 Stunden Zeitverschiebung! Das bedeutet, dass sehr viele Informationen und News über unsere App an alle Mitarbeiter*innen verteilt werden. Es gibt auch Kanäle für bestimmte Teams und Standorte, sodass jede/r mit den passenden Inhalten versorgt wird. Im Zentrum unserer Bemühungen steht dabei immer eine gute Employee Experience. Wir überlegen sehr genau, welche Informationen in welcher Form am Besten geteilt werden. Genauso teilen unsere internationalen Teams aber auch Success Stories, Fotos von Team Events und die neuesten Office News auf unserer Social Wall. So können sich alle vernetzen auch wenn sie nicht am gleichen Standort arbeiten.
Wald: Dies wird mMn auch am Titel Ihres Bereiches ablesbar. Die Fokussierung Ihres Bereiches auf das Thema Employee Experience halte ich für richtig und erfolgversprechend. Wie zeigt sich dies bei der täglichen HR-Arbeit?
Friedrich: Wir beziehen Mitarbeiter*innen in unsere Prozesse ein, denken also immer zuerst aus deren Sicht. Unser Ziel ist es, dass sich Menschen bei Staffbase wohlfühlen und alle notwendigen Informationen, Materialien und Prozesse haben, um produktiv und mit Spaß arbeiten zu können. Wir denken dabei immer in "Moments that matter" - also der Erstkontakt im Recruitment Prozess, die Unterschrift des Arbeitsvertrages und der erste Arbeitstag. Das sind nur ein paar Beispiele bei denen wir die Experience der Mitarbeiter*innen in den Fokus rücken.
Wald: In der letzten Zeit hat Staffbase einige andere Firmen übernommenen, gibt es hier Dinge die Sie persönlich als besondere Lernerfahrungen hervorheben können?
Friedrich: Ein gutes Erwartungs-Management ist sehr wichtig. Also, was können die neuen Mitarbeiter*innen in den nächsten Monaten erwarten, was wird sich verändern und wie. Sie müssen dabei mitgenommen und gehört werden sowie Teil der Lösung werden. Transparenz schafft Vertrauen und wird durch eine gute interne Kommunikation unterstützt.
Wald: Meine Standardfrage stelle ich wie immer zum Schluss. Warum kommen Sie mit einer Keynote zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Friedrich: Netzwerken. Ich konnte in meiner beruflichen Laufbahn wertvolle Erfahrungen sammeln, die ich gerne an andere weitergeben möchte. Im Erfahrungsaustausch mit anderen kann ich immer wieder Neues lernen und Kontakte knüpfen. Und wo geht das besser als auf einem Event von HRlern für HRler?!
Marie Friedrich ist VP People Experience bei Staffbaseund leitet damit den globalen People Experience-Bereich. An diesem Titel ist deutlich ablesbar, dass sie sich als Gestalterin von Erfahrungen für die Mitarbeiter versteht. Ihr Team besteht aus 41 Mitarbeiter*innen. Vorher war sie u.a. bei Volkswagen und Porsche tätig und hat Wirtschaftswissenschaften und Personalmanagement an der Technischen Universität Chemnitz studiert.
]]>Wald: Vornweg herzlichen Dank, dass Sie unser Event mit einer Keynote zu einem so aktuellen Thema unterstützen.
Nowicki: Mein Dank gilt Ihnen. Es freut mich, dass Sie diesem Thema Raum geben möchten, und zwar aus der Innen-Perspektive einer größeren Organisation, die sich seit mehreren Jahren in der holakratischen Praxis übt. Aus dieser Perspektive sind Vorteile, Herausforderungen und offene Fragen – speziell auch bezüglich der Rolle des HR-Bereichs – noch einmal anders zu betrachten als es einem externen Berater möglich wäre, der Unternehmen nur vorübergehend begleitet.
Wald: Könnten Sie sich kurz vorstellen? Wie sind Sie zum Thema Holokratie gekommen?
Nowicki: Tatsächlich war ich mehr als 17 Jahre lang als selbstständige Organisationsberaterin, - entwicklerin, Trainerin und Coach tätig, bevor ich zu Hypoport und in ein Anstellungsverhältnis wechselte. Und genau die oben genannte, mir immer fehlende Perspektive war für mich der entscheidende Grund dafür: Ich wollte den Transfomationsschmerz, den die Implementierung von Holakratie verursacht, als Teil einer Organisation fühlen und beantworten lernen. Als ich 2009 das erste Mal mit Holakratie in Berührung kam, war mir sehr schnell klar, dass in dieser Art der Unternehmensführung eine große Chance liegen würde. Gleichzeitig – und dies verstärkte sich während meiner Ausbildung bei Brian Robertson seit 2010 – sah ich Lücken. Aus meiner Perspektive als Pädagogin im Erstberuf fehlte es vor allem an einer methodisch-didaktischen Grundlegung für die Implementierung von Holakratie. Dies beinhaltete auch die Betrachtung, unter welchen Voraussetzungen dieses Betriebssystem (bzw. diese soziale Technologie) für Unternehmen überhaupt als geeignet gelten konnte und welche Voraussetzungen eher eine Kontraindikation darstellten. Sehr schnell tauchte bei mir die Sorge auf, dass Unternehmen etwas begründet als Chance verkauft werden konnte, ohne dass die Entscheider selbst auch nur antizipieren konnten, was es in der Praxis bedeuten könnte und welche Konsequenzen dies nach sich ziehen würde.
Wie ich diese Sorge in meiner Beratungstätigkeit wenig später als Realität erleben konnte, werde ich gern in meinen Vortrag erzählen. Heute arbeite ich unter anderem in der Rolle Lead Link Organization & Learning in der Hypoport hub SE, einer Ausgründung der Hypoport SE, in der die Corporate Functions für das gesamte Hypoport-Netzwerk abgebildet sind. Von hier aus tragen wir mit Beratungs-, Trainings- und anderen Lernformaten das Thema „Bewusste Führung“ in die Hypoport-Unternehmen. Wir unterstützen Unternehmer:innen im Rahmen der „Führung am System“ eine bewusste Entscheidung für das „Betriebssystem“ ihres Unternehmens zu treffen, ohne dass es sich dabei um Holakratie handeln müsste. Genauso stehen wir für differenzierende Dialoge über Führung sowie die Begleitung von Unternehmer:innen, Führungskräften und Mitarbeitenden hinsichtlich der Führung ihrer Rollen, ihrer Mitarbeitenden und ihrer selbst zur Verfügung. Auch dies tun wir unabhängig davon, ob wir mit Kolleg:innen aus holakratischen Organisationen oder nicht-holakratischen Organisationen arbeiten. Gleichzeitig spielen bestimmte Konzepte aus der Holakratie auch in unseren Angeboten für nicht-holakratische Organisationen eine große Rolle.
Wald: Ich habe bislang viel über Holokratie gelesen auch über die oft zitierten Bespiele wie Zappos. Warum denken Unternehmen über die Einführung von Holokratie nach? Gibt es hier einen Veränderungsdruck in Richtung Holokratie?
Nowicki: Der Veränderungsdruck weist meines Erachtens nicht in Richtung Holakratie, sondern vor allem in Richtung höherer Grade an Selbstorganisation in Organisationen. Die sich schnell wandelnde Umwelt erfordert von Unternehmen flexibles, zügiges Antworten und Entscheiden. Durch die entstandene und sich ausweitende Komplexität, sollte dies deshalb nach Möglichkeit dort vollzogen werden, wo auch gehandelt wird. Wird jede Entscheidung an der Unternehmensspitze getroffen, bekommen wir einen Entscheidungsstau, wir werden langsam und nutzen nicht das beste Potenzial, das wir haben – die kollektive Intelligenz. Entscheidend ist also die Frage, wie wir die Kompetenz zu mehr individueller und kollektiver Selbstorganisation, die auch eine Haltungsänderung bedeutet, aufbauen können. Leider habe ich häufig erlebt, dass sich Unternehmer:innen vorstellen, mit Holakratie den magischen Schlüssel zu bekommen. Manchmal reicht dabei schon der Hinweis, dass Mitarbeitende zukünftig eigenverantwortlich handeln und Meetings effizienter ablaufen. Auch die Hoffnung, das unerklärliche „Phänomen Mensch“ durch die holakratische Praxis strukturierter handhaben zu können, ist für den einen oder anderen verführerisch. Ein ganzheitlicher Blick inklusive aller Vorteile und Herausforderungen wird in meiner Wahrnehmung noch zu selten eingenommen. Dies wäre aber notwendig, damit Holakratie mit ihrem sehr hohen Anspruch an Selbstorganisationskompetenz als Antwort auf den Veränderungsdruck nur dort eingesetzt wird, wo die Voraussetzungen wirklich erfolgsversprechend sind. Es sei denn, wir betrachten die mit Verfassung 5 zum ersten Mal hoffähige, modulare Implementierung, die nicht zwingend die Implementierung der gesamten Verfassung umfassen muss.
Wald: Kann Holokratie überhaupt in alte Organisationen „gebracht“ werden? Oder muss dies aus der Organisation heraus wachsen?
Nowicki: Das kommt darauf an, was Sie unter „alten“ Organisationen verstehen. Wenn Sie damit Unternehmen meinen, deren Inhaber:innen oder Geschäftsführer:innen Angst und Vorbehalte haben,
- Führung neu, das heißt vor allem differenzierter zu denken,
- die eigenen Kontrollwünsche teilweise abzulegen
- sich selbst zu Lernenden zu machen und auch Fehler zuzugeben,
- sich und ihr Handeln auch mit Humor zu betrachten,
dann ist von einer Entscheidung für Holakratie dringend abzuraten. Selbst wenn innerhalb einer Organisation einige Personen oder ganze Teams höhere Grade selbstorganisierten Handelns zeigen oder zeigen könnten: Ein Unternehmen kann nur dann vollends von Holakratie profitieren, wenn die Geschäftsleitung ernsthaft selbst an einer guten holakratischen Praxis interessiert ist und sich selbst dazu verpflichtet – mit allen Kosten, die eine Implementierung bedeutet.
Wald: Der Prozess der Implementierung von Holokratie bei der Hypoport SE wurde durch die Ausgründung der Corporate Functions als Hypoport hub SE erschwert. Der neue (größtenteils holokratisch arbeitende) Hub sollte einen Produktkatalog als Leistungsrahmen zwischen den Hypoport-Unternehmen und dem hub etablieren. Wie konnten holakratische Praxis und der notwendige Transformationsprozess zusammengebracht werden?
Nowicki: Eine umfassende Antwort würde den Rahmen dieses Interviews definitiv sprengen. Vielleicht genügt hier zumindest folgende kurze Antwort: Das holakratische Regelwerk wird von vielen Mitarbeitenden als starr, sehr umfangreich und komplex erlebt. Schnell kam an vielen Stellen die Befürchtung auf, etwas nicht richtig zu machen. Das zeitgleiche Erlernen und Praktizieren von Holakratie neben der Mitarbeit im neu aufgesetzten Prozess zur Erstellung des genannten Produktkatalogs, wurde zu einer Last, die womöglich auch den einen oder andern an seine persönliche Grenze brachte.
Die Hauptbemühung in dieser Phase der Holakratie-Implementierung bestand in zwei Interventionen:
(1) Wir versuchten mehr psychologische Sicherheit aufzubauen und ermutigten unsere Kolleg:innen dazu, den Umgang mit Holakratie spielerischer zu betrachten. Wir nahmen ihre Bedenken ernst und eröffneten noch expliziter Räume für den Diskurs über Holakratie und diesbezügliches Probehandeln. Außerdem erzählten auch wir als Berater:innen von unseren ersten Gehversuchen mit Holakratie, von Zweifeln und vom Scheitern.
(2) Gleichzeitig nahmen wir Anfragen zu konkreten Problemen im Alltag sehr ernst und unterstützten Kolleg:innen dabei, einen differenzierteren Blick zu entwickeln. Viele Herausforderungen hatten ihren Ursprung nämlich tatsächlich nicht in der Holakratie, sondern wurden durch sie nur viel schneller sichtbar. Dies half, das Wirken von Holakratie besser zu verstehbar zu machen und sie nicht für Schwierigkeiten verantwortlich zu machen, die ohne sie ebenso exisitiert hätten. Im Gegenteil, die schnell entstehende, hohe Transparenz in diesem Betriebssystem ermöglicht in der Folge zügigeres, hilfreiches Handeln.
Wald: Interessant fand ich auch die folgende These: Nur wenn die Beziehung zwischen dem Ich und der Holakratie gelingt, wird Holakratie akzeptiert und nachhaltig praktiziert.
Nowicki: Brian Robertson hat immer darauf hingewiesen, dass er zwischen dem Kontext der Organisation und dem Kontext der Person unterscheidet. Der Kontext der Person hat bei der Entwicklung von Holakratie keine Rolle gespielt. Die Frage nach Team-Events, Team-Entwicklung, Entwicklung von Menschen als Aufgabe oder kulturelle Aspekte wurden ganz einfach ausgeklammert. Der Diskurs über oder Maßnahmen zur Rücksichtnahme auf den Menschen, seine Motivation sich für Holakratie zu interessieren sowie seine (Selbst-)Lernkompetenzen wurden im ursächlichen Implementierungsprozess nicht „mitgeliefert“. Vielen erschien dieses Vorgehen sehr mechanistisch. Für die Bearbeitung entstehender Zweifel und Widerstände gab es keine Räume. Weil für mich persönlich die Beziehung der Menschen zu sich selbst, zu anderen und zu ihrer aus Natur, Organisationen, Dingen und Konzepten (wie Holakratie) bestehenden Umwelt schon immer mein größtes Interesse war, also die Beziehung als sogenanntes „drittes Element“, sah ich es im Rahmen von Implementierungen als unumgänglich an, diese Räume zu schaffen. (Das ist übrigens nach den holakratischen Regeln absolut erlaubt.) Nur wenn sich das Ich mit der Holakratie verbinden wollen kann und sich ihr fragend und in seinem eigenen Tempo nähern darf, werden wir eine reiche holakratische Praxis entwickeln. Hierfür braucht es in meinen Augen eine beherzte Holakratie.
Wald: Welche Rolle kann HR im Kontext von Holokratie spielen?
Nowicki: Lieber Herr Wald, hier würde ich mir die ausführliche Antwort gern für meine Keynote aufheben. Doch soviel sei gesagt: Die Rolle von HR wird genauso wenig überflüssig wie Führungsarbeit selbst. Vielfach wird vermeintlich kurzgeschlossen, dass es in der Holakratie keine Führung gibt. Das stimmt so nicht. Führungsaufgaben werden anders verteilt, und die Ausübung dieser neuen Führungsrollen will gelernt werden. Ebenso hat die Unterscheidung zwischen Mensch und Rollenfüller (oder gemäß der neuen Holakratie-Verfassung Role Lead) zur Folge, dass auch HR und die Aufgaben von HR anders zu begreifen sind. Das sehe und erlebe ich derzeit als große Herausforderung. Hier gibt es wirklich enorm viel zu tun. Und was es dabei für jeden HR-Mitarbeitenden vor allem braucht, ist eine eigene, interessierte und professionelle Beziehung zu Holakratie inklusive einer großen Portion Pioniergeist.
Wald: Meine Standardfrage zum Abschluss der Vorab-Interviews lautet wie immer. Warum kommen Sie zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Nowicki: Ich muss ehrlich sein, zunächst einmal, weil Sie mich eingeladen haben. Vielen Dank noch einmal dafür. Aber es gibt natürlich auch andere Gründe. Insbesondere freue ich mich auf hoffentlich viele unterschiedliche Menschen, die ähnliche Interessen teilen und Freude am Diskurs haben. Außerdem gebe ich gern meine inzwischen recht vielfältigen Erfahrungen mit Holakratie- Implementierungen weiter. Vor allem hege ich die Hoffnung, dass sich dadurch andere Menschen, wenn sie zukünftig mit Holakratie in Berührung kommen, nicht durch den vermeintlichen Hype verführen lassen. Ich wünsche mir ein bewusstes Hinschauen, welche Voraussetzungen für eine Holakratie-Implementierung unbedingt gegeben sein sollten und einen allzeit beherzten Umgang mit der holakratischen Praxis.
Meine Gesprächspartnerin Stephanie Nowicki arbeitet seit Oktober 2019 für Hypoport - zunächst im Kreis hola::be der Hypoport Muttergesellschaft. Seit der Ausgründung ist sie in der Hypoport hub SE als Lead Link "Organization & Learning" für die Integration der Felder Organisationsentwicklung, Holakratie-Implementierung, People Development und Lernen zuständig. Stephanie Nowicki war in ihrem ersten Beruf Studienrätin an Sonderschulen für Kinder mit geistigen und schwersten Mehrfachbehinderungen und arbeitete danach mehr als 17 Jahre im eigenen Beratungsunternehmen in den gleichen Feldern wie in der Hypoport hub. Ein zusätzlicher Schwerpunkt in ihrer Coaching-Arbeit liegt seit langem in der Biographiearbeit zur Unterstützung der persönlichen Identitätsfindung.
]]>Peter: Vornweg herzlichen Dank, dass Du mich erneut - nach der langen Corona-Pause - beim HR Innovation Day unterstützt. Und auch vielen Dank für den Input in einer meiner Vorlesungen zum Themenbereich Entgeltmanagement.
Philipp: Jederzeit, Peter. Mir liegt der HR Innovation Day am Herzen und auch die Arbeit mit Schüler:innen und Studierenden bereitet mir viel Freude. An meiner alten Schule werde ich z.B. nächstes Jahr als Wirtschaftsexperte die Gründung eines Schüler-Unternehmens unterstützen.
Lisanne: Mir geht es genauso. Ich werde deswegen auch bald mit der Arbeit an der gradar Academy beginnen, die das Ziel haben wird HR`lern und Interessierten das Thema Vergütung näher zu bringen und diese zu “enablen”. Unsere Kurse (sobald diese fertig sind) stellen wir dann deinen Studierenden gerne kostenlos zur Verfügung.
Peter: Was mich erst einmal besonders interessiert: Wie ist es Dir und Gradar in den letzten Jahren ergangen, lieber Philipp?
Philipp: Sehr gut. Wir sind in den letzten Jahren enorm gewachsen. Inzwischen haben wir Tochtergesellschaften in Großbritannien und den Vereinigten Staaten und arbeiten mit zwei afrikanischen Regierungen zusammen, um deren Grading-Systeme online zu bringen. Das ist irgendwie verrückt, wenn man bedenkt, dass wir noch nicht mal ein eigenes Büro haben. ????Darüber hinaus haben wir auch unser Tool umfassend weiterentwickelt. Inzwischen können wir neben der Stellenbewertung auch verschiedene Echtzeit-Vergütungsanalysen durchführen und bei der Entwicklung von Gehaltsbändern & Co unterstützen.
Lisanne: Besonders möchte ich die Fähigkeiten im Bereich der Gender Pay Gap Analyse hervorheben. Diese erleichtert Unternehmen, das Thema Entgeltgerechtigkeit im eigenen Unternehmen zu implementieren. Aber dazu am HR Innovation Day auch mehr.
Peter: Das Thema Equal Pay stand bereits im Mittelpunkt Deines Beitrags zum HR Innovation Day 2015. Warum ist dies immer noch aktuell? Oder anders gefragt, warum geht es hier so langsam voran? Hatten wir nicht in der Zwischenzeit die Einführung des Entgelttransparenzgesetzes?
Philipp: Mehr denn je! Man muss nur gucken, was die Europäische Kommission plant. Da gibt es momentan einen Richtlinien-Entwurf, der Unternehmen dazu bringen soll:
- Lohntransparenz für Arbeitssuchende herzustellen, also Gehälter in Stellenanzeigen zu veröffentlichen,
- ihren Arbeitnehmern Auskunft über das Einkommen ihrer Peers zu geben, die gleiche oder gleichwertige (!) Arbeit leisten,
- über das geschlechtsspezifische Lohngefälle im Unternehmen jährlich Bericht zu erstatten, und
- gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern eine Entgeltbewertung vorzunehmen, wenn der bereinigte Gender Pay Gap >5% ist.
Das EntgeltTransparenzGesetz (EntgTransG) ist dagegen das Papier nicht wert auf dem es gedruckt wurde und hat keines der angedachten Ziele erreicht.
Lisanne: Wir sind das einzige Unternehmen weltweit, das ein Software-Produkt anbietet, das Stellenbewertung, Gender Pay Gap Analyse und Vergütungsstrukturierung vereint, um Unternehmen effektiv bei Maßnahmen zur Herstellung von Entgeltgerechtigkeit zu unterstützen.
Andere bieten ihre Tools nur in Kombination mit Beratungsdienstleistungen an. Wir sind uns sicher, dass HRler die Owner des Vergütungsmanagements sein sollten und dabei unabhängig von einer externen Beratung agieren können. Gradar ist somit ein echter "Game Changer" in diesem Bereich und hat das Potenzial, unseren gesamten Markt zu verändern.
Peter: Philipp, Du sprichst in dem Workshop-Titel von Bereitschaft zu Equal Pay. Was meinst Du damit?
Philipp: Bereitschaft hat mit Wollen und Können zu tun, wobei das Können sich noch weiter runterbrechen lässt auf Datenverfügbarkeit i.S. kann ich mit meinen Daten überhaupt etwas auswerten, Ressourcen, i.S. habe ich die Zeit und das Wissen, um den Gender Pay Gap zu analysieren, zu verstehen und mit Hilfe von zielgerichteter Strukturarbeit zu beheben.
Lisanne: Ein Unternehmen muss sich auf den Weg machen, das Thema gesamthaft anzugehen, z.B. basierend auf einer Stellenbewertung. Nur so kann man im Zusammenhang mit weiteren Faktoren, wie Alter, Jobfamilie etc. wirklich feststellen, ob ein Gender Pay Gap vorliegt. Zu den Zusammenhängen hört ihr auch in unserem Workshop mehr.
Peter: 2015 hast Du nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer systematischen Analyse der Datenlagen hingewiesen, „um anstelle von hitziger Polemik“, „die Probleme auf Basis von belegbaren Fakten zu identifizieren und zu lösen.“ Ist dies so passiert?
Lisanne: Das EntgTransG hat jedenfalls nichts zu einer evidenzbasierten Herangehensweise beigetragen. Wir sehen jedoch den Effekt von Diversity, Equity and Inclusion (DE&I) Reporting insb. in Großunternehmen, die sich diesen Themen in den letzten Jahren verstärkt in ihren ESG-Berichten widmen.
Philipp: Wird der Gender Pay Gap dort nicht berichtet, ist dies ein guter Indikator dafür, wie ernst das Unternehmen es mit DE&I meint.
Peter: Was sollte sich hier aus Deiner Sicht ändern?
Philipp: Einführung einer „Gender Pay Gap“ Analyse- und Berichtspflicht ab Unternehmensgröße von 250 Mitarbeitern. Einführung von Stellenbewertung und Gehaltsstrukturen, Angabe von Gehaltsspannen in Stellenanzeigen, sowie Angabe der Anzahl von Unterschreitern und Überschreitern von Vergütungsstrukturen innerhalb des Unternehmens in einem Equal Pay Jahresbericht.
Peter: Was sagen Dir die vorhandenen Daten zur Wirkung des Umgangs mit Equal Pay im europäischen Vergleich?
Philipp: Die Evidenz ist noch begrenzt, aber sie zeigt, dass die Herstellung von Lohntransparenz auf der Mikro-Ebene, also im Unternehmen, vielversprechend ist, um den Gender Pay Gap zu schließen.
Auf der Makro-Ebene helfen insb. Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie zur Reduzierung der Teilzeitarbeitsquote von Frauen und eine Reduktion des Gender Care Gaps.
Peter: Von wem sollten oder können wir hier lernen?
Lisanne: Frankreich, Großbritannien und Spanien sind uns “Deutschen” weit voraus. Hier gibt es verschiedene gesetzlichen Regelungen, die Unternehmen dazu bringen das Thema Entgelttransparenz weiter zu fördern. Beispielsweise ist in Spanien eine Analyse zum Thema Vergütung und Gender Pay Gap für jedes Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden Pflicht. In Deutschland hingegen haben wir keine zwingende Regelung. Das Entgelttransparenzgesetz gilt als “zahnloser Tiger”.
Peter: Philipp, Du bist ja auch schon mehrere Male als Inputgeber beim HR Innovation Day gewesen, warum kommst Du erneut nach Leipzig?
Philipp: Wegen der guten Leute, der guten Inhalte und dem Networking in einem entspannten Umfeld.
Philipp Schuch gründete im Jahr 2014 das HR-Tech-Startup QPM GmbH. Hier hat er mit seinem Team das Stellenbewertungssystem www.gradar.com entwickelt. Philipp ist zudem Fellow des Center of Evidence Based Management www.cebma.org. Lisanne Metz ist Manager Business Development & Consulting bei gradar und eine erfahrene Stellenbewerterin und Vergütungsmanagerin. Sie arbeitet seit Juni 2022 im gradar Team, mit Philipp arbeitet sie jedoch schon seit 2,5 Jahren zusammen. Die beiden werden sich allerdings erstmalig im Zug nach Leipzig zum HR Innovation Day in persona treffen.
Peter: Vornweg ganz herzlichen Dank, lieber Irg, dass Du wieder mit einem Workshop dabei bist. Ich bin froh, dass Du einen so interessanten Gesprächspartner mitbringst. Und: Es ist sehr freundlich, dass wir die Gelegenheit für ein Gespräch im Vorfeld gefunden haben.
Irg: Und ich freue mich, dass du mich wieder eingeladen hast, einen Beitrag zum HR Inno Day leisten zu können. Ja, mit Dr. Tobias Duffner ist wieder jemand mit dabei, der eine besondere Perspektive mit mir gemeinsam einbringen kann. Fußball ist die in Deutschland bei weitem beliebteste Sportart, so dass es sicher interessant sein wird, einen Vertreter mit Erster-Hand-Erfahrungen mit einem Workshop mit dazu zu holen. Nicht zuletzt nachdem nun RB Leipzig kürzlich den DFB Pokal in die Stadt gebracht hat. Aber Tobias hat nicht nur die Fußball-Brille auf, sondern hat den Sprung in die Beratung geschafft und macht seine Erfahrungen als Management Consultant bei den undconsorten. Super spannend, da er so beide Erfahrungen zusammenbringen kann und Unternehmen dadurch eine außergewöhnliche Perspektive bieten kann. Und für mich natürlich einer von den AthletInnen, die anderen AthletInnen und Unternehmen zeigen, dass AthletInnen eben mehr sind als nur SportlerInnen.
Peter: Wie ist es Dir und Patparius seit unserer letzten Begegnung ergangen?
Irg: Vielen Dank der Nachfrage, Peter, alles in allem eigentlich ganz gut. Natürlich waren die vergangenen zweieinhalb Jahre eine Herausforderung. Aber wir vom Sport nehmen die Dinge wie sie sind und machen dann das beste daraus. Corona hat uns allen gezeigt, dass wir nichts für gegeben nehmen dürfen, dass es wichtig ist, wachsam zu sein und füreinander dazu sein. Natürlich waren Themen wie Resilienz und Leadership bei uns und bei den Unternehmen auf der Agenda. Auch die Kommunikation miteinander und das Vertrauen auf die Distanz war für viele im Unternehmen eine große Herausforderung - was durchaus auch Themen für AthletInnen sind, die wir mit ihnen gemeinsam in Unternehmen tragen. Auch hier können jetzt, wenn wieder mehr onsite gearbeitet wird, Teams in Unternehmen davon profitieren, wenn sie akademisch gebildete und gut qualifizierte noch aktive oder ehemalige AthletInnen im Unternehmen integrieren. Diese Integration ist nicht immer einfach, aber auf Sicht lohnt sich das Bemühen auf beiden Seite, auf Seiten der Sportlerin bzw. des Sportlers und auf Seiten der verantwortlichen Führungskräfte in Unternehmen, die Integration zum Gelingen zu bringen. Hier kann sicher auch Tobi ein paar Worte dazu sagen.
Peter: Nun zu Ihnen, lieber Herr Duffner, ein Blick auf Ihre Lebensgeschichte verrät, dass Sie in zwei Lebensbereichen „Extremaufgaben“ übernommen haben. Im Sport war es der Profifussball und in der Wirtschaft ist es die Beratertätigkeit. Gibt es zwischen diesen Extremen Parallelen und Unterschiede?
Tobias: Parallelen und Unterschiede gibt es natürlich. Bei Dingen, die ich ernsthaft tue, spielt oft die steile Lernkurve eine wichtige Rolle. Ich suche mir gerne Herausforderungen, die mich am Ende auch als Mensch wachsen lassen. Zudem ist natürlich auch das kompetitive Element für mich wichtig. Ich will herausgefordert werden, mich messen und bestmöglich, am liebsten im Team, performen. Das Messen ist natürlich im unternehmerischen Umfeld für mich nicht mehr derart entscheidend, wie es im Fußball war. Klar gibt es weitere Parallelen: Es geht am Ende sowohl im Fußball als auch im Unternehmen um Leistung von Menschen. Diese Leistung muss meistens im Team in einem gegebenen Umfeld erbracht werden, oft in Drucksituationen, die förderlich, aber auch belastend sein können. Aber natürlich gibt es auch Unterschiede, gerade auch um den Aspekt der Leistungserbringung. Im Unternehmen ist die Leistung wichtig, ganz klar, aber es spielen auch mitunter politische und menschliche Aspekte mit ein, die im Sport teilweise auch vorhanden sind, aber weniger ausgeprägt. Im Sport ist die individuelle Leistung enger mit dem Ergebnis verknüpft als es im Unternehmen der Fall ist, insbesondere auf der Position des Torwarts. Macht dieser einen Fehler, kann das oft spielentscheidend sein. Auf der anderen Seite können es oft auch Einzelleistungen sein, die ein Spiel positiv entscheiden. Der eigene Beitrag ist somit klarer auszumachen. Und Irg hat es kurz anklingen lassen, die Unterschiede sind für uns AthletInnen auch eine große Herausforderung, wenn wir in die Businesswelt wechseln. Irg und ich diskutieren auch diese Dinge, wie man damit umgehen kann.
Peter: In einem Interview beschrieben Sie Ihre Erfahrung, dass viele Recruiter eher den klassischen Bewerber suchen, der einen für die Beratung “perfekten” Lebenslauf vorweisen kann und die Dinge, die einen ehemaligen Profisportler auszeichnen, wie Engagement und das Mindset, oft keine Rolle spielen. Davon berichten auch viele andere Bewerber in anderen Bereichen. Haben Sie dafür inzwischen eine Erklärung?
Tobias: Naja, natürlich ist es auf kurze Sicht für Unternehmen schlicht einfacher, BewerberInnen zu integrieren, die auf der einen Seite die Rollen exakt mit ihren Profilen abdecken und auf der anderen Seite in gewisser Weise so sind, wie die MitarbeiterInnen und Führungskräfte, die schon im Unternehmen arbeiten. Hier wird meiner Ansicht nach viel Potenzial verschenkt, denn Teams und Unternehmen wachsen ja gerade dadurch, dass sie neue Perspektiven zulassen. Heutzutage geht es nicht darum, alles so zu tun, wie man es immer getan hat, sondern die Dynamik erfordert neues, anderes Denken von den Unternehmen. Gerade die letzten Jahre haben nochmals mehr Schwächen bei den Unternehmern aufgedeckt, die dringend ein anderes Mindset erfordern, um im Wettbewerb bestehen zu können.
Peter: Irg, wie können hier Änderungen im Mindset der Unternehmen bewirkt werden? Wie kannst Du Sportlern dabei helfen, dass ihre besonderen Stärken besser erkannt, akzeptiert und vor allem auch genutzt werden?
Irg: Für mich ist immer das Wollen der Ansatzpunkt. AthletInnen wollen morgen besser sein als sie es heute sind. Natürlich haben sie auch Leistungsdruck, aber sie kommen vom Wollen. Sie wollen dazulernen. Sie wollen sich herausfordern, sie wollen Fehler machen, um sich entwickeln zu können. Und ich finde es immer extrem schade, wenn der Aspekt Optimierung und Leistung immer in diese Druck- und Müssensecke gepackt wird. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wo dieses Wollen herkommt. Am Ende kommt es tatsächlich aus dieser Sinn/Purpose-Ecke. Wer einen Sinn in einer Aufgabe sieht, gibt das Beste, um sie zu lösen. Je bedeutender der Sinn ist, desto mehr will man es so gut lösen, wie es möglich ist. Die SportlerInnen spüren diesen Sinn in ihrem Tun. Deshalb gehen sie die Extrameile, um das Beste aus sich herauszuholen. Wenn ich mit Führungskräften arbeite, geht es auch viel um dieses Warum. Warum tut man etwas? Was will man damit erreichen? Wie kann man den Link von diesem Warum zu dem täglichen Tun setzen? Wenn das gelingt, ist man bereit, sich einzusetzen und im Zweifel die Extrameile zu gehen. Bei der Arbeit mit SportlerInnen geht es dann eher darum, den Switch vom Sport zum Business hinzubekommen und das aus dem Sport Bekannte und Erfahrene in die Unternehmenswelt ganz praktisch und nutzbar zu transferieren. SportlerInnen müssen erkennen, dass sie mehr sind als die Athletin, der Athlet. Und dieses Erkennen hat viel damit zu tun, sich mit anderen Themen zu befassen, zu lernen zu erkennen, welche Parallelen und welche Unterschiede es gibt. Hier haben wir einen speziellen Coaching-Ansatz, um die AthletInnen in diese andere Welt zu bringen, um in anderem Umfeld, im Business, ebenfalls zu performen und zu besonderen MitarbeiterInnen bei Unternehmen zu werden.
Peter: Der Titel des Workshops bietet einen guten Ausgangspunkt für Diskussionen. Nicht nur beim Fussball bleibt vieles beim Alten und Neues muss entwickelt in eingebracht werden. Wie können hier Unternehmen von den vielfältigen Veränderungen z. B. im Profifußball bzw. beim Sport insgesamt lernen?
Irg: Um eine recht simple, aber am Ende zutreffende Antwort zu geben: Die Situation annehmen und das möglichst beste daraus machen. Für sich herausfinden, warum man etwas tut und dies dann auch im Empfinden positiv belegen. Es bringt nichts zurückzuschauen und sich an die gute alte Zeit zu erinnern. Beklagen kostet wertvolle Energie und trägt nicht dazu bei, dass im nächsten Spiel eher ein Tor geschossen wird, als es im vergangenen Spiel geschehen ist. Im Fußball, im Profisport im allgemeinen, wird viel Energie darauf verwendet, im Detail zu analysieren, um Rückschlüsse zu ziehen und diese dann praktisch umzusetzen. Diese Klarheit hilft natürlich auch bei Veränderungen. Hier ist aus meiner Sicht auch ein Ansatz, wo Unternehmen noch besser werden können: Klarere, vielleicht auch mutigere, Entscheidungen auf Basis gefahrener Analysen, die zu belastbaren Rückschlüssen geführt haben. Und ganz wichtig, MitarbeiterInnen dabei in Entscheidungsprozessen auch wirklich mit einbeziehen und die Entscheidungen dort treffen, wo die Expertise ist.
Tobias: Ich kann noch hinzufügen, dass in Veränderungsprozessen auch die Feedback-Kultur eine sehr wichtige Rolle spielt. Vielleicht fällt mir dies als ehemaliger Athlet auch im Besonderen auf. Feedback wird in Unternehmen anders gelebt, als dies im Sport der Fall ist. Im Sport erhalten die AthletInnen täglich Rückmeldung zu ihren Leistungen. Täglich wird daran gearbeitet, sich zu verbessern. Dieses intensive Rückmelden ist so in Unternehmen natürlich nicht möglich. Dennoch bin ich der Meinung, dass auch in der Unternehmenswelt hier eine Entwicklung zu mehr Rückmeldung zu einem größeren Miteinander gut wäre. Führungskräfte müssen sich tatsächlich als Teil ihres Teams sehen und täglich daran arbeiten, dass das Team funktioniert. Dies ist umso notwendiger in Phasen von hoher Dynamik, wie es während Veränderungsprozessen oft der Fall ist. Aber auch nach Misserfolgen ist dieses Miteinander und effektives positives Leadership extrem wichtig, um für die Zukunft die richtigen Lehren zu ziehen.
Peter: Gibt es dabei Besonderheiten? Oder sollten besondere Formen des Lernens gewählt werden, die sich auch im Sport finden?
Tobias: Im Sport habe ich besonders gute Erfahrungen gemacht, sich Bewegungsabläufe und Spielszenen per Video im Nachhinein anzuschauen. Oft hat man im Spiel eine ganz andere Wahrnehmung von Situationen, als es von Außen aussieht. Und insbesondere bei routinierten Aufgaben oder Bewegungsabläufen können sich mit der Zeit Fehler einschleichen, die einem nicht bewusst sind. Da hilft es ungemein, sich selber zu kontrollieren und zu beobachten, damit gewissen Dinge wieder ins Bewusstsein kommen. Und auch im Fußball bzw. Sport allgemein kommen heutzutage IT-basierte Trainingsformen dazu, wie z.B. das Trainieren von kognitiven Fähigkeiten mit VR-Brille, um nur ein Beispiel zu nennen. Bei den undconsorten arbeiten wir viel mit mit sogenannten Learning-Nuggets. Das sind eher kurze Lerneinheiten in Form von Videos oder Artikeln, die man gut auch zwischendurch konsumieren kann. Es wird immer wichtiger, on-the-job zu lernen und das gelernte direkt anwenden zu können, sonst verpufft das neu Erlernte auch schnell wieder. Grundsätzlich gehört das “Aufschlauen” zum Beruf des Beraters, an dem wir einfach Spaß haben.
Irg: Ich kann hier vielleicht noch hinzufügen, dass diese direkte Anwendung des Gelernten von dem Tobias spricht natürlich im Sport gelebt wird. Hier wird in den verschiedensten Trainingsformen sehr schnell in die Umsetzung gegangen, um das zu Erlernenden direkt in der Praxis anzuwenden. Auf diese Weise sind Inhalte viel eingänglicher, wobei eine direkte Anwendung auch direktes Feedback zur weiteren möglicherweise hilfreichen Adaption ermöglicht. So kann Schritt für Schritt gelernt, angewendet, adaptiert, wieder angewendet sehr direktes und individuelles Erlernen ermöglicht werden. Zudem kann der Lernende es auf diese Art als viel sinnvoller erachten, Neues zu erlernen als in vollgepackten Extra-Stunden, in denen theoretischer Input vermittelt wird. Natürlich kann dies ab und an auch notwendig sein, aber diese Learning-Nuggets und das on-the-job-learning von denen Tobias spricht, macht schon Sinn.
Peter: Lieber Herr Duffner, bei einem Blick auf Ihr Leben drängt sich natürlich die Frage nach der Karriere von Oliver Kahn auf. Inwieweit kann von seiner Einstellung und von seinen Erfahrungen gelernt werden?
Tobias: Das ist für mich natürlich schwierig zu beantworten. Da sollte Oliver Kahn für sich sprechen. Was man aber sehen kann, ist, dass Oliver sich immer weiter entwickelt hat. Sowohl als Torwart, aber dann auch über den Sport hinaus. Er hat sich auf seine neue Rolle vorbereitet, 10 Jahre lang wertvolle Erfahrung gesammelt, was ihm jetzt helfen wird, das Unternehmen FC Bayern München erfolgreich in die Zukunft zu führen. Sein damaliger Ausspruch: „Niemals aufgeben, immer weiter machen. Immer weiter. Immer weiter." ist sicherlich auch bei mir hängen geblieben. Dies meinte Irg sicherlich auch mit dem Hinweis, dass zurückschauen nicht unbedingt in die Zukunft führt.
Peter: Zum Schluss kommt die Standardfrage. Warum kommt ihr nach Leipzig?
Irg: Wir kommen deshalb gerne, weil der HR Inno Day immer die Möglichkeit schafft, dass HR aus vielerlei Perspektiven beleuchtet wird und du mit der Veranstaltung auch versuchst und natürlich auch schaffst, Innovationen in den Herangehensweisen anzustoßen. Darüber hinaus ist der universitäre Rahmen hervorragend, da neue Ideen natürlich auch von StudentInnen und AbsolventInnen aus ihren Blickwinkeln in die Unternehmen getragen werden müssen. Selbstverständlich sind Erfahrungen weiterhin sehr wichtig, aber das Zusammenbringen mit jungen Mindsets macht ja ein Stück weit auch den diesjährigen Innovation Day 2022 aus. Außerdem hast du wieder ein sehr spannendes Programm mit sehr interessanten Input-Gebern an Bord gebracht.
Zu meinen Gesprächspartnern: Tobias Duffner kann auf eine erfolgreiche sportliche Laufbahn als Profi-Fußballer bei Werder Bremen zurückblicken. Neben und nach seiner Karriere als Profi-Fußballer hat er studiert und hat zum Thema „Strategic Equity Partnerships in Professional Football: Evidence on Stakeholder Attitude for the Case of the German Bundesliga“ 2020 an der Universität Leipzig promoviert. Seit 2021 ist er als Berater bei undconsorten Managementberatung GmbH & Co.KG tätig.
Irg T. Bührer hat nach seinem Master in International Economics and Management an der SDA Bocconi in Mailand über 10 Jahre bei international tätigen Finanzinstituten gearbeitet. Zuletzt war er bis 2011 bei der UBS AG im Global Asset Management in Zürich tätig. Seit 2012 liegt sein Fokus auf der Unterstützung von AthletInnen bei der Karriere neben und nach dem Spitzensport in Verbindung mit dem Ziel, Unternehmen und Startups bei deren unternehmerischen Entwicklung einen Mehrwert durch die Einbindung von aktiven und ehemaligen ProfisportlerInnen zu bieten.
Mit der Patparius GmbH bringt Irg Torben Bührer die Welt des Spitzensports und die Unternehmenswelt auf eine besondere Art und Weise zusammen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht das Voneinander-Lernen und die Eröffnung von Chancen in der Zusammenarbeit von Unternehmen mit SpitzensportlerInnen. Die Zielsetzung ist Teams und Unternehmen durch die Integration von AthletInnen besser zu machen. ProfisportlerInnen haben große Potenziale über ihren Sport hinaus, die zum Nutzen von Unternehmen weiterentwickelt werden können. Im Zuge eines Lerntransfers lernen AthletInnen ihre Potenziale auch in der Unternehmenswelt auf die Straße zu bringen. Unternehmen profitieren in der Zusammenarbeit, indem wichtige Erkenntnisse aus dem Spitzensport helfen, Rahmenbedingungen zu schaffen, um im Wettbewerb die Nase vorne zu haben. Nicht zuletzt vermittelt Patparius Unternehmen aktive und ehemalige SpitzensportlerInnen in passende Rollen und Projekte sowie als reguläre MitarbeiterInnen.
]]>Peter: The motto of this year HR Innovation Day is „Making companies better with HR“. If I look at your career, I am asking myself, what should be the future relation or collaboration between Corporate Learning and HR? Or asked differently, how can HR managers be sensitized to the specifics of modern learning?
Charles: I see the roles of HR professionals and corporate learning professionals increasingly overlapping. Equally, OD professionals and corporate learning professionals increasingly overlap. If HR professionals don’t look beyond individual skills profiles and individual learning, and if HR business partners fail to develop a high level of capability in problem analysis and performance analysis, then their corporate learning professional colleagues will always be playing ‘training catch-up’ rather than be able to work collaboratively with their HR colleagues and key stakeholders to create sustainable solutions to real organisational problems.
HR has a huge opportunity to ‘make companies better’ through extending the focus on learning beyond formal training and development. They need to work with their corporate learning colleagues to deliver success.
Peter: What needs to change therefore at HR?
Charles: I think there are three principal changes HR needs to address to have a measurable impact in this area:
- HR needs to develop deep expertise in performance consulting and an understanding of the ‘art of the possible’ with workplace learning.
- HR also needs to think and work beyond the individual employee. No individual employee will create organisation-wide improvements (even the CEO!). Almost everyone works in teams. HR needs to focus on organisational and team objectives and processes as well as individual skills and objectives.
- Thirdly, HR professionals need to consider this observation by Geary Rummler and Alan Brache in their book ‘Improving Performance: How to Manage the White Space in the Organizational Chart’. “If you pit a good performer against a bad system, the system will win almost every time.” Rummler was one of the leaders in Human Performance Improvement and clarified thinking about the need to think and act in a systemic way if we are to make our companies better. HR needs to help improve employee performance, but HR also needs to understand what can be done to improve working practices, work processes, and the work environment. All these are closely tied. If HR and corporate learning professionals only focus on workers’ knowledge and skills will not deliver sustainable results.
Peter: HR Innovation Day is held at an university of applied sciences. As it celebrates its 30th anniversary this year, we are also looking to the future. So, the logical question is how can work be better integrated into learning from your point of view?
Charles: One important rule for integrating work and learning is to ‘start from with the end in mind’. What is meant by this is that whenever we are planning or designing solutions that involve learning we should always start with clarity about the outcomes. What are we learning for? What are we trying to achieve? How will learning contribute to the desired result? Once we start to think in this way, the natural result is the integration of learning with working. If we focus on outcomes, we naturally need to think about all the inputs needed to achieve the outcomes. These will include the basic ‘competencies’, the experiences, the team capabilities, the factors beyond individual and team capabilities – the ‘environmental factors’ such as processes and tools, supportive leadership, clear objectives, opportunities to learn from others’ experiences and so on. All of these need to be considered to achieve the best outcomes and results. And all of these will help integrate learning with work.
Peter: An important question relates to your view of the relevant developments in the field of corporate learning. What is really important here?
Charles: Some of the relevant developments in the field of corporate learning include:
- A better understanding of the way learning occurs, and the role played by context, which has emerged over the past 50 years, has driven new approaches. Even the definition of learning as ‘behaviour change plus attainment’ has helped clarify that learning is more than knowledge acquisition, and thus helped change the focus of formal learning programmes.
- The realisation that most adult learning in organisations occurs as a function, and a by-product, of working. Economists have led the field in this work, but HR and corporate learning professionals are catching up. This is helping drive the re-balancing of effort and resource towards supporting learning in the workflow rather than the separation of learning from working. The 70:20:10 model helps this re-balancing.
- Technology is playing an important role in changing corporate learning. Technology has broken the ‘richness versus reach trade-off’ (Evans & Wurster) and allowed easier access to expertise and resources to support learning and performance at the point-of-need. New technology advances such as artificial intelligence (AI), augmented reality (AR), virtual reality (VR), and machine learning are all starting to support change in corporate learning.
Peter: There is often talk of hybrid learning here, and the discussions reveal very controversial opinions on how to implement it. What is your opinion on this?
Charles: I think that hybrid learning, where little or no distinction is made between digital and on-campus/face-to-face participants, offers new opportunities for learning providers to extend their reach and break the ‘richness versus reach trade-off’. It also offers greater flexibility for students. The concept, and some of the practice, of hybrid learning is not new. Open Universities have been utilising it successfully for many years. The argument that remote students have a poorer learning experience doesn’t seem to be proven in fact. The learning experience for remote students is sometimes better than face-to-face learning, especially where it is supported by technology.
My own undergraduate studies utilised hybrid learning approaches in the 1960s. Of course, the technology then was not as sophisticated as it is now, but it enabled my undergraduate university (the University of Sydney, Australia) to enrol and support many more students than it could with a traditional face-to-face teaching model. When I later worked at the University of Sydney, we introduced self-paced learning in laboratories where students could carry out their learning at any time and for as long as they needed, without a tutor or teacher.
Peter: Without telling too much, what can the participants expect from your Keynote in general?
Charles: My keynote will explore the role that HR can play to build performance for the future workplace. I will explain what we know about effective learning, and why it is important to ‘work backwards’ when we’re building solutions for our organisations that involve learning. I will explain some of the pitfalls of limiting solutions to formal learning, and of limiting our thinking to improving knowledge and skills only. I will also talk about the important role of psychological safety, co-creation with stakeholders, and business impact for building an effective learning culture. The role of line managers, and of senior leaders, is critical in creating high performance organisations. I will describe research that highlights that fact and provide some strategies to engage leaders and managers.
Peter: Finally, a question I'd like to ask all the speakers and workshop hosts. Why are you participating at the HR Innovation Day 2022 at my university?
Charles: I have been involved in corporate learning and other HR practices for more than 40 years. I have had the privilege of working as an academic in universities, as a practitioner in corporate organisations, and as an advisor and consultant to more than 300 companies worldwide. My driving passion is still for pushing the profession forward to deliver greater value for both organisations and individuals.
The HR Innovation Day in Leipzig is an excellent opportunity to share my own learning, and to provide some ‘hints and tips’ that others may find useful for their own practices. Lastly, I am participating in the event to learn from others who will be there. This is my ‘20’ learning. As my friend and former colleague, Jay Cross, wrote “conversations are the stem cells of learning, for they both create and transmit knowledge. Frequent and open conversations increase innovation. People love to talk.”
Peter: Thank you very much today for your support of the HR Innovation Day. I look forward to meeting you in Leipzig.
My interviewee Charles Jennings a leading thinker and practitioner in organisational performance, culture, change and learning. He has more than 40 years’ experience in the fields of strategic organisational performance improvement and capability building. He spent many years researching innovative approaches as an academic and a university professor and, for the past 25 years, has held senior roles in the business world, principally as a senior executive and as a member of leadership and HR management teams in global companies.
For seven years until the end of 2008, he was a senior executive and the Chief Learning Officer for Reuters and Thomson Reuters where he had responsibility for developing company-wide strategy and leading a 350-strong team. He led the Reuters Talent and Learning organisation through a transformation from a group of semi-autonomous traditional departments to an integrated business-aligned learning and workforce development function using the 70:20:10 model. The result was increased impact, value, and effectiveness, as well as >70% reduction in cost.
His career also includes roles as Head of a UK National Research Centre, as a Professor at Southampton Business School, in senior business roles for global companies including as Strategic Technology Director for Dow Jones Inc., as an evaluator for the European Commission’s performance, learning and eCommerce research initiatives and as a consultant with leading organisations. He also sits on steering groups and advisory boards for national and international performance, learning and business bodies.
Charles is a Fellow of the Royal Society for Arts (FRSA), and a Fellow of the Learning & Performance Institute (FLPI). Also, a Senior Advisor at the EFMD in Brussels.
Peter: First of all, thank you that you can contribute to the success of this year HR Innovation with a keynote.
Charles: Thank you, Peter. I’m delighted to be invited to contribute to HR Innovation in 2022. Especially at this critical time in history as we re-assess almost everything and look to find the best ways forward following the events over the past two years.
Peter: Your last big appearance in Germany was in 2018. A lot has happened since then - not just the COVID 19 pandemic. What did this mean for corporate learning and performance support in general at the moment?
Charles: Of course, the pandemic has been one of the major factors to impact workforce practices, and many other areas. For example, before the pandemic digital transformation programmes often extended over 2-3 years and it was assumed that face-to-face learning was essential in some areas. Leadership development is an example. The pandemic changed that. Apart from the impact of the pandemic, the past four years has seen an increased awareness of the importance of ‘informal learning’ and ‘workplace learning’ – the learning that happens outside courses and classes. Many organisations now realise they need a strategy to encourage and support informal learning. If they only focus on formal learning, they are missing opportunities to increase workforce performance and agility, innovation, and quality.
Peter: Your work as Chief Learning Officer at Reuters and Thomson Reuters is often mentioned in relation to the development of the 70:20:10 model. All my students know this model. But for many practitioners it is new. Many of them struggle to understand the specifics of informal learning in particular. How would you argue here?
Charles: I developed the 70:20:10 model as a corporate learning tool and as an approach to extend the impact of learning at Reuters. For me, 70:20:10 is a framework to help organisations get the most out of learning. 70:20:10 is a ‘reference model’ or set of guidelines to help expand thinking and practices to support both organisational development and individual development (and, of course, team development) with a clear focus on improving performance and output. 70:20:10 is based on a range of research that has found most learning and learning experiences occur as part of daily work. Of course, formal training is important, but formal training alone will never result in expertise. We all know that. The ‘70’ and ‘20’ in the model focus on learning from working and from others.
Peter: What resistance did you encounter when introducing the model? What were ultimately the success factors for the implementation of this model?
Charles: Many people misunderstand 70:20:10. They think it is a way to separate learning into ‘formal’ (the ‘10’), ‘social’ (the ‘20’), and ‘workplace’ (the ‘70’). Conversely, it is in fact a model to extend thinking and practices to include all types of learning. The resistance I often encounter with the use of 70:20:10 is due to corporate learning and HR practitioners being pushed beyond the ‘schooling’ model for supporting learning, and being asked to build closer links between learning, performance, and organisational goals. Ultimately, the successful use of the 70:20:10 model is based on good problem analysis, co-creation of learning solutions with key stakeholders, using the right (business) metrics to measure impact, and adopting a mindset of continuous improvement. All of this is different to the traditional ‘upskilling’, ‘competency frameworks’, and ‘learning pathways’ that many HR and learning teams in organisations focus on. Each of these is focused on learning outcomes. 70:20:10 is focused on performance outcomes.
Peter: How was the success measured?
Charles: When I was at Reuters, we measured success through the senior leadership team’s assessment of business performance and the role employees across the company played in business improvement. For example, we used metrics such as increases in the level of customer satisfaction delivered by our customer service teams; process improvements that led to better, faster, or more cost-effective outputs from our project teams; greater opportunities for employees to learn in the workplace across the company; increases in managers’ involvement in building a high-performing workforce; and many other metrics.
Peter: In an interview you emphasised the role of social networks for learning among knowledge workers. Isn't there also a danger of distraction or too much information?
Charles: Many of us feel we live in a world with information overload! But as the academic and writer Clay Shirky puts it: "There's no such thing as information overload. There's only filter failure." Learning through social networks is one way we can filter out what is meaningful and useful from all the ‘noise’. Professor Rob Cross, a world leader in social network analysis, has researched this area for years and shown that people who have strong and diverse social networks tend to be better performers than those who don’t. Jerome Bruner, who was probably the greatest educational psychologist in my lifetime, once pointed out that ‘our world is others’. What Bruner was suggesting is that we only exist through our connections with others. Bruner also asked the question “what’s the difference between learning physics and being a physicist?” His answer to this was that to develop the expertise of a physicist (or in any other field or profession) we need to be ‘inculcated into the culture of the field’. In other words, we need robust social networks to help us develop expertise.Formal learning may get us started, but the ‘20’ and ‘70’ is where most of the learning to apply happens. Of course, there’s a danger of distraction from so much information. We all need to develop ‘personal filters’ to address this.
Peter: Often the 70:20:10 model is applied in the area of the so-called knowledge workers. But at this year's HR Innovation Day we will also talk about the specific requirements of deskless workers. From your point of view, are there any special features in the implementation of the model?
Charles: Actually, I have found 70:20:10 can be applied to any type of work and workers. Deskless work – whether it is manual work, technical work, or distributed work – all require a balance of formal, social, and workplace learning and respond well to the use of the 70:20:10 model. On HR Innovation Day I will talk about some case studies where 70:20:10 has helped deliver significant improvements (and saved millions of Euros) in factories.
Peter: How can we enable all employees to learn successfully in a self-directed way in the long term?
Charles: There are several factors that help create a culture of continuous improvement and self-directed learning – which is the outcome of an effective 70:20:10 approach. Daniel Pink defined some of the underlying drivers in his book ‘Drive: The Surprising truth about what motivates us’. Pink identified ‘autonomy, mastery, and purpose’ as the three key drivers.Each of these can be used to help enable self-directed learning. Another important action organisations need to address is to ensure all managers at all levels understand their important role in encouraging and supporting self-directed learning.Most learning occurs in the daily flow of work, and managers are best placed to influence what happened in daily work. Research suggests that the most effective learning has its origin in (a) rich and challenging experiences; (b) opportunities for stretch work and practice; (c) building robust networks and engaging in ongoing conversations, and; (d) reflective practice. One of the major barriers to overcome for managers and management is a false trade-off that many believe. The false trade-off is the belief that a manager or leader either must focus on operational excellence (delivering on objectives) or on developing their people. The reality is that they must focus on both. Operational excellence is often short-term and tactical. Developing people is often long-term and strategic. If managers are not focused and effective at helping their teams develop, they find employee engagement and satisfaction is lower, productivity is lower, and employee retention decreases.
To be continued.
Wald: Liebe Frau Zillmann, bereits an dieser Stelle ganz herzlichen Dank für Ihre Unterstützung des HR Innovation Days an Sie und die Moderatoren des Workshops Kristin Morgenstern und Tobias Große. Ich freue mich sehr, dass sich unsere Wege gerade beim HR Innovation Day erneut kreuzen und Sie das Event aktiv durch einen Workshop bereichern.
Zillmann: Die Freude können wir nur teilen. Wir kennen den HR Innovation Day als eine großartige Plattform, die Innovation und selbstbewusstes Vorangehen von HR treibt. Wir sind überzeugt, dass HR die entscheidende Schlüsselrolle angesichts der immensen Herausforderungen der Organisationen in einer volatilen und stark verdichteten Arbeitswelt trägt und hierfür stark gemacht werden muss. An dieser Stelle unser Dank an Sie und Ihre unermüdliche Arbeit, sowohl in der Lehre als auch im Netzwerk HR neu zu denken und zu befähigen.
Wald: Gern möchte ich und meine Leserinnen und Leser etwas über die Entwicklung von AviloX insbesondere in den letzten Jahren erfahren. Wie auf der Homepage sichtbar, konnten Sie die Erfolgsgeschichte auch unter den besonderen Corona-Bedingungen fortschreiben.
Zillmann: Das konnten wir. Wir arbeiten bereits seit 2013 ohne eigenes Büro und als digital-vernetztes Team zusammen und hatten damit die besten Ausgangsbedingungen. Vor allem aber waren wir fit, um mit unseren Kund:innen die laufenden Organisationsentwicklungs- oder Talentprogramme mitten in den Lockdowns und trotz der folgenden Beschränkungen fortzusetzen. So konnten wir viele Teilnehmende überraschen, dass man auch digital wirklich interaktive und begeisternde Formate erleben kann – teilweise sogar in Virtual Reality. So mussten wichtige Entwicklungsprozesse nicht gestoppt werden.
Wald: Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in den letzten Jahren. Wir sind uns ja kurz online im Rahmen des interessanten Projekts „Digitale Teams“ begegnet.
Zillmann: Stimmt. „Digitale Teams“ war unser Forschungsprojekt, in dem wir gemeinsam mit Partnern wie u.a. dem Fraunhofer IESE und dem Institut für Technologie und Arbeit e.V. (ITA) Lösungen entwickelt haben, um Verbesserungen der dezentralen Beschäftigungsmöglichkeiten in ländlichen Regionen zu erreichen und Pendelei nachhaltig zu reduzieren. Das Projekt konnten wir kürzlich erfolgreich abschließen. Im Zuge der Pandemie wurden in vielen Organisationen über Nacht neue Tools und digitale Infrastrukturen bereitgestellt. Da kann man nur den Hut vor den verantwortlichen IT-Bereichen ziehen. Gleichzeitig sind jedoch teils chaotische digitale Arbeitsweisen und -strukturen entstanden, die die Arbeit und das Miteinander nicht erleichtern, sondern sogar erschwert haben. In unseren aktuellen Aufträgen beschäftigen wir uns nun mit der Professionalisierung digitaler und hybrider Arbeitsstrukturen, damit Effizienzen und vor allem auch Entlastungen entstehen. Gleichzeitig nutzen wir diese Schritte, um die Verbundenheit und Energie für die erfolgreiche Unternehmensentwicklung aus der „Homeoffice-Vereinzelung“ zurückzuholen.
Wald: Doch nun zum Thema Ihres Workshops. Wie kann es HR gerade über das Thema Resilienz gelingen, in Führung zu gehen?
Große: In Anbetracht der Tatsache, dass Krisen und volatile Marktentwicklungen unsere Zukunft mehr und mehr prägen werden, ist organisationale Resilienz eine zentrale Voraussetzung dafür, dass wir unsere Zukunft selbstwirksam gestalten können. Die Resilienz einer Organisation entsteht vor allem durch die flexible und wertschöpfungsorientierte Vernetzung vielfältiger Kompetenzen. Dafür braucht es einerseits sozial und fachlich kompetente Mitarbeitende und zum anderen vertrauensvolle menschliche Beziehungen. Denn nur wenn diese tragen, können unterschiedliche Fachkompetenzen kreativ zusammenwirken. Wer, wenn nicht HR ist prädestiniert, die dafür notwendige Reflexionskultur zu initiieren und den dynamischen Vernetzungsprozess der Kompetenzen bereichsübergreifend zu moderieren?
Wald: Muss sich hierfür nicht das Rollenverständnis von HR ändern?
Große: Das Rollenverständnis von HR ändert sich bereits vielerorts. Angefangen bei einer konsequenten Digitalisierung der eigenen Prozesse, die ergänzende technische Kompetenzen im Team voraussetzen. Ähnlich sieht es im Recruiting aus, wenn es um die aktive Suche nach Talenten und Zukunftskompetenzen sowie den Aufbau einer attraktiven Arbeitgebermarke geht. Unternehmergeist und Vermarktungskompetenzen sind dabei zwei wesentliche Erfolgsfaktoren für die HR. Sie merken schon, wir sind an einem impliziten Knackpunkt: Wenn HR es schafft, diese Zukunftskompetenzen wirkungsvoll in die eigenen Reihen zu integrieren, dann ist der erste große Schritt auf dem Weg der Veränderung getan und HR geht als Vorbild in Führung. Der zweite große Schritt besteht für mich darin, zum Treiber und Wächter einer inklusiven Kultur zu werden, aus der heraus Kreativität und unternehmerische Mitverantwortung entstehen kann. Sie ist der verbindende Kitt und teilweise auch Nährboden für die wertschöpfungsorientierte Vernetzung der Bereiche und Menschen in der Organisation. Im dritten Schritt kann dann beispielsweise die Begleitung bereichsübergreifender Projekte im Rahmen eines Projektmanagement-Office eine konkrete Gelegenheit für die HR sein, Vernetzung aktiv zu lenken und eine gemeinsame Ausrichtung im Sinne des strategischen Gesamtziels zu unterstützen.
Wald: Können Sie schon etwas über die Gestaltung des Workshops verraten?
Morgenstern: Es wird auf jeden Fall interaktiv und mit Erlebnischarakter. Wir möchten die Teilnehmenden in die Lage zu versetzen, am eigenen Erleben zu reflektieren und so neue Erkenntnisse zu generieren und miteinander in den Austausch zu kommen. Wir haben dazu auch einige Impulse mit im Gepäck, mit denen wir die Diskussion anreichern und den Teilnehmenden neue Perspektiven eröffnen. Es geht dabei allerdings nicht um Luftschlösser – sondern ganz konkret darum, die HR zu positionieren für die Gestaltung resilienter Organisationen und um die kritische Reflexion der eigenen Rolle.
Wald: Und auch an Sie die Standard-Frage. Warum bieten Sie einen Workshop zum HR Innovation Day an?
Morgenstern: Zum einen natürlich, weil auch wir voller Freude sind, endlich wieder in den analogen Kontakt und Austausch zu kommen und Menschen zu begegnen, die wie wir die Zukunft der Arbeitswelt aktiv mitgestalten wollen. Wir freuen uns darauf, Erfahrungen und Ideen auszutauschen, gemeinsam innovativ zu denken und zu lernen. Gleichzeitig möchten wir diese wunderbare Gelegenheit nutzen, um Anregungen zu geben und auch etwas provokante Fragen aufzuwerfen, die wir dann in einer diversen Runde miteinander diskutieren können. Unser Workshop lebt vor allem davon, Perspektivenvielfalt zuzulassen und diese zu würdigen. Dafür bietet die Mischung aus Studierenden sowie Fach- und Führungskräften die beste Gelegenheit und sicherlich auch für uns frische Impulse und Gedanken.
Wald: Bereits an dieser Stelle ganz herzlichen Dank für Ihre Unterstützung des HR Innovation Days. Ich freue mich sehr auf unser Wiedersehen am 11. Juni 2022 an meiner Hochschule.
Zillmann: Wir freuen uns auch, der Termin ist fett im Kalender markiert.
Wald: Super! Ich freue mich.
Kristin Morgensterns Herz schlägt für Transformation und Organisationsentwicklung. Ihre Vision ist es Menschen einen Raum geben, indem sie Selbstwirksamkeit erleben und den Blick für moderne Formen der Zusammenarbeit öffnen. Sie begleitet Teams bei der Einführung moderner Arbeitsweisen und Veränderungsprozessen. Die Herausforderungen hybrider Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit in agilen Teams begeistern sie ebenso wie moderne Personalthemen und New Pay. Als erfahrene Moderatorin setzt sie ihre Fähigkeiten in Projekten ein und begleitet Kunden in Workshops mit Hilfe von digitalen Whiteboards und einem vielseitigen Methodenkoffer. Nach ihrem Studium in VWL und BWL erweitert sie ihre praktische Erfahrung mit und in Veränderungsprozessen durch eine Ausbildung zur systemischen Transformationsberaterin.
Als Bank- und Diplomkaufmann mit dreifacher Start-up Gründungserfahrung im digitalen Umfeld, denkt Tobias Große durch und durch unternehmerisch. Zehn Jahre Managementerfahrung mit Führungsverantwortung machen ihn zu einem Sparringpartner auf Augenhöhe für Führungskräfte und prägen seinen markt- und beteiligungsorientierten Beratungsansatz. Als zertifizierter Mediator, Moderator, Gruppendynamiker (DGGO) und Supervisor (DGSV Mitglied) berät er seit 5 Jahren Organisationen in strategischen Veränderungsprozessen zu Kultur-, Strategie- und Strukturveränderungen und begleitet Führungskräfte und Teams, aber auch konkrete Projekte wie zum Beispiel die Einführung einer Fach- und Projektkarriere im Unternehmen.
Lydia Zillmann ist nicht nur Geschäftsführerin von AviloX, sondern auch eine leidenschaftliche Kämpferin für die Kultur- und Kompetenzentwicklung zur Etablierung moderner, vernetzter und digital unterstützter Arbeitswelten. Hierbei berät sie Projektleiter*innen und -teams, steht als Coach Führungskräften in der Entwicklung und Veränderung zu moderner Führung zur Seite und trainiert Teams und Schlüsselrollenträger. Lydia lernte zunächst den Beruf der Werbekauffrau und begleitete Organisationen in der strategischen Markenentwicklung. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaften und der zusätzlichen Ausbildung als Systemischer Organisationscoach macht sie seit über 7 Jahren Change-Projekte zu einem mitreißenden Markenerlebnis, das die Menschen aller Ebenen für Veränderungen begeistert. Was Lydia Zillmann einzigartig im Team macht, sind ihr Bühnentalent, ihre Moderationsstärke sowie ihre unvergesslichen Visualisierungskünste.
]]>Peter: Ich freue mich sehr, dass ich Dich für eine Keynote auf dem diesjährigen HR Innovation Day gewinnen konnte.
Henrik: Lieber Peter, vielen Dank für die wiederholte Einladung. Es ist mir jetzt schon eine Freude!
Peter: Wie hat sich Dein Projekt "HUMAN PLACE" entwickelt?
Henrik: Das ist eine gute Frage, mit mehreren Antworten. Wir hatten ja vor Corona vier tolle HUMAN PLACE Events, die wir 2020 weiter ausbauen wollten. Diesen Plan hat Corona gestoppt. Statt dessen habe ich dann HUMAN PLACE als Dachmarke für einen Onlinekurz zur beruflichen Orientierung und Jobsuche genutzt, den auch Arbeitgeber erwerben und ihren Talenten zur Verfügung stellen können. Da sind ein paar spannende Arbeitgeber mit dabei und das ganze läuft rund, aber ich habe zu wenig Zeit und Marketingpower im Moment, um das auszubauen. Spontan hatte ich mit Beginn des Kriegs in der Ukraine den Kurspreis für das B2C Geschäft auf 30 Euro reduziert und die Einnahmen komplett an die Ukraine gespendet. Da kam dann dank eines Aufrufs auf Linkedin einiges zusammen.
Peter: Deine diesjährige Keynote trägt den Titel „Vergiss Recruiting, wie Du es kennst – das rettet Dich nicht mehr“. Ich denke, dass bei diesem Statement viele Unternehmen vehement widersprechen werden.
Henrik: Ja, das tun sie mit Sicherheit. Denn die meisten sind 5-10 Jahre hinter den Marktentwicklungen zurück. Viele fangen jetzt erst an, ihr Recruiting aufzubauen oder zu optimieren. Also Aufbau von Sourcingkapazität, mehr Employer Branding etc. Das müssen sie auch weitermachen, aber Recruiting hängt inzwischen in erster Linie von Top Management Entscheidungen zu Themen der Arbeitskultur ab. Also die Frage des remote arbeitens, der Unternehmenskultur, Gehalt, Führung etc. Und die direkten Führungskräfte müssen viel stärker ihre Verantwortung im Recruitingprozess wahrnehmen. Das findet alles noch kaum statt. Aber das sind die Punkte an denen heute in der Regel die Einstellungen scheitern.
Peter: Interessant war es für mich, über eine Verbindung zwischen den Keynotes 2017 und 2022 nachzudenken. 2017 hatte Deine Keynote den Titel „Warum unser Recruiting traumatisiert ist“. 2022 trägt diese die Überschrift „Vergiss Recruiting, wie Du es kennst – das rettet Dich nicht mehr“. Vom Trauma zum Vergessen - wie erklärst Du die Verbindung zwischen Diagnose und Therapie.
Henrik: Peter, Du hast echt gute Fragen am Start! Ja, es gibt tatsächlich eine Verbindung. 2017 habe ich beklagt, dass unser Recruiting traumatisiert ist – aber immer noch halbwegs funktioniert. Weil es immer noch ausreichend BewerberInnen gab. Heute ist der Arbeitsmarkt ein ganz anderer als 2017! Und Arbeitgeber können nicht mehr so weitermachen wie bisher! Sie müssen sich und ihr Recruitingverständnis fundamental ändern. Und ich glaube, da ist es am besten, einfach zu vergessen, was wir die letzten 100 Jahre gemacht haben. Denn es war wirklich nicht gut! Recruiting wird sich elementar verändern – und je offener Arbeitgeber dafür sind (und nicht alten Zeiten nachhängen), um so besser gelingt diese Transformation.
Peter: Ein besonderes Augenmerk legen wir in diesem Jahr auf den Themenbereich Deskless Worker. In einem Deiner Podcasts hast Du ja darauf hingewiesen, dass jeder dritte LKW-Fahrer ist bereits über 55 ist. Gerade hier fällt mir immer wieder auf, dass sich das Vorgehen beim Recruiting bei den Deskless Workern nur selten von dem vor 30 Jahren unterscheidet.
Henrik: Da hast Du vermutlich Recht, wobei ich in dem Umfeld zu wenig Erfahrung habe. Von daher bin ich sehr auf die Vorträge und Workshops zu dem Thema gespannt. Hier kann ich definitiv noch was lernen ????.
Peter: Ist dies vielleicht auch auf das von Dir zitierte Krümelmonstersyndrom zurückzuführen?
Henrik: Mit Sicherheit. Die nötigen Veränderungen sind so gravierend, dass viele Arbeitgeber und ihre Führungskräfte das immer noch unbewusst, wie zum Schutz, ausblenden. Nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Obwohl alle Zeichen auf Fachkräftemangel stehen, halten sie immer noch an Methoden aus Zeiten des Bewerbungsüberflusses fest.
Peter: In diesem Zusammenhang denke ich auch immer wieder an Deine Aussage, dass der Recruiting-Erfolg in den Fachbereichen entschieden wird. Ich stimme Dir uneingeschränkt zu und versuche dies auch meinen Studierenden zu vermitteln. Gerade für jüngere Recruiter ist es jedoch nicht leicht, schnell ein entsprechendes Standing im Verhältnis zum Fachbereich zu entwickeln.
Henrik: Das ist so und darum müssen wir uns auch fragen, ob es eine gute Idee ist, Recruitingpositionen mit Juniors zu besetzen. In meinem Team arbeiten wir z. B. immer als Tandem: ein Junior und ein Senior sind das Gesicht zum Kunden. Und im Zweifel nimmt der Senior den Kunden ins Gebet und der Junior lernt davon (alle hier natürlich m/w ????). Standing kann man nicht befehlen, das muss aufgebaut werden. Und das geht nicht über Nacht. Gleichzeitig muss ich den Junioren den Rücken stärken, damit sie trotzdem schnell ernst genommen werden vom Fachbereich.
Peter: Warum fällt es vielen Unternehmen letztlich so schwer, ihre Einstellung und damit auch das Verhalten bei Recruiting- und HR-Fragen neu auszurichten?
Henrik: Es ist für mich vor allem das Mindset. Wie oben schon geschrieben: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Es sind alte (falsche) Menschenbilder, jahrzehntelang gelernte „Wahrheiten“, die sitzen einfach drin. „Und bisher war Recruiting ja auch nicht so teuer und aufwändig. Wieso sollte es das jetzt sein? Da kann doch was nicht stimmen, da machen wir nicht mit“. Oftmals denke ich, es ist auch schlichtweg nach wie vor viel Ahnungslosigkeit und Gedankenlosigkeit. Wer wirklich glaubt, er kann aus einem CV herauslesen, ob die Person auf den Job passt oder nicht, hat sich einfach noch nie ernsthaft mit dem Thema Personalauswahl auseinander gesetzt.
Peter: Die Standardfrage stelle ich zum Schluss. Warum kommst Du zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Henrik: Weil Du mich gefragt hast und es diesmal auch in meinen Kalender passt. Und dann bin ich einfach sehr gerne dabei! Die letzten Jahre hat es nie richtig gepasst, was ich immer bedauert habe. Ich finde, Du stellst immer ein tolles Programm zusammen, es ist ein lockere Atomsphäre und es ist natürlich auch super toll, Dich und andere Gesichter meiner HR Bubble mal wieder live zu sehen ????.
Peter: Bereits an dieser Stelle ganz, ganz herzlichen Dank für Deine erneute Unterstützung!
Henrik: Ich danke Dir für die tollen Fragen!
Henrik ist Unternehmer, Recruitingexperte und Redner. Bei Beratungsaufgaben und Vorträgen verbindet er über 20 Jahre Recruitingerfahrung mit dem Einblick in die neuesten Entwicklungen der Recrutingszene. Er betreibt zwei eigene Podcasts und konnte in der Vergangenheit schon die unterschiedlichsten Führungskräfte von deutschen Konzernen und Mittelständlern und auch aus der Wissenschaft als Gäste begrüßen, wie z. B. Continental, Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Lidl oder Viega. Durch Blogartikel, Podcasts und Vorträge erhielt er in der HR Szene den Titel “Luther des Recruitings”. Mittlerweile leitet Henrik ein eigenes Team aus erfahrenen Personalberater*Innen, Personaler*Innen, Recruiter*Innen, Sourcer*Innen. Er und sein Team unterstützen Unternehmen dabei, ihre Herausforderungen im Recruiting zu meistern. Privat ist er ehrenamtlich in der FeG Köln-Mülheim engagiert. Hier predigt er sogar von Zeit zu Zeit.
Wald: Ich freue mich sehr, dass ich Sie für dieses Gespräch und für den genannten Workshop gewinnen konnte.
Zander: Und ich freue mich, dass ich dabei sein darf. Ich bin schon sehr gespannt, ist ja für mich das erste mal.
Wald: Wir haben noch eine Frage aus unserer Gesprächsrunde offen. Dabei geht es um das Themenfeld Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice im Lichte des bekannten EuGH-Urteils. Häufig wird dies diskutiert aber offensichtlich gibt es hier Unklarheiten.
Zander: In der Tat. Im EuGH-Urteil ist ja davon die Rede, dass die Unternehmen ein transparentes System zur Zeiterfassung vorhalten müssen, um Gesetzesverstöße überprüfbar zu machen. Das hat dazu geführt, dass die meisten das Wort „Zeiterfassung“ wörtlich genommen und mit einer Stechuhr gleichgesetzt haben. Vorbehaltlich der Umsetzung in deutsches Recht gehen die meisten Juristen aber davon aus, dass eine Zeitdokumentation gemeint ist. Und Zeiten können auch vertrauensbasiert durch die Beschäftigten selbst dokumentiert werden, d.h. es ist nicht das viel kolportierte Ende der Vertrauensarbeitszeit, da die Zeiten vertrauensbasiert dokumentiert werden können. Und es gibt auch keine Forderung, ein Zeitkonto zu führen. Vertrauensarbeitszeitsysteme, die aber eigentlich als „Mehrarbeitauszahlungsvermeidungssysteme“ eingeführt wurden, werden aber m.E. unter Druck kommen. Denn wenn die Mitarbeitenden sich ausgenutzt fühlen, werden diese Mehrzeiten gerne dokumentiert werden und dann ist es auch nicht mehr weit, dass die Einführung eines Zeitkontos gefordert wird.
Wald: Wie sollten sich hier die Unternehmen in Zukunft verhalten?
Zander: Ich denke, dass die Unternehmen sich darauf einstellen sollten, dass früher oder später Zeiten in einem System dokumentiert werden müssen. Aber bevor man ein System kauft, sollte man sich darüber klar werden, ob man Zeiten wirklich per Stempeluhr erfassen möchte oder Zeiten „nur“ dokumentieren lassen möchte. Und auch bei der Dokumentation könnte es noch Freiräume geben, nämlich ob man jedes „Kommen“ und „Gehen“ erfasst oder nur das erste „Kommen“ und das letzte „Gehen“ und zusätzlich noch die gearbeitete Zeit innerhalb dieses Rahmens. Denn nicht jedes System kann jeden dieser Prozesse. D.h. erst Anforderungen definieren und erst dann ein geeignetes IT-System kaufen. Wer unsicher ist, dem können wir bei SSZ bei der Entscheidung gerne unterstützen.
Wald: Doch nun zum Workshop beim HR Innovation Day. Hier wird das Thema New Work und der Umgang mit Arbeitszeit und der Einfluss auf die Arbeitgeberattraktivität in den Mittelpunkt gerückt. Was können die Teilnehmerrinnen und Teilnehmer erwarten? Viele werden doch denken, dass bei praktizierter New Work die Arbeitgeberattraktivität automatisch gegeben ist, oder?
Zander: Wir werden im Workshop einen Blick darauf werfen, warum Schichtarbeit im Status Quo so unattraktiv und ehrlich gesagt auch einfallslos ist. Ich werde aufzeigen, was die Voraussetzungen für attraktive Schichtarbeit ist und wie man den Beschäftigten mehr Gestaltungsfreiheit geben kann. Darüber hinaus werde ich ein paar Konzepte für flexible Schichtpläne zeigen, die allgemein nicht so bekannt sind. Sofern Teilnehmer aus Unternehmen dabei sind, die Schichtarbeit praktizieren, können wir - wenn es gewünscht wird - das Schichtsystem eines Teilnehmenden betrachten, bewerten und Optimierungspotenziale aufzeigen. Und was New Work angeht, ich halte es für einen Irrglauben, dass New Work automatisch bedeutet, dass man als Arbeitgeber attraktiv ist, zumal es viele Missverständnisse darüber gibt, was New Work eigentlich ist. Wenn jemand von 9 bis 17 Uhr im Homeoffice am Arbeitsplatz sitzen und erreichbar sein muss, dann ist das eine Verlagerung des Arbeitsortes und noch lange kein New Work und auch nicht zwingend attraktiv. Gerade war z.B. in den Medien, dass Goldman Sachs nun unbegrenzten Urlaub für alle einführt, um sich einen New Work-Touch zu geben. Mich wundert allerdings nicht, dass ausgerechnet Goldman Sachs dieses Konzept verfolgt, da es mit vielen Studien belegt ist, dass die Beschäftigten bei so einer Regelung eher weniger Urlaub nehmen, als wenn sie einen klar definierten Urlaubsanspruch haben. Das ist schon sehr perfide. Also nicht überall, wo New Work drauf steht ist, auch Arbeitgeberattraktivität drin und nicht jedes altes Konzept ist automatisch unattraktiv. Deshalb verwende ich mittlerweile lieber den Begriff Human Work, da kommt es nämlich nicht darauf an, ob es alt oder neu ist, sondern nur, ob es für die Menschen von Vorteil ist.
Wald: Wir haben bei den Gesprächen in den letzten Monaten oft über die Vernachlässigung der Deskless Worker bei Initiativen zur Neugestaltung der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen gesprochen. Woran liegt dies?
Zander: Es ist vergleichsweise einfach in Angestelltenbereichen Home-Office einzuführen, einen nette Kaffeeecke einzurichten und Obstkörbe aufzustellen und selbst eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist relativ einfach, weil sehr oft viel Zeit in unproduktiven Meetings, in der Kaffeeküche etc. verschwendet wird. Und wenn wir ehrlich sind, waren das im Kern die häufigsten Maßnahmen, die unter der New Work-Flagge umgesetzt wurden. Richtige Kulturwechsel mit flachen Hierarchien, dezentraler Verantwortung, Selbstorganisation usw. sind auch hier nach wie vor die Ausnahme. Bei der Deskless Workforce funktioniert das alles nicht so einfach, d.h. die „Fake-New-Work“-Konzepte sind nicht umzusetzen, hier muss man gleich ans Eingemachte und das scheuen die meisten. Und leider hat es auch damit zu tun, dass es Vorbehalte gegenüber der Deskless Workforce gibt: „das kapieren die sowieso nicht“, „die wollen das doch gar nicht“ etc.. Und teilweise ist es einfach Ignoranz, weil die, die es treiben müssten, selber in schicken Büros sitzen und das Problembewusstsein gar nicht da ist.
Wald: Warum scheint es vielen Unternehmen schwer zu fallen in diesen Bereichen innovative Lösungen einzuführen? Trägt dafür immer der Betriebsrat die Verantwortung?
Zander:Nein, da wirken alle gleich mit. Auch Führungskräfte blockieren oft, weil es ja bis jetzt irgendwie immer gut gegangen ist und das Vorstellungsvermögen fehlt, dass man irgendwann evtl. genug Aufträge hat, aber keine Mitarbeitenden mehr, die diese abarbeiten. Dann das Top-Management, das immer noch nicht selten eher mit der „Shareholder Value-Brille“ auf die Themen sieht und zwar Veränderung will, sie darf aber nichts kosten. Und ja, es liegt auch immer wieder an Betriebsräten, die sich unglaublich schwer mit Veränderungen tun. Aber mittlerweile haben wir immer wieder Situationen, wo die Betriebsräte für Veränderungen offener sind als die Arbeitgebervertreter. Und last but not least gilt auch bei den Mitarbeitenden, dass der verhassteste Schichtplan zum heiligen Gral wird, wenn er geändert werden soll… So sehr mir mein Job Spaß macht, manchmal ist es schon echt frustrierend, wenn man weiß, dass Konzepte funktionieren, weil man sie bereits anderweitig umgesetzt hat und bei einem Kunden alle immer nur der Meinung sind, dass das bei Ihnen nicht funktionieren kann…
Wald: Was empfehlen Sie Unternehmen, die sich ernsthaft um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei den Deskless Workern und damit auch der Arbeitgeberattraktivität bemühen? Wo sollen diese starten?
Zander: Mit einer gründlichen Analysephase. Wir machen in unseren Projekten eine 360 Grad-Analyse. Wir machen Workshops mit Führungskräften und Betriebsräten, führen Interviews mit den Mitarbeitenden und analysieren Bedarfs- und Arbeitszeitdaten, damit wir objektiv den Personalbedarf, den Flexibilitätsbedarf und das Arbeitszeitverhalten bewerten können. Über die Datenanalysen ermitteln wir z.B. sogenannte Leerstunden, also Stunden, in denen die Beschäftigten da sind, aber eigentlich nichts zu tun haben. Die entstehen in starren Schichtsystemen fast zwangsläufig. Wenn wir wissen, wie hoch die sind, dann könnten das Spielräume für bezahlte Arbeitszeitverkürzungen sein, die wiederum Voraussetzung für flexible und attraktive Schichtpläne sind. D.h. nach der Analysephase wissen wir genau, wo es hakt, wo man ansetzen kann und welche Veränderungen akzeptanzfähig sind und wo ggf. auch rote Linien bei den einzelnen Stakeholdern existieren. Und dann entwickeln wir iterativ Konzepte und Arbeitszeitsysteme, die wir laufend mit allen Beteiligten abstimmen.
Wald: Über den Workshop hinaus, haben Sie ja auch interessantes Angebot - einen Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in. Welche Rolle spielen dabei Arbeitszeitmodelle für Deskless Worker?
Zander: Der Lehrgang richtet sich an alle, die tiefer in das Thema Arbeitszeitgestaltung, Personaleinsatzplanung und Workforce Management einsteigen wollen und ist thematisch für alle Branchen sowohl für White- als auch Blue Collar geeignet. D.h. von Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice über Zeitkonten und Lebensarbeitszeitsysteme bis hin zu Schichtsystemen und bedarfsorientierter Personaleinsatzplanung und Gruppenarbeit ist alles ein Thema. D.h. wer Lösungen für die Deskless Workforce sucht, wird in dem Lehrgang genug Stoff dafür bekommen.
Wald: Meine Standardfrage zum Schluss. Warum kommen Sie zum HR Innovation Day nach Leipzig?
Zander: Wer kann schon ablehnen, wenn Sie anfragen? Nein im Ernst, ich glaube, dass das Thema der Arbeitsbedingungen gerade für die Deskless Workforce im HR-Bereich aktuell absolut unterrepräsentiert ist. Bei den meisten HR-Veranstaltungen geht es primär um Recruiting und Employer Branding, weil man ja aufgrund des Fachkräftemangels so viel rekrutieren muss. Was mich wundert ist, wie wenig Zeit gerade auf diesen Veranstaltungen auf Themen verwendet wird, die darauf abzielen, vorhandenen Beschäftigten zu halten. Und das heißt erstmal die Hausaufgaben zu machen und attraktive Arbeitszeit- und Bezahlmodelle zu entwickeln, dann muss man evtl. auch nicht mehr soviel rekrutieren. Und da ich durch unseren laufenden Kontakt weiß, dass Ihnen das Thema auch am Herzen liegt, nutze ich sehr gern die Plattform, die sie bieten. Und außerdem erhoffe ich mir, viele interessante Leute für mein Netzwerk kennenzulernen.
Mein Gesprächspartner und Workshop-Host zum diesjährigen HR Innovation Day Guido Zander hat Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg studiert und ist seit 2005 geschäftsführender Partner der SSZ Beratung. Seit über zwei Jahrzehnten berät er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf Unternehmen und Organisationen verschiedener Größen und Branchen zum innovativen Umgang mit Arbeitszeit und der Personalplanung. Er gilt deutschlandweit als einer der führenden Experten auf dem Gebiet Arbeitszeitmanagement. Sein Buch "NewWorkforce Management - Arbeitszeit human, wirtschaftlich und kundenorientiert gestalten", das er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf geschrieben hat und zu dem ich Ideen sowie ein Vorwort beisteuern konnte ist im April 2021 erschienen und ist regelmäßig in den Top 100-Büchern des Personalmanagements zu finden. Darüber hinaus bietet die SSZ-Beratung in diesem Jahr einen Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in an.
]]>Um hier neben den Erfahrungen über persönliche Kontakte hinaus auch aktuelle Informationen liefern zu können, fällt mein Blick konsequenterweise auf frische Studien zum Personalmanagement. Hinter vielen dieser Studien stecken Vertriebsgedanken, einige liefern jedoch interessante Einblicke und Hinweise auf Handlungsbedarf sowie kritische Aspekte der Personalarbeit. Heute habe ich den „HR Transformation Report 2022“ von NTT DATA im Blick und werde dazu Fragen an eine der Autorinnen richten. Ich freue mich, dass mir dafür Gina Schreiber - Lead Consultant | Talent + HR Transformation Consulting bei NTT DATA - zur Verfügung steht.
Wald: Liebe Frau Schreiber bereits an dieser Stelle vielen Dank für die Möglichkeit Ihnen zu dieser Studie einige Fragen stellen zu können. Aber vornweg die Bitte, NTT DATA etwas näher vorzustellen.
Schreiber: NTT DATA ist Teil der NTT Group mit über 310.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in über 88 Ländern, Hauptsitz in Japan und einem Umsatz von über 109 Milliarden US Dollar. Als einer der führenden Wegbereiter für eine lebenswerte Zukunft in einer vernetzten Gesellschaft kümmert sich NTT DATA um die Wertschöpfungs- und Prozessketten von Unternehmen. Wir sind eine IT- und Transformationsberatung mit Sitz in München, welche sich Business Transformationen aller Art annimmt und mit Beratern begleitet, die ihre Erfahrung in enger Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden individuell in Projekte einbringen.
Wald: Ist diese Studie ein Erstlingswerk oder haben Sie bereits in den vergangenen Jahren die Personalarbeit in verschiedenen Unternehmen mittels Studien betrachtet?
Schreiber: Für uns als IT Beratung, ist der HR Bereich tatsächlich ein eher neues Spielfeld, daher freuen wir uns, dass alles so reibungslos geklappt hat und wir auch schon aktiv am Markt auf unsere Studie angesprochen wurden. Ich persönlich finde es sehr wichtig die gelebte Praxis zu hinterfragen, Strukturen und Tendenzen heraus zu arbeiten, um einfach auch authentisch auftreten zu können. Die 30 inhaltlichen Fragen, deren Beantwortungen die Grundlage für unseren Report darstellen, sind Fragen, die wir uns selbst im Team oft gestellt haben und die auch unsere Kunden immer wieder stellen. Wir waren lange auf der Suche nach entsprechenden Zahlen und Daten für den DACH Markt. Wir konnten einfach nicht greifen wie es in den HR Abteilungen durch Corona etc. aussieht. Schließlich haben wir uns dazu entschlossen für uns und unsere Kunden eine tiefergehende Recherche vorzunehmen und haben innerhalb von nur 12 Wochen diesen Report erstmalig herausgebracht. Aufgrund der bewährten Methodik und den Zugriff auf das HR-Panel, wird es aber bestimmt nicht die letzte Ausgabe sein.
Wald: Digitale Transformation ist ein häufig benutzter Begriff. Was bedeutet aus Ihrer Sicht digitale Transformation in Personalbereichen? Lassen sich hier Schwerpunkte benennen?
Schreiber: Wir sehen die digitale Transformation im Personalbereich allgemein als einen Veränderungsprozess um Mehrwerte für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie für das Personalmanagement zu schaffen. In unseren Recherchen zum Transformation Report hat sich dabei vor allem gezeigt, dass Digitale Transformation eine Talent Transformation hervorruft. Die Geschäftsmodelle und damit die Fähigkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Markt werden immer digitaler. Damit steigen ihre Erwartungen an einen der wichtigsten Bezugspunkte im Unternehmen, den Personalbereich. Man muss sich vorstellen, dass die Generation Z damit aufwuchs, dass Bestellungen von heute auf morgen geliefert werden, Informationen in Sekundenschnelle verfügbar sind. Diese Erlebnisse erwarten sie auch von Unternehmen.Leider sehen sich nur knapp 4 Prozent der HR-Beschäftigten als Key Player in digitalen Transformationen. Im Moment sind viele Unternehmen dabei ihre Personaldatensysteme umzustellen, was schonmal eine wichtige Grundlage bildet. Perspektivisch sehen wir aber eine digitale Transformation des gesamten Mitarbeiterlebenszyklus als notwendig an, um den Bedürfnissen der nachfolgenden Generationen gerecht werden zu können. Darüber hinaus ergibt sich die Chance für der Personalerinnen und Personaler, lästige Verwaltungsaufgaben zu automatisieren und somit an Software Tools abzugeben. Dies verschafft ihnen mehr Zeit sich auf strategische und beratende Personalarbeit zu konzentrieren.
Wald: In Ihrem Report erwähnen Sie auch das „Target Operating Model einer HR-Abteilung“. Was verbirgt sich dahinter?
Schreiber: Das Target Operating Model, kurz TOM, ist das „Zielbetriebsmodell“ und dient der Definition und Dokumentation der Optimierungsstrategie der HR-Funktion im Unternehmen. Es umfasst mehrere Dimensionen: Diese betreffen die HR-Prozesse, die HR-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und die Infrastruktur der HR Organisation. Das Target Operating Model stellt die Verbindung zwischen Vision und HR-Strategie, sowie der Organisationsstruktur dar.
Wald: Welche Bedeutung schreiben Sie dabei dem Konzept Employee Experience bzw. der Employee Centricity zu?
Schreiber: Employee Centricity steht im Mittelpunkt der transformativen Aktivitäten, denn jeder einzelne Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin bildet sich täglich eine Meinung zu seinem Arbeitgeber, seiner Führungskraft und allen weiteren Berührungspunkten, auch der HR-Abteilung. Mithilfe einer mitarbeiterzentrierten Führungsweise beeinflusst der Vorgesetzte zum Beispiel direkt die Motivation und das Engagement seiner Mitarbeitenden. Alle Veränderungen im HR-Bereich sollen daher darauf abzielen, die Employee Experience – also die Erfahrung, die der Mitarbeitende mit seinem Arbeitgeber und im Rahmen seines Arbeitsalltags macht – maximal zu optimieren. Dies betrifft nicht nur reibungslose Prozesse, sondern insbesondere auch kulturelle Hygienefaktoren im Unternehmen, die sich konkret in den Bereichen Mitarbeitenden Enablement und Leadership widerspiegeln.
Wald: Die Erfolge der digitalen Transformation in den Personalbereichen dürfte mMn nach sehr stark von der jeweiligen Branche und der Unternehmensgröße abhängen. Lässt sich dies anhand der Studienergebnisse bestätigen?
Schreiber: Der Erfolg einer Transformation ist tatsächlich gänzlich unabhängig von der Unternehmensgröße. Was wir aber konsequenterweise herausfinden konnten ist, dass erfolgreiche Unternehmen am Markt (Marktführer, stark wachsende Unternehmen, begehrte Arbeitgeber) ihre HR-Abteilungen transformiert haben bzw. damit begonnen haben. Die Ergebnisse bestätigen einen klaren Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und einer digitalen Transformation im Personalwesen. Darüber hinaus bescheinigen erfolgreiche Unternehmen eine definierte HR-Strategie zu verfolgen, welche fundamentaler Bestandteil der Business Strategie ist.
Wald: Sie betrachten in Ihrer Studie auch den Stand der Agilität in den HR-Abteilungen. Was bedeutet für Sie Agilität in den HR-Abteilungen?
Schreiber: Aus meiner Sicht reden wir bei Agilität von 3 Dingen: Agile Methoden, also der „Werkzeugkasten“ den die Agilität bietet, Agiles Mindset, was uns flexibler auf Unsicherheiten reagieren lässt und agile Organisationsstrukturen. Agile Methoden bieten die Möglichkeit HR Prozesse flexibel, unkompliziert und automatisiert zu gestalten. Das ist genau das, wenn man es mit den einleitenden Worten verknüpft, was die HR-Abteilung braucht, um die Schnelligkeit der neuen Generationen aufnehmen zu können. Das agile Mindset ist seit der Pandemie eine Grundvoraussetzung in fast allen Unternehmensbereichen geworden, Stichwort VUCA-Welt. Es lässt uns besser mit der Unsicherheit umgehen, dass morgen auf einen Schlag alles anders sein könnte.
Wald: Müssen HR-Abteilungen eigentlich zu 100% agil arbeiten?
Schreiber: Der Grad der Agilisierung und der Mix dem man sich aus Methoden, Mindset und Organisation zu eigen macht, bestimmt jede HR-Abteilung selbst. Sicherlich hängt dies von dem Grad der Agiliserung in den jeweiligen Business Bereichen, mit denen man zusammenarbeitet, ab. Es gibt hier aber keine vorgegebene Prozentzahl. Wichtiger ist uns in unseren Beratungsprojekten solche Punkte mit den Kunden gemeinsam zu durchdenken und sicherzustellen, dass eine nachhaltige Transformation hin zu neuen Arbeitsweisen stattfinden kann mit denen sich die HR-Abteilung wohlfühlt und die sie auch durchhält, bei all den Regulierungen denen HR weiterhin ausgesetzt ist (Gesetze, Fristen und Mitbestimmung, um nur ein paar zu nennen).
Wald: Interessant halte ich Ihre Aussagen zu den teilweise mangelhaften digitalen und methodischen Fähigkeiten in den Personalbereichen? Was muss hier in der nächsten Zeit passieren?
Schreiber: Die digitale Transformation im Personalbereich unterstreicht den Paradigmenwechsel und die veränderte Sichtweise auf die Rolle, welche die HR Funktion im Unternehmen einnehmen soll. Der Personalbereich ist nicht nur Dienstleister im Unternehmen, sondern strategischer Partner auf allen Ebenen des Unternehmens, dessen Kernaufgabe darin liegt, das Potential der Menschen im Unternehmen zu erkennen und kennen, zu unterstützen, zu fördern und mit dem Business zu verbinden. Diese neue Rolle muss erlernt werden, daher haben wir die Beschäftigten im Personalwesen befragt, inwieweit schon Reskilling oder Upskilling Modelle für die HR-Abteilungen der Zukunft aufgebaut wurden. Das ist wichtig, denn die ganzheitliche Transformation und Befähigung der HR-Abteilungen hin zu agil und digital, muss gut geplant und durch Change Management Aktivitäten gestützt werden. Die Kommunikation und das gemeinsame Erarbeiten des neuen Zielbildes sind dabei zentral. Der Einsatz digitaler Medien dient dem Zweck die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in HR zu enablen und es muss ein Verständnis dafür wachsen, wie man diese bestmöglich einsetzt.
Wald: Interessant fand ich die Aussagen zu den HR-Rollen. Könnten Sie diese Rollen etwas näher beschreiben? Wie haben Sie hier eine Zuordnung vorgenommen? Wie steht es um die Weiterentwicklung dieser Rollen?
Schreiber: Wir haben uns hierbei am Harvard Business Review „21 HR Jobs of the Future“ (https://hbr.org/2020/08/21-hr-jobs-of-the-future) orientiert und die Existenz in den Unternehmen abgefragt, um einen kurzen Check bezüglich des Bewusstseins in diese Richtung vorzunehmen. Unser Platz 1 der „Human Network Analyst“ wurde dort eher als aufstrebende Zukunftsrolle identifiziert, was für uns selbst überraschend war. Der Platz 2 der „HR Data Detective“ wiederum trifft genau den Zahn der Zeit, denn die strategisch immer wichtiger werdende Ressource der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird zunehmend auch für wichtige Business Entscheidungen herangezogen. Dies erklärt den Datenfokus im aktuellen HR-Geschehen. Genauso wie der „Work from Home Facilitator“ seinen Ursprung im Pandemiegeschehen hat. Man sieht hieran jedoch ganz klar, dass die Veränderung gekommen ist, um zu bleiben und wir sind sehr sicher, dass die vielen HR-Transformationen, die jetzt anstehen genau solche Handlungsfelder aufdecken werden und wir bald schon diese Rollen vorfinden werden.
Wald: Eine wichtige Frage zum Ende unseres Gesprächs. Wie bewerten Sie den Stand der Personalarbeit insgesamt? Wo sehen Sie die größten Erfolge? Wo gibt es den größten Handlungsbedarf?
Schreiber: Unser Ansatz ist immer ein ganzheitlicher. Das klingt jetzt so groß und aufwendig, man kann aber auch ganzheitliche HR-Transformation in kleinen Schritten machen. Bei der Bewältigung der Herausforderungen, die vor allem mit der Digitalisierung zusammenhängen, spielen alle Administrationsbereiche eines Unternehmens und das Business eine Rolle. Ziel des Ganzen muss es sein, die Selbstwahrnehmung von HR zu stärken und gleichzeitig die Wahrnehmung von HR im Unternehmen als strategischer Partner des Business und Enabler. Ein HR-Thema ist heutzutage auch ein IT und ein Business Thema. Wir holen in unseren Workshops und Kundenprojekten immer alle Stakeholder von Anfang an den Tisch und besprechen das Problem aus Sicht des Mitarbeitenden. Unsere Aufgabe ist dann zudem die aktive Change Begleitung, denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine Transformation nur dann erfolgreich ist, wenn es gelingt das strategische Grundkonzept zu operationalisieren und man es dadurch schafft, dass der einzelne Mitarbeitende sich mit den Neuerungen identifiziert und diese annimmt.
Wald: Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche Ihnen viele Erfolge bei den bevorstehenden Projekten.
Schreiber: Vielen Dank für Ihr Interesse und den Austausch!
Meine Gesprächspartnerin Gina Schreiber ist Lead Consultant | Talent + HR Transformation Consulting bei der NTT DATA. Sie ist hier seit 2019 tätig und hat von 2016 bis 2018 Informationsorientierte BWL mit Wirtschaftsinformatik an der Uni Augsburg studiert. Sie hat vor Ihrer Beratungsposition das Project Office der internen HR-Abteilung der NTT DATA DACH geleitet und sich auch dort mit Themen rund um die Erneuerung von HR beschäftigt. Zudem lagen die Erarbeitung eines Future Workplace Konzeptes für alle 13 Standorte in ihrem Aufgabenfeld. Sie berät Kundinnen und Kunden zu den Themen HR Strategy + Design, HR Capability Transformation und zu Digital HR. Sie treibt besonders an, dass damit jeden Tag die HR-Betreuung und die Employee Experience von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland ein Stück verbessert werden kann.
]]>Wald: Gern möchte ich heute an das letzte Gespräch mit Ihnen anknüpfen. Aber zu Beginn die Frage nach Ihrem aktuellen Projekt – einem Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in. Was hat Sie auf die Idee gebracht diesen Lehrgang zu konzipieren und bereits in diesem Jahr anzubieten?
Zander: Aus unserer Sicht ist das Thema Arbeitszeit mittlerweile strategisch enorm wichtig für die Unternehmen. Mit keinem anderen Thema hat man gleichzeitig Einfluss auf Wirtschaftlichkeit, Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sowie Arbeitsgeberattraktivität. Gleichzeitig erleben wir in den Projekten, dass es in vielen Unternehmen niemanden gibt, der bzw. die sich mit dem Thema in der Tiefe beschäftigt oder auskennt. Das führt dazu, dass es in den meisten Unternehmen Standardgleitzeitmodelle und Standardschichtpläne gibt. Von Innovation ist wenig zu spüren. Und auch bei unseren Projekten wäre es hilfreich, jemanden im Unternehmen zu haben, der bzw. die die Materie kennt. Daher haben wir uns entschlossen, unser gesammeltes Know-how aus 25 Jahren Erfahrung und mehreren hundert Beratungsprojekten in einem zertifizierten Lehrgang zur/m NEW WORKforce Manager/in weiterzugeben. Der Lehrgang erstreckt sich über ein halbes Jahr und ist eine Mischung aus Präsenz und Online-Veranstaltungen. Nach jeder Theorieeinheit gibt es für die Teilnehmenden Aufgabenstellungen, in der die etwas angestaubte Traditions GmbH in ein in Bezug auf Arbeitszeit modernes Unternehmen transformiert werden soll. Die Lösungen werden dann in einem Gruppencoaching besprochen.
Wald: Wer sollte an diesem hybriden Lehrgang teilnehmen?
Zander: Der Fokus liegt auf HR-Mitarbeitende oder Führungskräfte bzw. Schicht- und Personaleinsatzplaner. Aber auch Consultants von Softwarefirmen mit Workforce Management-Background können profitieren, wenn sie neben der Software einen breiten Blick auf das Thema haben. Letztendlich kann aber natürlich auf jeder teilnehmen, der am Thema Interesse hat. Der Lehrgang liefert Lösungen für alle Branchen und Beschäftigte sowohl in Angestellten- als auch in gewerblichen bzw. operativen Bereichen.
Wald: Heute geht es in unserem Gespräch um ein Projekt als Gegenentwurf zu den bereits diskutierten Vollkonti-Modellen. Hier hat das Unternehmen - wie Sie sagten - der Versuchung widerstanden, mehrschichtig zu werden, sondern lieber Prozesse optimiert und die Hallen vergrößert. Dies klingt nach einem beträchtlichen finanziellen und organisatorischen Aufwand. Könnten Sie die Rahmenbedingungen etwas näher beschreiben?
Zander: Erstmal muss man sagen, dass es natürlich vom Fertigungstyp abhängt, wie man Arbeitszeit gestaltet. Wenn man z.B. in der chemischen Industrie Anlagen hat, die durchgängig betrieben werden müssen oder Anlagen enorme Anlaufkosten haben, dann muss man natürlich auch vollkontinuierlich arbeiten. Es gibt aber auch sehr viele Unternehmen, die eine Fertigung jederzeit unterbrechen können und dadurch keine Mehrkosten haben. Und hier findet oft keine Gesamtkostenbetrachtung statt und man geht automatisch davon aus, dass die Nutzung der Anlagen und des Platzes durch Mehrschicht bzw. Vollkonti immer billiger ist, als die Erweiterung von Flächen. Wenn man aber sieht, dass Schichtarbeit enorme Zusatzkosten durch Nach-, Sonntagszuschläge deutlich höhere Krankenquoten, hohe Fluktuation etc. hat und man das mal auf 10 Jahre hochrechnet, muss eine Hallenerweiterung nicht zwingend teurer sein. In dem konkreten Fall geht es um ein Unternehmen, das Maschinen entwickelt und in mehreren Fertigungsinseln taktbezogen montiert. Die Mitarbeitenden arbeiten einschichtig von Montag bis Freitag. Bei Auftragsspitzen wird auch mal am Samstag gearbeitet. Die Mitarbeiter sind teilweise hoch qualifiziert und haben immer deutlich gemacht, dass Schichtarbeit nicht erwünscht ist. Daraufhin hat das Unternehmen den Fokus auf Prozess- und Layoutoptimierung gelegt, um die Produktionskapazitäten zu erweitern, irgendwann wurde dann eine neue Halle gebaut.
Wald: Im Weiteren haben Sie auf die vorgesehene Nutzung von Gleitzeit und selbstbestimmter Gruppenarbeit hingewiesen. Es handelt sich um Aspekte, die auf New Work hinweisen. Wie stellt sich das Verhältnis von Gleitzeit und Selbstbestimmung konkret dar?
Zander: Aktuell gibt es für die einzelnen Mitarbeitenden bereits die Möglichkeit der Gleitzeit, was in der Produktion extrem selten ist. Es gibt sogar die Möglichkeit, dass man während der Arbeitszeit mal sein Kind von der Kita holt und dann wieder zurückkommt. Das wird immer im Team abgestimmt und dann kompensieren die anderen, wenn jemand noch nicht oder nicht mehr anwesend ist. Die Basiskapazität ist auf eine durchschnittliche Betriebszeit von 40 Stunden ausgelegt, wobei die wöchentliche Arbeitszeit geringer ist. Bis dato ist es so, dass jeden Tag eher 8 Stunden gearbeitet wird, bei hohem Bedarf auch länger und wenn etwas schiefläuft wird am Samstag nachgearbeitet. Wir bauen das gerade dahingehend um, dass die Teams selbstständig entscheiden können, wann und wie sie arbeiten möchten. D.h. die Teams können selbstständig entscheiden, ob sie jeden Tag etwas länger arbeiten und bei geringeren Bedarf nur eine 4-Tage-Woche haben oder bei normalem Bedarf, dass man z.B. am Freitag Mittag fertig ist, wen man Montag bis Donnerstag 9 Stunden arbeitet. Läuft dann was schief, kann man noch den Freitagnachmittag dranhängen. Der Samstag wird so vermieden. Wenn es aber z.B. sehr heiß sein sollte, könnten die Teams auch entscheiden, dass die tägliche Arbeitszeit verringert wird und auf mehr Arbeitstage verteilt wird. Dann käme man früher aus der warmen Produktionshalle und kann evtl. noch zum Schwimmen gehen. Maßgeblich für den Arbeitgeber ist nur, dass die gewünschte Anzahl Maschinen produziert wird. In Phasen mit weniger Bedarf könnten auch mal 3-Tage-Wochen möglich sein. Das wird dann alles über ein Zeitkonto gesteuert.
Wald: Erfahrungsgemäß sind die Vorstellungen des Unternehmen und die Erwartungen der Mitarbeiter nicht immer deckungsgleich. Was passiert hier, um das Projekt erfolgreich umzusetzen?
Zander: In diesem Fall ist das recht einfach, da das Ziel des Arbeitgebers nicht Effizienzsteigerung, sondern Verbesserung der Bedingungen für die Mitarbeitenden und damit auch Verbesserung der Arbeitgeberattraktivität ist. Aber natürlich hat auch der Arbeitgeber was davon. In Unternehmen mit unattraktiver Schichtarbeit wird uns berichtet, dass man faktisch keine Leute mehr findet. Das wird früher oder später dazu führen, dass die Löhne deutlich steigen müssen, um Mitarbeitende zu gewinnen. Mit dem gerade beschriebenen Modell kann man sicher auch Mitarbeitende rekrutieren, ohne extrem an der Lohnschraube zu drehen. Um sicherzugehen, dass wir nichts machen, was die Mitarbeitenden nicht wollen haben wir Mitarbeiterinterviews durchgeführt und uns intensiv mit den Betriebsräten abgestimmt. Aktuell sind wir dabei das Grobkonzept in ein Detailkonzept zu verfeinern. Das werden wir dann wieder mit dem Betriebsrat abstimmen und schlussendlich auch mit den Mitarbeitenden.
Wald: Als „altem“ Personaler interessiert mich dabei natürlich immer, welche Rolle das Personalmanagement dabei spielt/gespielt hat.
Zander: Tatsächlich wurde das Projekt aus dem Produktionsbereich angestoßen, was mittlerweile tatsächlich häufiger der Fall ist als aus HR. In dem konkreten Fall wird das Projekt jetzt aber auch sehr konstruktiv durch HR begleitet. Insgesamt würde ich mir aber wünschen, dass HR die strategische Funktion von Arbeitszeit mehr realisiert und das Heft öfter in die Hand nimmt.In einem sehr innovativen Projekt haben wir sogar die Situation gehabt, dass uns HR sogar noch Steine in den Weg gelegt hat, weil man ja nichts an den eigenen Prozessen verändern wollte. Das Projekt war dann nicht wegen, sondern trotz HR erfolgreich…
Wald: Was sollten andere Unternehmen bei der Umsetzung innovativer Arbeitszeitlösungen beachten?
Zander: Ganz wichtig ist, dass man nicht mit Standardkonzepten startet. So attraktiv das geschilderte Modell auch ist, es wird nur wenige Unternehmen geben, in welchen man das eins zu eins umsetzen kann. Daher ist es wichtig, die Ausgangslage genau zu analysieren. Wie ist der Personalbedarf? Wieviel Flexibilität wird benötigt? Wie sind die Abhängigkeiten in der Organisation? Was sind die Bedürfnisse der Mitarbeitenden? Wie positioniert sich der Betriebsrat? Wir reif sind Beschäftigte und Führungskräfte gerade in Bezug auf Selbstplanung? Wie ist die Qualifikations- und Altersstruktur? All diese Fragen und viele mehr müssen erst einmal beantwortet werden bevor man ein individuell passendes Modell entwickelt. Und man muss Mitarbeitende und Betriebsräte von Anfang an involvieren.
Wald: Herzlichen Dank für das offene Gespräch! Ich freue mich sehr auf den dritten Teil unserer Gesprächsreihe.
Zander: Es war mir wie immer eine Freude und bis zum nächsten Mal.
Mein Gesprächspartner Guido Zander hat Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg studiert und ist seit 2005 geschäftsführender Partner der SSZ Beratung. Seit über zwei Jahrzehnten berät er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf Unternehmen und Organisationen verschiedener Größen und Branchen zu Fragen des Umgangs mit Arbeitszeit und der Personalplanung. Er gilt deutschlandweit als einer der führenden Experten auf dem Gebiet Arbeitszeitmanagement. Sein Buch "NewWorkforce Management - Arbeitszeit human, wirtschaftlich und kundenorientiert gestalten", das er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf geschrieben hat und zu dem ich Ideen sowie ein Vorwort beisteuern konnte ist im April 2021 erschienen und ist regelmäßig in den Top 100-Büchern des Personalmanagements zu finden. Darüber hinaus bietet die SSZ-Beratung in 2022 einen Lehrgang zur/m zertifizierten NEW WORKforce Manager/in an.
]]>Wald: Liebe Frau Gruhn, bereits an dieser Stelle herzlichen Dank dafür, dass ich bei Ihnen einige Fragen zu dieser doch recht ungewöhnlichen Stellenanzeige mit dem Fokus geteilte Führung loswerden kann.
Gruhn: Sehr gerne. Geteilte Führung ist bei einigen Unternehmen mittlerweile Teil der Führungskultur oder wird es gerade. Für mich hat das Modell viele Vorteile und deshalb freue ich mich sehr, dass wir diesen Weg gehen!
Wald: Ich kann mir vorstellen, dass gerade hinter dieser Stellenanzeige eine interessante Geschichte steckt. Können Sie etwas zu dieser Geschichte mitteilen?
Gruhn: Die Konzernentwicklung verantwortet bei der Gothaer ein breites Themenspektrum. Neben den klassischen Strategiethemen gehören auch noch Portfoliomanagement und die agile Transformation dazu. Mit der neu geschaffenen Funktion „Chief Transformation Officer“ wird die Bedeutung der agilen Transformation bei der Gothaer gestärkt. Und mit dem Führungstandem ist eine Fokussierung auf einzelne Themen möglich, ohne dabei den gemeinsamen Blick zu verlieren.
Wald: Geteilte Führung entsteht ja oft aus den betrieblichen Gegebenheiten oder Notwendigkeiten heraus und richtet sich meist an bereits im Unternehmen tätige Mitarbeiterinnen. Hier gehen Sie einen anderen Weg, indem Sie extern nach einer/m Tandempartner/in suchen. Was sind die Gründe dafür?
Gruhn: Uns geht es darum den/ die passende Kandidat*in zu finden. Eine interne Besetzung ist für uns genauso möglich. Deshalb suchen wir intern und extern.
Wald: Wie steht es um die Erfahrungen der Gothaer mit geteilter Führung insgesamt? Oder soll dies bei Ihnen erstmals im Sinne einer Pilotlösung getestet werden?
Gruhn: Wir haben tatsächlich noch nicht viel Erfahrung mit dem Thema. Es handelt sich aber nicht um einen Piloten, es gibt ein klares Commitment, dass wir dieses flexible Führungsmodell künftig für unterschiedliche Positionen anbieten und nutzen wollen.
Wald: Interessant ist für mich auch, dass Sie von vornherein die verschiedenen Aufgaben benennen. So ist zu lesen, dass Sie sich in ihrer neuen Funktion künftig auf die agile Transformation und die Verknüpfung mit der Strategie fokussieren. Die/Der Tandempartner/in wird sich auf die Themen Strategieentwicklung und -umsetzung konzentrieren.
Gruhn: Wie genau die Aufgabenteilung dann aussieht, möchte ich natürlich mit der zukünftigen Co-Leitung gemeinsam erarbeiten. Die Schwerpunkte der Aufgabe zu kommunizieren fand ich wichtig, da ich mich in der Rolle des Chief Transformation Officers stark auf die agile Transformation konzentrieren werde. Es wird aber auf jeden Fall auch Themen geben, die gemeinsam verantwortet werden.
Wald: Zum Abschluss noch die Frage, warum bei dieser Stellenbesetzung ein Personalberater einbezogen wird?
Gruhn: Wir gehen hier verschiedene Wege, interne und externe Ausschreibung auf den bekannten Kanälen, aber auch über einen Headhunter. Wir haben bei vergleichbaren Positionen die Erfahrung gemacht, dass über eine direkte Ansprache Kanditat*innen erreicht (und auch begeistert) werden können, die zu dem Zeitpunkt gar nicht auf der Suche waren.
Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses interessante und offene Gespräch. Ich wünsche Ihnen, der/dem Tandempartner/in viele Erfolge und immer innovative Ideen.
Gruhn: Vielen Dank!
Als Gesprächspartnerin konnte ich heute Maike Gruhn begrüßen. Maike Gruhn hat an der Hochschule Niederrhein Wirtschaftswissenschaften studiert und ist seit 2002 bei der Gothaer tätig. Nach ihrem Einstieg als Trainee war sie in verschieden Führungspositionen im Gothaer Konzern tätig. Hierzu gehörten Leitungsfunktionen in der Produktentwicklung und Vertriebssupport. Danach hat sie vor 4 Jahren den Bereich "Innovationsmanagement" in der Lebensversicherung aufgebaut und vor 1,5 Jahren die Leitung der Konzernentwicklung übernommen. Maike Gruhn ist 43 Jahre alt, hat 2 Kinder und arbeitet seit der Geburt der Kinder in Teilzeit.
]]>Zu den Akteuren, die hier mit neuen Lösungen und Konzepten auf den Markt treten, gehört d.velop und ich freue mich, dass mir heute Maximilian Haselhoff für ein Gespräch zur Verfügung steht. Er ist ein kompetenter Gesprächspartner, der meinen Leserinnen und Lesern Einblicke in seine Erfahrungen bei der Implementierung von Digital Workplace-Konzepten bzw. von Mitarbeiter-Apps gewähren wird.
Wald: Vorweg herzlichen Dank für die Möglichkeit Ihnen einige Fragen zu den konkreten Erfahrungen bei verschiedenen Digitalisierungsprojekten stellen zu können.
Haselhoff: Sehr gerne! Ich freue mich darauf und hoffe, dass unsere Erfahrungen Ihren Lesern bei ähnlichen Projekten helfen können.
Wald: Viele meiner Leserinnen und Leser kennen vielleicht d.velop noch nicht. Wer verbirgt sich dahinter?
Haselhoff: Wir sind ein Softwareunternehmen, das sich auf die Fahne geschrieben hat, Geschäfts- und Kommunikationsprozesse in Unternehmen zu digitalisieren. Wir helfen unseren Kunden mit unserer Software für Dokumentenmanagement dabei, ihr ganzes Potenzial zu entfalten. Ganz konkret, indem wir digitale Dienste bereitstellen, die Menschen miteinander verbinden. Wir möchten die Zusammenarbeit in Organisationen, die Abläufe und Vorgänge umfassend vereinfachen und neugestalten.
Wald: Im Gespräch mit meinem geschätzten Blogger-Kollegen Stefan Scheller haben Sie 5 Vorteile eines digitalen Arbeitsplatzes aufgeführt. Dazu gehören ortsunabhängige Zusammenarbeit, virtuelle Kommunikation, zentrales Verwalten, digitale Prozesse und ganzheitliche digitale Transformation. Wie lassen sich diese Vorteile ganz oder teilweise bei den Tätigkeiten von Deskless Workern umsetzen?
Haselhoff: Die Basis für die Etablierung digitaler Arbeitsplätze sind Vertrauen in die eigenen Mitarbeitenden sowie die konsequente Nutzung von geeigneten Technologien zur Zusammenarbeit. Nur so kann das Potenzial dieser genannten Vorteile auch ausgeschöpft werden. Wir nutzen selber unsere d.velop Mitarbeiter-App zur internen Kommunikation und Kollaboration. So können wir beispielsweise digital Dokumente versenden, relevante Informationen schnell und ortsunabhängig teilen sowie einfach Prozesse wie Urlaubsanträge digital anstoßen Damit man solche Maßnahmen innerhalb der eigenen Organisation umsetzen kann, braucht es ein Digital Workplace-Konzept für alle Mitarbeitenden als Basis. Nur so funktioniert die Remote-Zusammenarbeit reibungslos.
Wald: Damit sprechen Sie auch die Besonderheiten der digitalen Transformation im Bereich der Deskless Worker an. Wo liegen hier Besonderheiten der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Tätigkeiten?
Haselhoff: Aus meiner Sicht ist die Kommunikation in einer Organisation der Hebel, um digitale Transformation erfolgreich zu meistern. Bei Deskless Workern ist es oftmals so, dass die Kommunikation durch fehlende Tools nicht optimal funktioniert. Wer keinen Computer-Arbeitsplatz hat oder viel unterwegs ist, bleibt bei Unternehmensprozessen oft außen vor. So bekommen sie beispielsweise nur wenig in puncto Strategie- und Management-Entscheidungen mit. Durch den Einsatz von Technologie und mithilfe entsprechender Lösungen kann wertvolles Wissen schnell und auch über mobile Endgeräte abteilungsübergreifend verteilt sowie von Mitarbeiter:innen bequem aufgenommen werden. Ein Digital Workplace vereinfacht die Kommunikation und Wissensverteilung innerhalb des Unternehmens. Dadurch verbessert sich wiederum die virtuelle Zusammenarbeit. So wird das Arbeiten von unterwegs und im Homeoffice möglich. Langfristig steigern Sie außerdem die Effizienz, Produktivität und Zufriedenheit innerhalb einer Organisation.
Wald: Können Sie dies vielleicht anhand eines konkreten Projekts kurz erläutern?
Haselhoff: Die Firma Grunewald aus dem Münsterland war beispielsweise auf der Suche nach einer Möglichkeit, alle Mitarbeiter:innen über moderne digitale Kanäle zu informieren und gezielt zu erreichen. Dabei trifft man in der handwerklichen Branche bereits auf die erste Hürde: Wie lassen sich alle Inhalte und Informationen auch für Mitarbeitende ohne einen PC-Arbeitsplatz bereitstellen? Mit unserer mobilen Lösung kann Grunewald sicherstellen, dass jede:r Mitarbeiter:in sich über aktuelle Meldungen im Betrieb, Tarifabschlüsse oder Betriebsversammlungen informieren. Grunewald möchte so einen klaren Mehrwert für die gesamte Belegschaft schaffen, indem Informationen jeglicher Art in Echtzeit innerhalb weniger Klicks mit der ganzen Organisation geteilt werden können.
Ein anderes Beispiel ist die apetito AG. Bei dem Verpflegungsspezialisten aus Rheine haben wir alle Angestellten in die Umgestaltung der Unternehmensprozesse mit einbezogen. Statt im Briefkasten landet die Gehaltsabrechnung hier digital auf dem Smartphone – für die empfangsberechtigte Person zu jeder Zeit und von überall aus abrufbar. Damit ist der Ort des Arbeitsplatzes auch für Deskless Worker kein Thema mehr. Alle Mitarbeitenden werden gleichberechtigt und digital erreicht. Durch wegfallenden Druck und Versand von Dokumenten spart apetito Kosten und schont die Umwelt.
Wald: Welche Informationen über die Gehaltsabrechnung hinaus werden für die Mitarbeitenden hier verfügbar?
Haselhoff: Unsere d.velop postbox ist im Grunde ein komplettes digitales Büro für Mitarbeitende und kann vielfältig genutzt werden. Hier können neben Gehaltsabrechnungen auch Vertrags- oder Arbeitsschutzdokumente digital zugestellt werden. Es lassen sich aber auch meine privaten Dokumente dort archivieren. Wir haben hier bewusst eine Software entwickelt, deren Nutzung für Mitarbeitende komplett kostenfrei und unbefristet ist. Das heißt, wenn eine Person ein Unternehmen verlässt, kann sie unsere Lösung weiter gratis nutzen. Die apetito AG nutzt den digitalen Briefkasten beispielsweise auch, um die dezentralen Mitarbeitenden wie Fahrer bei neuen pandemiebedingten Beschlusslagen mit den benötigten Unterlagen versorgen. So können sie beispielsweise bei Polizeikontrollen einfach ihr Handy zücken und entsprechende Dokumente vorzeigen.
Wald: Wie steht es hier um Dialogfunktionen?
Haselhoff: Wir haben eine Chat-Funktion, damit Mitarbeitende beispielsweise direkt Rückfragen an die Personalabteilung stellen können. Aber auch untereinander können Kollegen sich Informationen über den d.velop chat zuschicken. Zudem arbeiten wir an weiteren Interaktionsmöglichkeiten und Integrationen.
Wald: Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen im privaten Bereich viel selbstbewusster mit digitalen Werkzeugen umgehen als dies im Arbeitskontext der Fall ist? Woran liegt dies?
Haselhoff: Erst einmal glaube ich, dass das stark von Generation zu Generation schwankt. Schaut man sich die Generation Z an, merkt man, dass diese Menschen nicht mehr ohne Smartphone auskommen können. Das spannende hier aus Sicht von Personalern: Top-Talente und -Fachkräfte erwarten heutzutage mobile und einfache digitale Prozesse von Unternehmen – beispielsweise im Recruitingprozess. Eine gute Candidate Experience entscheidet schon heute über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Ich denke, dass die Nutzung digitaler Tools im beruflichen Kontext in den nächsten Jahren stark steigen wird.
Wald: Was sind die wichtigsten Learnings aus Ihren Projekten im Bereich der Deskless Worker?
Haselhoff: Zuhören und den Kunden verstehen. Jedes Unternehmen hat unterschiedliche Zielgruppen innerhalb einer Organisation. Diese gilt es zu verstehen, bevor man blind in ein Projekt läuft. Ein Beispiel: Unser Kunde Grunewald hat ein eigenes Redaktionsteam für die Erstellung von Unternehmensinhalten gegründet. Das bedeutet natürlich, dass die Akzeptanz einer solchen Lösung im Unternehmen viel höher ausfällt, wenn Mitarbeitende aus unterschiedlichen Abteilungen die kommunizierten Inhalte aktiv mitgestalten. Das freut uns als Lösungsanbieter und zeigt, wie wichtig es ist, Menschen zu vernetzen und in eine digitale Zukunft mitzunehmen.
Wald: Wie geht es weiter bei der Digitalisierung? Können Sie etwas über zukünftige Projekte sagen?
Haselhoff: Wir haben eine klare Mission: Wir wollen Menschen in Organisationen miteinander vernetzen. Beispielsweise arbeiten wir gerade daran, Synergien durch unsere breite Produktlandschaft stärker zu nutzen. So ist es beispielsweise seit diesem Jahr möglich, HR-Dokumente nicht nur digital zuzustellen, sondern auch direkt mit unserer Lösung d.velop sign elektronisch zu unterschreiben.
Wald: Ganz herzlichen Dank für das interessante und offene Gespräch.
Haselhoff: Sehr gerne!
Maximilian Haselhoff ist ein echter Mobile-First-Fan und kümmert sich bei der d.velop AG federführend um das Thema Mitarbeiter-App und digitale Postzustellung. Als Business Development Manager und Digital-Stratege ist er stets auf der Suche nach den neusten App-Innovationen und HR-Software-Trends. Maximilian hat Betriebswirtschaft und Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management studiert.
Mit Katja Teichert, der Gründerin und Geschäftsführerin der talents for IT GmbH, steht mir eine Expertin für Personalberatung, Personalvermittlung, Executive Search und Active Sourcing zur Verfügung, die die erwähnten Entwicklungen genau beobachtet und deshalb mir und meinen Lesern und Leserinnen besondere Einblicke verschaffen kann. Bereits vornweg vielen Dank an Katja Teichert für Ihre Bereitschaft dieses Gespräch mit mir zu führen.
Wald: Liebe Frau Teichert, herzlichen Dank, dass ich Sie zu einem Gespräch überreden konnte.
Teichert: Ganz herzlichen Dank an SIE, lieber Herr Prof. Wald. Ich freue mich sehr, dass Sie mich ausgewählt haben für dieses Thema und glaube, auch im Namen meiner Kolleg:innen, die Ihnen zum Teil ja auch noch aus Ihrem Hörsaal bekannt sein dürften, hier viel erzählen zu können aus der Praxis.
Wald: Darf ich Sie vornweg fragen, wie Sie die beiden letzten Jahre erlebt haben?
Teichert: Viele Dinge, die ich schon vor 8 Jahren auf der Cebit, noch in meiner Rolle als Vertreterin der DIS AG/Adecco SA über die Arbeit von Prof. Horx, Zukunftsinstitut, über die Arbeitswelt der Zukunft präsentieren durfte, sind quasi wie in einem Katalysations-Prozess binnen dieser 2 Pandemie-Jahre Wirklichkeit geworden: https://www.youtube.com/watch?v=pJFCp65OWos (bitte erst ab Min 2 einschalten, wo es um die damaligen Trends ging). Die letzten beiden Jahre waren sowohl bei uns im Team der talents for it GmbH als auch für das Recruiting generell geprägt von dem digitalen Change, dem wir uns allgemein im Business nicht entziehen konnten (und wollten). Dieser Digitale Change ist zu 100% erledigt, in unseren internen und externen Prozessen zum/zur Kandidat/in hin und zum/zur Kunden/Kundin. Führung und operationale Ebene über digitale Werkzeuge und Routinen: eingeführt und vor allen Dingen gelebt – und ein ganz wichtiger Faktor in Bezug auf den emotionalen Aspekt in der Führung: Vertrauen – beidseitig! Vertrauen dass jede/r zur richtigen Zeit die richtigen Prioritäten setzt.
Wald: Wie lief bei talents for it die Umstellung auf die Arbeit im Homeoffice?
Teichert: Ich würde mal sagen: „über Nacht“. Und ehrlich gesagt, war ich daran nur beteiligt, nicht wirklich führend. Mein Team besteht aus klugen jungen Frauen (und seit neuestem auch Männern), die digital super-affin und strukturiert sind und die sofort mit digitalen Lösungen, wie Slack, Miro, einem professionalen ATS/CRM etc. bereitstanden.Wir haben damit den Weg in das Homeoffice innerhalb einer Woche geschafft inkl. aller noch fehlenden Hardware wie zusätzliche Bildschirme, komfortablere Headsets etc. Natürlich hatten wir zuvor auch schon sporadisch im Homeoffice gearbeitet und Laptops, VPN-Lösungen etc. standen uns schon vorher zur Verfügung.
Wald: Im Moment sieht es danach aus, dass sich die Pandemielage wieder etwas entspannt. Zeigt sich dies auch in den Anfragen der Kundschaft?
Teichert: Ja, durchaus. Wir verzeichnen seit Anfang Dezember 2021 einen absoluten „Run“ auf unsere Beratungsleistungen im Recruiting. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass wir mit unserem Fokus auf IT-Fach- und Führungskräfte auch genau dort arbeiten, wo die Not, d.h. der Fachkräftemangel, schon immer groß war, aber durch den Bedarf im Bereich der mittelständischen Digitalisierung natürlich noch einmal einen besonderen Schub bekommt.
Wald: Der Anlass unseres Gespräches sind Diskussionen über bevorstehende Kündigungswellen. In den USA sprechen viele sogar von einem bevorstehenden Resignation-Tsunami. Was denken Sie, wird es auch Deutschland zu entsprechenden Entwicklungen kommen?
Teichert: Wir verzeichnen seit Ende 2021 wieder eine höhere Wechselbereitschaft der Kandidaten und Kandidatinnen im Vergleich zu den beiden Vorjahren. Das machen wir anhand der besseren Antwortraten in unserer Direktansprache aus. Doch hierbei würde ich nicht von einem Tsunami oder einer Kündigungswelle sprechen. Wir sind lange noch nicht auf dem alten Wechsel-Niveau vor Corona und werden dieses wahrscheinlich auch nicht mehr erreichen, da der demografische Wandel mit dem Ausscheiden der Babyboomer weiter Fahrt aufnimmt und das verfügbare Arbeitskräftepotenzial schmerzhaft schmälert. Auch würde ich bei unseren Kandidaten und Kandidatinnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht von einem Tsunami sprechen. Die Wechsel-Beweggründe unserer Kandidaten und Kandidatinnen sind sehr nachvollziehbar und beziehen sich vorrangig auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Homeoffice und flexible Arbeitszeitmodelle sind mittlerweile keine besonderen Faktoren mehr, sondern unabdingbare Attraktivitätsfaktoren, die von Arbeitgeber/innen wirklich ernst genommen werden müssen.
Wald: Wie werden Sie mit talents for it auf diese Situation reagieren?
Teichert: Wir reagieren in unserem Recruiting-Geschäft in der Weise darauf, dass wir im Vorfeld zur Suche mit unserer Kundschaft die vorgenannten Faktoren sehr klar herausarbeiten und aktiv auf schlechtere Besetzungschancen hinweisen, sollten diese Faktoren nicht berücksichtigt werden (können). Natürlich wissen wir auch, dass nicht jede Position mit Homeoffice und/oder flexiblen Arbeitszeitmodellen ausgestattet werden kann. In der Veröffentlichung unserer Vakanzen weisen wir dann sehr präsent auf die Existenz dieser Flexibilisierungsoptionen hin.
Wald: Was empfehlen Sie jetzt den Unternehmen? Oder anders gefragt, geht es jetzt nur um professionelles Recruiting?
Teichert: Wir empfehlen unserer Kundschaft, einen professionellen, strategischen und unternehmens-relevant, passenden modularen „Baukasten“ zur Mitarbeiter/innen-Gewinnung zu entwickeln. Active Sourcing und digitales Employer Branding sind nur Teile einer ganzheitlich notwendigen Mitarbeitergewinnungsstrategie. Im Baukasten enthalten sein sollten auch Mitarbeiter-Empfehlungs- und -bindungsprogramme, Nachwuchs-Ausbildung, gelebte positive Führungskultur sowie smarte Mitarbeiterentwicklungspläne sein. Im Übrigen geben wir auf unserer Homepage in unserem Magazin Recruiting-Life Archive - talents for it auch immer sehr praktische Impulse.
Wald: Herzlichen Dank für dieses offene Gespräch. Ich wünsche Ihnen und Ihren Mitarbeiter/innen weiterhin viele Erfolge und immer zufriedene Auftraggeber/innen.
Teichert: Lieber Herr Prof. Wald, ganz herzlichen Dank und viele Grüße von uns allen und immer wieder gerne, wenn Sie einmal das Ohr an den Puls des Recruitings legen wollen. Wir freuen uns darauf!
Heute konnte ich Katja Teichert als Gesprächspartnerin begrüßen. Katja Teichert kenne ich seit vielen Jahren und habe mit großer Freude erleben können, wie sie 2016 mit dem Aufbau von talents for IT begonnen hat. Ich bin auch sehr froh, dass einige meiner Studierenden hier ihr Praktikum absolvieren konnten bzw. auch eine Anstellung gefunden haben. Frau Teichert hat talents for IT mit der Idee und Faszination gegründet, die richtigen Mitarbeiter/innen an die richtigen Unternehmen zu vermitteln. Dabei ist es ihr und ihrem Team wichtig, menschliche Verbindlichkeit, digitale Innovation und Qualität in die Arbeit der talents for IT in den Vordergrund zu stellen.
Helge ist mit diesem neuen Format seit August 2020 am Start und hat mittlerweile eine überaus stattliche Anzahl von Beiträgen kommuniziert. Ich freue mich sehr, dass ich ihm heute einige Fragen zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft seines „Babys“ stellen kann. Da Helge auch ein bekannter und breit vernetzter Experte auf dem Gebiet der HR-Kommunikation ist, liegt es auf der Hand, mit ihm auch über mögliche Trends in der HR-Kommunikation zu diskutieren.
Peter: Bereits vorab herzlichen Dank, dass ich Dir einige Fragen zum HRJournal und zu Fragen der Kommunikation im HR-Umfeld stellen kann. Wir kennen uns ja bereits geraume Zeit insbesondere aufgrund deines Interesses am HR Innovation Day, der nun Corona bedingt mehrere Mal ausfallen musste.
Helge:
Was ich sehr schade finde. Der HR Innovation Day war bisher bei mir immer ein fest gesetzter Termin. Es wird allerhöchste Zeit, dass wir uns alle wieder persönlich treffen, und zwar in Leipzig. Wie sehen denn Deine Pläne in dieser Hinsicht aus? Können wir hoffen?
Peter: Im Moment nähere ich mich dem Optimismus-Modus und überlege, ob und wie ich einen HR Innovation Day 2022 Anfang Juni 2022 evtl. auf die Beine stellen kann.
Peter: Du bist einer der Journalisten, die sich durch einen hohen Sachverstand zu Fragen des modernen Personalmanagements auszeichnen. Wie bist Du eigentlich in deinen Bereich gekommen?
Helge:
Durch ein Missverständnis. Ich komme aus der Kommunikation und habe lange als Berater gearbeitet. Vor rund zwölf Jahren habe ich mir die Prognosen zum Fachkräftemangel angeschaut und mich dann Schritt für Schritt HR angenähert. Durch Bloggen, Austausch auf Social Media und auf Veranstaltungen. Inhaltliche Berührungspunkte gab es vor allem durch Employer Branding - ein Thema, das ja auch heute noch oft von der Unternehmenskommunikation abgedeckt wird.
Meine Erwartung war, dass sich hier ein Markt auftun würde. Falsch gedacht. HR fand Employer Branding zwar immer irgendwie wichtig, aber erst jetzt, in 2022, steht dieses Thema wirklich flächendeckend oben auf der Agenda. Ich fand die HR-Welt aber so faszinierend, dass ich meinen beruflichen Schwerpunkt hierhin verlegt habe. Und ich bin von der Beratung in den Journalismus gewechselt. Beides waren richtige Entscheidungen.
Peter: Kannst Du meinen Lesern und Leserinnen etwas zur Entstehungsgeschichte des HR Journals sagen? Wie bist Du auf die Idee zu diesem Format gekommen?
Helge:
Da kam so einiges zusammen - und dann war auf einmal das HR Journal da. Gestartet bin ich im Frühjahr 2020. Da gab es den ersten Lockdown. Auf einmal hatte ich sehr viel Zeit, denn Aufträge gab es recht wenige. Ich habe letztlich dann aus dem Bauch heraus agiert und gesagt: Jetzt mache ich das, was ich schon lange tun wollte - und ich mache es spielerisch. Aufbauen war immer mein Ding, Netzwerken auch. In der Corona-Zeit war alles offen - und es erschien auch alles möglich.
Also: Einfach machen und die eigenen Vorstellungen verwirklichen. Allerdings fand ich damals auch, dass in der Welt der HR-Fachmedien durchaus noch Platz für ein neues Magazin ist. Vor allem online. Es hat geklappt. Mittlerweile schreiben für das HR Journal über 200 Gastautorinnen und -Autoren. Die monatlichen Besucherzahlen nähern sich den 25.000 an.
Peter: Gibt es so etwas wie eine thematische Entwicklungslinie? Wie haben sich ggf. die thematischen Schwerpunkte seit der Gründung entwickelt?
Helge:
Ich hatte die inhaltlichen Schwerpunkte im Employer Branding, Recruiting und Personalmarketing gesehen. Das war meine Komfortzone. Sehr schnell habe ich festgestellt, dass die Pandemie für HR grundlegende Veränderungen bedeutet. Recruiting war in 2020 nur begrenzt relevant. Stattdessen war HR auf einmal im Driver Seat in den Unternehmen, musste agieren. Führung musste neu gedacht werden, liebevoll gehegte Glaubenssätze gingen dabei zügig über Bord. Etwa der, dass nur eine Präsenzkultur effektives Arbeiten ermöglicht.
Sprich: Im HR Journal dreht sich momentan sehr viel um Führung / Leadership. Das wird auch so bleiben, trotz der Entwicklung auf dem Stellenmarkt. Lediglich an Recruiting-Stellschrauben zu drehen, das wird grundlegende Personalprobleme in den Unternehmen nicht lösen.
Peter: Durch die Auswahl der Beiträge bestimmst Du ja diese Entwicklung auch mit. Nach welchen Kriterien wählst Du die Beiträge aus?
Helge:
Erkenntnisgewinn für die Leserinnen und Leser. Die Beiträge sollen zum Nachdenken und zur Diskussion anregen, oder auf ganz konkrete Problemstellungen eingehen. Sie sollen aktuelle Entwicklungen in HR begleiten und Fachdiskussionen bereichern. Im Idealfall tun sie das. Und: Was in 2020 thematisch als superaktuell galt, wird heute eventuell im HR Journal nicht mehr publiziert. Dafür sind die Entwicklungen in HR viel zu dynamisch. Journalistische Kriterien spielen auch eine Rolle, wie etwa verständlich geschriebene Texte, die weitgehend werbefrei sind.
Peter: Die Beiträge im HR Journal sind mMn auch Indikatoren für die Schwerpunkte der Personalarbeit. Welche Beiträge bzw. welche Themenfelder finden hier die größte Aufmerksamkeit?
Helge:
Das lässt sich nicht auf einen Themenbereich reduzieren. Beiträge, die sich explizit an Führungskräfte richten, laufen sehr gut. Auch Beiträge, die neue Aspekte aufgreifen oder eine kritische These formulieren. Über die Monate hat sich abgezeichnet, wer zur Stammleserschaft des HR Journal zählt. Es sind erfreulich viele HR-Expertinnen und -Experten, und zwar vornehmlich solche mit Berufserfahrung. Der größte Anteil sind Menschen mit Führungsverantwortung.
Peter: Wird es hier zu Veränderungen kommen? Oder anders gefragt. Was sind aus Deiner Sicht die wichtigsten Themen in den nächsten Monaten?
Helge:
Der zweite Lockdown im Herbst 2020 hat Veränderungen zementiert, die unumkehrbar sind. Auch die "Great Resignation" hatte sich bereits zu dieser Zeit abgezeichnet. Momentan sind die Unternehmen dabei, diese Veränderungen "abzuarbeiten". Ich denke, dass eine Lockerung der Einschränkungen der Corona-Zeit den Handlungsdruck erhöhen wird. Dies betrifft die digitale Transformation. Vor allem aber betrifft es Fragen der Führung, der Kommunikation in den Unternehmen (dazu gleich mehr), der Kollaboration.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt dürfte sich weiter verschärfen. Nicht zuletzt Talent Management und Employer Branding werden oben auf der Unternehmensagenda stehen. Stichwort Personalbindung: Jetzt müssen sich die Unternehmen damit konsequent befassen, nicht nur darüber reden.
Wirklich spannend finde ich, wie sich unsere Gesellschaft nach der Lockerung der Einschränkungen entwickeln wird. Für uns alle sind Dinge selbstverständlich geworden, die vor zwei Jahren undenkbar waren. Auf einmal eröffnen sich uns Möglichkeiten, die vorher undenkbar waren. Mit "uns" meine ich hier auch die Unternehmen. Jetzt ist die Zeit der kreativen Brainstormings, am besten an sonnigen Tagen in vorfrühlingshafter Stimmung. Es könnte eine Zeit des Aufbruchs werden.
Peter: HR lebt von einer erfolgreichen Kommunikation nicht nur beim Employer Branding und Recruiting, sondern zunehmend auch durch die verstärkte Kommunikation mit den vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich häufig im Homeoffice befinden oder mobil unterwegs sind. Wie kann hier Kommunikation für ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Miteinanders sorgen?
Helge:
Kommunikation war schon immer wichtig, um das Gefühl der Zugehörigkeit zu fördern. Durch Social Media haben sich die Kanäle vervielfacht - und die Art der Kommunikation. Diese war nicht mehr eingleisig. Mitarbeitende konnten ohne großen Aufwand Feedback geben, in den Dialog treten. Die Pandemie hat die Anforderungen an Führungskräfte und HR drastisch erhöht. Hier wird es in diesem Jahr wirklich spannend, denn die bisherige Kommunikation der Unternehmen wird nicht mehr ausreichen, um die Teams motiviert und produktiv zu halten.
Führungskräfte und HR sind in der Pflicht, Transparenz zu schaffen. Das ist anspruchsvoll genug, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die Kommunikation wird einerseits breit streuen, das ist das alte Modell. Andererseits wird sie aber höchst individuell die Bedürfnisse der Menschen bedienen müssen. Digitale Tools gibt es genug. Nur: Nicht alles kann in der Kommunikation digitalisiert werden, das hat die Corona-Zeit gezeigt. Der persönliche Kontakt zählt, das persönliche Treffen. Nicht nur innerhalb des Teams, sondern auch mit den Führungskräften.
Was kann HR tun? Führungskräfte sowie HR sollten sich in die Schuhe der im Homeoffice arbeitenden Menschen stellen und deren Situation mit ihren Augen sehen. Das sollte nicht allzu schwer fallen. Und: Die Top-Down-Zeiten sind vorbei. Mitarbeitende sollten ermuntert werden, ihre Wünsche an die Kommunikation zu äußern und diese mitzugestalten. Und schließlich kann HR im Verbund mit anderen Bereichen im Unternehmen vorgehen. Hier sehe ich unter anderem die Unternehmenskommunikation.
Peter: Offen gesagt, halte ich die kommunikativen Fähigkeiten der meisten Personaler für ausbaufähig. Hast Du vielleicht Tipps, auch für meine Studierenden, wie hier deutliche Verbesserungen erreicht werden können?
Helge:
Kommuniziert doch endlich! HR muss sich das oft anhören. Ich würde hier gerne den Druck herausnehmen. Es ist ja nicht so, dass Kommunikationsprofis immer den Weitblick in ihrem Metier haben - und mit Kommunikation tun auch sie sich gelegentlich recht schwer. Interne Kommunikation galt in der PR lange als nicht wirklich wichtig und ein Job dort als Karrierebremse. Das hat sich seit 2020 geändert. HR ist also nicht allein mit dem Umdenken. Was also liegt näher, als enger mit der Unternehmenskommunikation zusammen zu arbeiten? Beide müssen sich verändern. Und dann sich gegenseitig die Ideen zuspielen, neue Möglichkeiten der Kommunikation austesten. Jetzt ist die richtige Zeit für Experimente. Zuhören und den Menschen Fragen stellen, das finde ich in der Nach-Corona-Zeit besonders wichtig. So einige Unternehmen machen momentan genau das, sowohl die Führungsebene als auch HR. Also: Raus aus der Komfortzone, es gibt keine bessere Zeit dazu als jetzt.
Peter: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Dir und deinem Baby, dem HR-Journal“, weiterhin eine geneigte Leserschaft mit offenen Ohren.
Helge: Vielen Dank zurück für die guten Wünsche und die Gelegenheit zu Interview. Anregungen aus der Leserschaft sind beim HR Journal sehr willkommen. Uns allen wünsche ich, dass bald wieder der HR Innovation Day stattfindet.
Mein Gesprächspartner Helge Weinberg ist Journalist aus Hamburg. Er hat an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Politikwissenschaft, Geschichte und Strafrecht/Kriminologie studiert. Er war lange in der Kommunikation tätig, und hat in der Politik, in Beratungsunternehmen und NGOs sowie für internationale Organisationen gearbeitet. Vor etwa zehn Jahren wechselte er in den Journalismus. Zuletzt war er für den Human Resources Manager tätig. Seit 2020 verantwortet er das neue Medium HR Journal, mit dem er sich insbesondere an die HR-Community, aber auch an Führungspersonen wendet.
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Wald: Lieber Herr Zander, ich freue mich, dass ich Sie erneut als Gesprächspartner gewinnen konnte. Ich denke, dass es sich immer wieder lohnt das Thema Arbeitszeit aufzugreifen, weil viele Unternehmen die klassischen Arbeitszeitmodelle als gegeben hinnehmen.
Zander: Danke lieber Prof. Wald für die Einladung zum Dialog. Es stimmt in der Tat, dass gerade bei Deskless-Workern die klassischen Arbeitszeitmodelle bzw. Schichtpläne nach wie vor dominieren und Veränderungsprojekte erst in Angriff genommen werden, wenn es gar nicht mehr anders geht. Leider ist es dann oft schon fast zu spät, weil die Veränderung von Arbeitszeitmodellen selten kurzfristig zu realisieren ist.
Wald: Woran liegt es, dass sich so viele Unternehmen scheuen, insbesondere bei den Deskless-Workern beim Thema Arbeitszeit wirklich neue Wege zu beschreiten?
Zander: Die Angst vor Veränderung zieht sich über alle Stakeholder. Das Management fürchtet eine endlose Auseinandersetzung mit Betriebsräten, Betriebsräte haben Angst, Mitarbeitende zu verärgern - gerade jetzt wo wieder Wahlen anstehen - und auch die Beschäftigten haben große Vorbehalte vor Veränderungen, weil in der Vergangenheit Flexibilitätsprojekte sehr oft zu Lasten der Mitarbeitenden gegangen sind. Die Vorbehalte haben also viel mit Misstrauen und einer erlernten und praktizierten Klassenkampfmentalität auf allen Seiten zu tun. Darüber hinaus wissen viele der Beteiligten gar nicht, dass es mittlerweile ganz andere Möglichkeiten im Thema Arbeitszeit gibt wie vor 20 Jahren. Denn durch digitale Workforce-Management-Systeme können heute auch komplexe und zum Teil individualisierte Arbeitszeitmodelle verwaltet werden, was mit Exceltabellen oder klassischen Zeiterfassungssystemen nicht möglich wäre. Da viele dies nicht wissen, suchen sie auch nicht aktiv nach Lösungen.
Wald: Doch jetzt zu unserem heutigen Thema der vollkontinuierlichen Produktion. Für viele Unternehmen scheinen diese Modelle, d.h. die ständige Anwesenheit von Mitarbeitern an 7 Tagen rund um die Uhr unabdingbar zu sein.
Zander: In der Tat. Viele Kundenanfragen zielen bei uns aktuell genau in die Richtung. Man möchte eine klassisches 3-Schicht-Modell auf ein 7*24 Vollkonti-Modell umstellen, um die Produktionskapazitäten möglichst billig auszuweiten. Das möglichst billig ist aber sehr oft ein Trugschluss. Nehmen wir mal an, ein Unternehmen hat aktuell eine 3-Schicht bei einer 40-Stunden-Woche. Derartige Unternehmen haben oft eine Krankenquote von 5-6%. Nun beabsichtigt das Unternehmen die Umstellung auf Vollkonti, um 40% mehr produzieren und damit auch den Umsatz um 40% steigern zu können. Meistens glauben dann alle, dass auch die Kosten „nur“ um 40% steigen. Dem ist aber nicht so. Zum einen werden Kapazitäten oft falsch berechnet, weil man nur die Nettobesetzung für das Wochenende zusätzlich einstellen will, „vergisst“ aber, dass man auch Personal benötigt, dass die Abwesenheiten vertritt. Außerdem fallen am Sonntag in der Regel Sonntagszuschläge von bis zu 50% an. Zusätzlich kommen bei Vollkonti in Verbindung mit einer 40-Stunden-Woche nur unmenschliche und krankmachende Schichtpläne raus. Ich kenne kein Unternehmen mit einer 40-Stunden-Woche und Vollkonti, das eine Krankenquote von deutlich unter 15% hat. Das könnte man nur vermeiden, wenn man die Wochenarbeitszeit im Vollkontibetrieb substanziell auf mindestens 36 Stunden absenkt. Und dann muss man bei einer Umstellung noch damit rechnen, dass nicht wenige Mitarbeitende kündigen werden, weil sie nicht am Wochenende arbeiten wollen. Rechnen wir jetzt mal zusammen: Kapazitätssteigerung um 40%, 20% dieser Steigerung kostet bis zu 50% mehr durch den Sonntagszuschlag, die Krankenquote wird sich nach und nach um 10% erhöhen und neben den 40% Neueinstellungen brauche ich noch Ersatz für die deutlich erhöhte Fluktuation und das bei einem Arbeitsmarkt, in dem keiner mehr Schichtarbeit möchte. Ich möchte jetzt nicht sagen, dass sich das nie lohnt. Es gibt Fertigungsprozesse, die gar keine andere Chance haben als vollkontinuierlich zu produzieren, weil das Hoch- und Runterfahren der Anlagen nicht möglich oder sehr teuer wäre. Und wenn die Fertigungstechnik sehr teuer ist, dann kann sich das auch rechnen. Bei einfachen Fertigungen könnte es aber langfristig tatsächlich billiger sein, noch ein paar zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen als auf Vollkonti umzustellen.
Wald: Die Unternehmen werden aber viele Argumente (Auftragslage etc.) vorbringen, diese Schichtmodelle weiterhin zu nutzen. Vielerorts werden nach meinen Erfahrungen auch entsprechende Wünsche von den Mitarbeitern vorgebracht.
Zander: Das ist richtig. Manchmal geht es auch gar nicht darum, den Umsatz entsprechend zu steigern, sondern einfach nur die Nachfrage bedienen zu können, damit Kunden nicht zu Wettbewerbern abwandern. Das ist durchaus nachvollziehbar. Wenn man aber davon ausgeht, dass die Auftragslage anhält, sollte man aber prüfen, ob es nicht besser wäre, mittelfristig durch zusätzliche Arbeitsplätze/Produktionsflächen das Wochenende wieder freizugeben. Gerade bei schwankenden Auftragslagen kann Vollkonti nämlich tödlich sein. Wenn man schon 21 Schichten produziert, hat man keine Puffer mehr. Wenn dann Anlagen ausfallen, kommt man automatisch in Lieferverzug und muss im ungünstigsten Fall noch Konventionalstrafe zahlen. Aus meiner Sicht ist Vollkonti in etwa so, wie wenn man die Ankunftszeit auf Basis der Maximalgeschwindigkeit eines Autos prognostiziert und sich dann wundert, dass man zu spät kommt, weil man die Maximalgeschwindigkeit nicht durchgängig fahren kann.
Zu den Mitarbeitenden kann man sagen, dass diese sich in den seltensten Fällen explizit Schichtarbeit wünschen. Natürlich gibt es auch da Fans, das hängt aber sehr stark vom jeweiligen Schichtplan ab. Es geht eher um die in Teilen sogar steuerfreien Zuschläge, die man nicht missen möchte. Denn aus einem einst gut gemeinten System zur Kompensation von Arbeit zu unliebsamen Zeiten ist eine perfides Anreizsystem zum ungesunden Arbeiten entstanden. Denn die Zuschläge erlauben es den Unternehmen, die Grundlöhne niedrig zu halten. Das Gehalt wird dann oft inklusive aller Zuschläge vorgerechnet, was dazu führt, dass diese Zuschläge als fester Gehaltsbestandteil gesehen und sogar in Finanzierungen einberechnet werden. Spätestens dann gibt es eine Abhängigkeit, ungesundes Arbeiten beizubehalten. Wir haben in unseren Projekten oft die Situation, dass wir durch alternative Schichtpläne Nacht- und Wochenendarbeit verringern könnten. Das scheitert dann aber am Veto der Mitarbeitenden, die nicht weniger verdienen wollen.
Wald: Wie sieht es aus Ihrer Sicht mit der hier nach dem Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Gestaltung der Arbeitszeitmodelle nach „gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit“ aus?
Zander: Sehr zwiespältig. Denn leider widersprechen sich diese Vorgaben. Denn ein Schichtplan soll einerseits möglichst kurze Arbeitsfolgen, dafür aber möglichst lange Freizeitfolgen und gleichzeitig möglichst viel freie Wochenenden haben. Zudem sollen Frühschichten nicht zu früh anfangen und Nachtschichten nicht zu spät enden. Das alles widerspricht sich. Wenn man lange Freizeitblöcke und viel freie Wochenenden haben möchte, muss man dafür in der Regel sieben Tage am Stück arbeiten. Ich vergleiche Schichtplanung immer mit einer zur kurzen Decke. Irgendwas schaut immer raus, d.h. einen Vorteil auf der einen Seite erkauft man sich immer mit einem Nachteil auf der anderen Seite. Unstrittig ist aber das Thema Nachtarbeit. Wenn man viele Nachtschichten am Stück arbeitet, stellt der Körper seinen Schlafrhythmus komplett um und bei jeder Umstellung gibt es ein paar Tage, in denen man schlecht schläft. Auf Dauer führt dies zu Schlafmangel und dies kann u.a. das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung erhöhen. Dauernachtschichten sind noch viel ungesünder. Das hat aber nichts mit dem subjektiven Empfinden der einzelnen Mitarbeitenden zu tun. In der Tendenz wünschen sich ältere Mitarbeitende eher kurze Nachtschichtfolgen und jüngere eher lange Nachtschichtfolgen, weil die das körperlich noch besser wegstecken können.
Wald: Ich denke, dass die negativen Wirkungen der Vollkonti-Modelle auf die Gesundheit der Mitarbeiter unbestritten sind.
Zander: Definitiv. Wir führen in unseren Projekten regelmäßig Interviews mit Beschäftigten durch und da habe ich mich schon oft mit Mitarbeitenden unterhalten, die seit 20 und mehr Jahren Vollkonti oder sogar in Dauernachtschicht arbeiten. Da sitzen mir dann Menschen gegenüber, die oft 10 Jahre älter aussehen als sie sind, einige haben bereits Herzinfarkte hinter sich, nicht wenige sind geschieden und auch sozial isoliert, weil man durch die viele Wochenendarbeit nie Zeit hat und irgendwann noch nicht einmal mehr eingeladen wird. Wenn man dann aber fragt, ob sie in Tagschicht wechseln wollen, wollen das die wenigsten, weil sie auf die Zuschläge angewiesen sind. Das ist ein Teufelskreis. Das gilt wohlgemerkt bei Vollkonti-Schichtpläne mit einer 40-Stunden-Woche. Pläne auf Basis einer 35-Stunden-Woche können viel gesünder und sozialverträglicher gestaltet werden. Im Umkehrschluss heißt das, dass wir umstellen müssen. Die Kompensation für langes und ungesundes Arbeiten darf nicht länger Geld sein, sondern muss Entlastung durch Zeitgutschriften vorsehen.
Wald: Wie steht es um die sogenannten Teilkonti-Modelle?
Zander: In der Tendenz ähnlich, zumal bei 3-Schicht von Montag bis Freitag immer nur 5er Nachtschichtblöcke möglich sind, was wie bereits erwähnt nicht so ideal ist. Andererseits sind die Wochenenden größtenteils frei und so ist in der Regel ein normales Familien- und Sozialleben am Wochenende gewährleistet. Oft wird Schichtarbeit durchaus auch als Vorteil empfunden, weil man zu unterschiedlichen Zeiten frei hat, in Spätschichtwochen hat man den Vormittag z.B. für Behördengänge oder Arztbesuche und bei Frühschicht kommt man am frühen Nachmittag nach Hause und kann noch was unternehmen.
Wald: Was sind Ihre wichtigsten Learnings bei Projekten zu vollkontinuierlicher Schichtarbeit?
Zander: Was uns am meisten erstaunt hat ist, dass nur die wenigsten Vollkonti-Produktionen tatsächlich vollkontinuierlich sind. Hört sich jetzt komisch an, ist aber so! In unseren Projekten machen wir in der Regel auch Datenanalysen, in den wir Arbeitszeiten, Maschinenlaufzeiten und Produktionsmengen analysieren. Als Ergebnis ist erkennbar, dass im Jahresdurchschnitt nicht 21, sondern z.B. nur 18 oder 19 Schichten produziert werden müsste. D.h. es gibt Zeiten im Jahr, in denen tatsächlich 21 Schichten produziert wird, aber auch Zeiten, in den nur 16 oder 17 Schicht benötigt werden. Trotzdem ist bei vielen die Kapazität und das Schichtsystem auf 21 Schichten ausgelegt. Wenn weniger zu tun ist, sind aber dennoch alle da, weil niemand Minusstunden auf dem Zeitkonto will, weil Mehrarbeit in Vollkontisystemen faktisch nur über Zusatzschichten möglich ist, die keiner machen möchte. Wenn man das aber weiß, dann kann man in Wochen mit weniger Bedarf die Schichten am Wochenende ausfallen lassen, wodurch für die Beschäftigten mehr freie Wochenenden entstehen! Im Gegenzug wird die Planung etwas flexibler, aber insgesamt ist das für alle ein Gewinn.
Wald: Was wären Ihre Tipps für Geschäftsführer und Produktionsleiter für die Umstellung auf Vollkonti?
Zander: Ich würde dringend empfehlen eine Analyse zu machen, wieviel wirklich Flexibilität benötigt wird. Kann man eine Produktion nicht zu 100% kontinuierlich auslasten oder hat man einen störanfälligen Maschinenpark, dann sollte man nicht auf 21 Schichten gehen, sondern die durchschnittliche Anzahl von benötigten Schichten ermitteln. Auf der Basis wird dann die erforderliche Bruttokapazität ermittelt und mit entsprechend flexibilisieren Schichtplänen kann man sich dann auf die Bedarfssituation einstellen. Das ist für das Unternehmen wirtschaftlicher und die Mitarbeitenden haben mehr freie Wochenenden als bei 21 Schichten.
Wald: Vielen Dank für das interessante Gespräch. Unser Gespräch können wir mit einem kleinen Teaser auf das nächste Gespräch abschließen. Wir werden dann über ein neues Projekt von Ihnen sprechen. Um was geht es dabei?
Zander: In dem Projekt geht es um einen Maschinenbauer, der der Versuchung widerstanden hat, mehrschichtig zu werden, sondern lieber Prozesse optimiert und die Hallen vergrößert hat. Und bei dem führen wir jetzt Gleitzeit und selbstbestimmte Gruppenarbeit ein, also New Work-Konzepte im Deskless Workforce-Umfeld.
Mein Gesprächspartner Guido Zander hat Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg studiert und ist seit 2005 geschäftsführender Partner der SSZ Beratung. Seit über zwei Jahrzehnten berät er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf Unternehmen und Organisationen verschiedener Größen und Branchen zu Fragen des Umgangs mit Arbeitszeit und der Personalplanung. Er gilt deutschlandweit als einer der führenden Experten auf dem Gebiet Arbeitszeitmanagement. Sein Buch "NewWorkforce Management - Arbeitszeit human, wirtschaftlich und kundenorientiert gestalten“, das er gemeinsam mit Dr. Burkhard Scherf geschrieben hat und zu dem ich Ideen sowie ein Vorwort beisteuern konnte ist im April 2021 erschienen und ist regelmäßig in den Top 100-Büchern des Personalmanagements zu finden.
Wald: Vornweg vielen Dank für die Möglichkeit, mit Ihnen über die Geschichte und die Möglichkeiten von Cobrainerzu sprechen.
Aderhold: Gerne, die Freude ist ganz meinerseits! Ich freue mich immer sehr von der Arbeit unseres Teams erzählen zu dürfen.
Wald: Wie ist Cobrainer eigentlich entstanden? Woher kam die Idee und wer war am Anfang dabei?
Aderhold: Die Geschichte von Cobrainer hat an der TU München ihren Lauf genommen. Während des Studiums mussten wir im Rahmen einzelner Projektarbeiten Studenten aus verschiedenen Fakultäten zusammenbringen. Es haben sich immer wieder die Fragen ergeben:„Welche Skills brauche ich für bestimmte Projekte? Und an welchen Fakultäten muss ich suchen?“ Das war damals die Inspiration für Cobrainer. 2019 haben wir uns von einem HR-Beratungsunternehmen mit Fokus aus Skillmanagement zu der heutigen SaaS-Lösung weiterentwickelt und sind seitdem mit unserer Skill-Plattform auf Erfolgskurs. Erst kürzlich konnten wir durch eine weitere Finanzierungsrunde 11 Millionen Euro von unseren Investoren gewinnen. Heute verwalten wir über 100.000 Mitarbeiterprofile und haben die größte Skill-Datenbank der Welt. Ich denke, darauf können wir zu Recht stolz sein!
Wald: Auf Ihrer Website steht die folgende Aussage: Cobrainer ist die weltweit führende KI-gesteuerte Skill-Plattform, die internes Recruiting, Up-Skilling, und Talentmanagement schnell & einfach macht – unvoreingenommen und basierend auf individuellen Skills. Ein mMn sehr selbstbewusstes Statement. Was macht Sie da so sicher?
Aderhold: Das Besondere an Cobrainer ist der einzigartige Skill-Graph, den wir entwickelt haben und der über 500.000 verschiedene Skills, also Fähigkeiten, enthält. Unsere Software extrahiert diese Daten zum Beispiel aus Lebensläufen oder Social Media Profilen. Außerdem durchforstet unsere künstliche Intelligenz unablässig das Internet nach neuen Skills und fügt sie unserem System hinzu – dadurch sind wir immer auf dem neuesten Stand. Eine weitere Besonderheit: Es findet eine Harmonisierung der Begriffe statt, sodass es keine Dopplungen gibt. Dieses Zusammenspiel ist unsere Kernkompetenz und hebt uns von unseren Mitbewerbern ab.
Wald: Da kann ich gleich meine nächste Frage zu einem Zitat anschließen. „Klassische HR funktioniert nicht mehr. Skills, nicht Lebensläufe, sind die Zukunft von HR.“ Dieser Aussage stimme ich zu, frage mich aber, wie steht es um das Potenzial der jeweiligen Talente für ein Upskilling. Bleibt dies nicht außen vor?
Aderhold: Ganz im Gegenteil, wir glauben, dass kontinuierliches Up-Skilling ein elementarer Baustein einer erfolgreichen HR-Strategie und glücklicher Karrieren ist. Heutzutage ist alles in Bewegung: In Unternehmen verändert sich der Bedarf an bestimmten Hard und Soft Skills ständig – neue Jobs entstehen, entwickeln sich weiter oder werden komplett abgelöst. Mitarbeitende und Unternehmen müssen daher so anpassungsfähig wie möglich bleiben. In den Unternehmen steigt aufgrund des Fachkräftemangels das Interesse, Talente innerhalb der eigenen Belegschaft zu finden und sie auf offene interne Stellen zu setzen, anstatt extern nach passenden Mitarbeitenden zu suchen. Die Mitarbeitenden benötigen nicht nur eine grundsätzliche Bereitschaft, Neues zu lernen, sondern auch Transparenz darüber, welche Kurse, Trainings und Weiterbildungen für sie persönlich sinnvoll und zielführend sind.
Cobrainer hilft beiden Seiten: Wir unterstützen Unternehmen und Mitarbeitende, den aktuellen Bedarf zu sondieren, sich an neue Anforderungen anzupassen und den Überblick über vorhandene und fehlende Fähigkeiten zu behalten. Kurz gesagt: Wir zeigen Chancen und Potenziale für Weiterentwicklung auf.
Wald: Wie ich sehen konnte, forcieren Sie richtigerweise die Transparenz der Skills. Gibt es hier im Vorfeld eine Bewertung oder schaffen die Mitarbeiter selbst diese Transparenz?
Aderhold: Transparenz ist der Schlüssel zu einem Karriereweg, der “wie für mich gemacht” ist. Nur wenn mein Arbeitgeber – aber auch ich selbst – weiß, was ich gut kann und welches Potenzial in mir steckt, lassen sich Möglichkeiten für Wachstum und Weiterentwicklung schaffen. Dabei räumt Cobrainer Mitarbeitenden das höchste Level an Information Governance ein: Sie selbst entscheiden, welche Informationen sie teilen und inwieweit sie zur Transparenz beitragen möchten.
Wald: Ein häufiger Diskussionspunkt bei Gesprächen in Unternehmen und auch bei der Ausbildung meiner Studierenden ist das Thema digitale Skills. Wie betrachten Sie digitale Skills? Und was gehört aus Ihrer Sicht zu den digitalen Skills? Wie können oder sollten diese entwickelt werden?
Aderhold: Auch wenn sich dieser Trend bereits früh abgezeichnet hat: Die letzten zwei Jahre haben nochmal deutlicher gezeigt, wie wichtig das Vorhandensein digitaler Skills ist. Im Rahmen der beschleunigten Digitalisierung in Unternehmen wurden zunehmend Tools und Plattformen entwickelt und implementiert, die besonders die Arbeit von zu Hause aus erleichtern und effizienter machen sollen. Viele Unternehmen wurden erstmalig mit einem solchen (spontanen) Umfang an Digitalisierung und folglich der Notwendigkeit digitaler Skills konfrontiert. Diese reichen vom Umgang mit Productivity Suites über kollaborative Workspaces, Tools und Kommunikationslösungen bis hin zu komplexeren Prozessen und Anwendungen in der Cloud. Zum Beispiel, sind in den letzten Jahren virtuelle Präsentationsskills immer relevanter geworden, sowohl für Studierende aber auch für Arbeitnehmer und natürlich Lehrpersonal. Fehlen diese Skills, sinkt nicht nur die Produktivität im Tagesgeschäft, sondern auch die Moral unter den Mitarbeitenden. Das bedeutet: schnell handeln und der Belegschaft Möglichkeiten einräumen, fehlende Skills zu erwerben und sich weiterzuentwickeln. Dafür müssen sowohl Unternehmen als auch Mitarbeitende nachvollziehen können, an welchen Ecken und Enden Nachholbedarf besteht und vor allem müssen beide Seite bei der Fülle an verschiedenen digitalen Skills den Überblick behalten. Auch hier schafft Cobrainer Abhilfe.
Wald: Stichwort kollaboratives Lernen: Was kann hier Cobrainer beitragen?
Aderhold: Die Skill-Transparenz, die durch Cobrainer erreicht wird, lässt sich tatsächlich auch im Hinblick auf das kollaborative Lernen beobachten, da sich durch unsere Plattform Mitarbeiter mit ähnlichen Skill-Profilen gegenseitig finden und austauschen können, sofern sie das möchten. Desweiteren kann ich auch in Hinblick auf selbst gesetzte Lernziele sehr einfach Kollegen in meinem Unternehmen identifizieren, die diese Lernziele bereits erreicht haben oder sich gerade im aktiven Training befinden. Diese Referenzen sehen zu können hilft in vielerlei Hinsicht dabei, Angst oder Bedenken vor der Belegung eines Kurses oder der Kommunikation eines Lernziels zu nehmen.
Wald: Wie bewerkstelligen Sie die Verbindung zwischen Skill Management und Karriereplanung?
Aderhold:Wer ein Profil auf unserer Plattform hat, erhält nicht nur volle Transparenz über die eigenen Skills und darauf basierende Jobempfehlungen, sondern kann sich auch eigene Lernziele setzen und sich somit für den nächsten Schritt auf der Karriereleiter vorbereiten. Auf Basis dieser Ziele geben wir Empfehlungen für Kurse und Weiterbildungen, mit denen die Mitarbeitenden die gewünschten Skills erwerben können. Jeder einzelne hat so seine Karriere selbst in der Hand und kann selbstbestimmter handeln.
Wald: Wie kann Cobrainer in das Personalmanagement moderner Unternehmen integriert werden? Führt dies ggf. zu Konsequenzen für HR bzw. die Personalarbeit allgemein?
Aderhold: Die Cobrainer Plattform lässt sich nathlos und intelligent in bestehende HR-Management- und Learning-Management-Systeme einbinden. Dort sammelt sie die eingespeisten Daten, wertet sie aus und gibt der Personalabteilung einen Einblick in das im Unternehmen vorhandene Skillset sowie Entwicklungsmöglichkeiten. Cobrainer fungiert daher als positive Erweiterung bzw. als Unterstützung für die Personalarbeit, denn dort kann man dank der Lösung mit weit mehr Informationen als zuvor arbeiten und somit fundiertere Personalentscheidungen fällen. Unsere Plattform spart dank der künstlichen Intelligenz zudem viel Zeit, die stattdessen in andere wichtige Tätigkeiten investiert werden kann.
Wald: In vielen Unternehmen gibt es nach wie vor Defizite bei den Skills für die Anwendung digitaler Werkzeuge. Vieles ist hier gerade im Zuge der Pandemie im „Do it yourself-Modus“ erfolgt. Kann hier der Cobrainer helfen, systematischer zu agieren?
Aderhold: Da stimme ich zu. Der Umgang mit digitalen Tools ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, doch viele kommen mit dem Erlernen dieser neuen Fähigkeiten nicht hinterher. Oft ist ja nicht mal innerhalb des Unternehmens bekannt, welche Tools zur Verfügung stehen und Mitarbeitende sind sich dieser Lücken gar nicht wirklich bewusst. Cobrainer kann dabei helfen, mögliche Defizite in Sachen digitaler Skills systematisch aufzudecken. Dafür pflegen die Mitarbeiter lediglich ihre Informationen zu ihren Hard Skills in die Plattform ein. Das intelligente System ist dann in der Lage, ihnen hilfreiche Trainings- und Fortbildungsmöglichkeiten zu empfehlen, mit denen sie Skill-technisch aufholen können.
Wald: Da drängt sich auch die folgende Frage auf! Oft erkenne ich ein „Digital Divide“ in den Unternehmen – zwischen den Mitarbeitern, die digital arbeiten können und bei denen dies nicht möglich ist. Wie kann hier ggf. Cobrainer helfen?
Aderhold: Es ist wichtig, dass Unternehmen diesen „Digital Divide“ erkennen und eine Schließung der Lücken anstreben, indem sie ihren Mitarbeitern Weiterbildungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten bieten. Somit wirken sie dem Entstehen einer „digitalen Zweiklassenbelegschaft“ entgegen. Cobrainer kann nicht nur den Mitarbeitenden allgemein Skill-Lücken aufzeigen, sondern Unternehmen auf eine entstehende oder sich vergrößernde Kluft hinweisen, woraufhin sie entsprechend eingreifen können.
Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses informative Gespräch. Für die Zukunft wünsche ich Ihnen und Cobrainer weiterhin viele Erfolge sowie immer zufriedene Kunden und Partner.
Aderhold: Vielen Dank, es war mir eine Freude und ich hoffe, ich konnte Ihnen und Ihren Lesern einige hilfreiche Einblicke verschaffen und das Thema Skills näher bringen!
Einige Angaben zu meinem Gesprächspartner. Hanns Aderhold wuchs in den USA, Deutschland und China auf. Er studierte Architektur an der Technischen Universität München, leitete Engineering Projekte sowohl in der EMEA- als auch in der APAC-Region und arbeitete als Analyst im Bereich Venture Capital. Hanns Aderhold ist der Mitgründer und Geschäftsführer von Cobrainer.
Peter: Welche Rolle spielen denn diese Dinge bei deinem Thema Prävention? Über die wir jetzt sprechen.
Veronika: Also eine große Rolle einerseits sind diese Arbeitsbedingungen, die ich jetzt beschrieben habe, natürlich Einflussfaktoren für die Beschäftigten, dass heißt ich muss es beachten als Einflussfaktor, als psychische Belastung. Anderseits habe ich eben auch diese Rahmenbedingungen selber wenn ich arbeite mit Organisationen. Das ist zum jetzigen Stand immer noch so, dass ganz viele Organisationen, selbst wenn sie auch in Wien sitzen sollten, haben wir hier diesen Online-Kontakt vor allem. Das heißt auch ich muss mich hier gut einstellen können auf diese Rahmenbedingungen, die die Organisation mir gibt. Und auch ich hab ganz viele Interviews, Seminare und auch Workshops, die ich halte, immer noch online.
Peter: Jetzt versuche ich als Personalexperte, Personalprofessor oder wie auch immer möglichst alle Mitarbeitenden im Blick zu haben. Das was wir jetzt besprochen haben, dass sind ja die klassischen White-Collar, manchmal auch Wissensarbeiter genannt. Jetzt gibt es aber doch auch sehr sehr viele Blue-Collar-Worker, die gewerblichen Arbeitnehmer. Und was ist denn bei denen aus deiner Sicht in der nächsten Zeit wichtig? Was sind denn Präventionsfragen für die Blue-Collars?
Veronika: Also bei den Blue-Collar-Workern finde ich es extrem wichtig, und da sieht man die Tendenz eh schon in der Branche, dass auf psychische Arbeitsbedingungen immer mehr Wert gelegt wird. Gott sei Dank sind die ganzen körperlichen Arbeitsbedingungen, also Arbeitssicherheit und körperliche Gesundheit etwas, wo wir schon sehr gut unterwegs sind und wirklich viele Firmen schon gute Systeme aufgebaut haben. Aber eben auch in dieser Zielgruppe ist darauf zu achten, was sind stressige Arbeitsbedingungen, was sind psychische Belastungen, die man auch verändern kann als Organisation, das sehe ich wirklich als eines der großen Themen, die da eh schon gut präsent sind, aber vielleicht habe ich auch nur einen sehr positiven Eindruck da bei mir die Kunden landen, die das auch machen. Aber ich habe tatsächlich den Eindruck, dass auch durch die Pandemie dieses Thema, die eigene Psyche, wie geht es mir mit bestimmten Bedingungen, das das etwas geworden ist, was immer leichter wird darüber zu sprechen und damit eben auch bei Arbeitern, bei ganz klassischen Arbeitern.
Peter: Ja das ist ja, ich denke gut, wenn es da einen gewissen Sensibilisierungseffekt, ein gewisses Bewusstsein dafür gibt. Aus meiner Sicht eine ganz wichtige Sache, weil ich stellenweise so eine gewisse Gefahr sehe, ich sag dann „digital divide“ dazu. Auf der einen Seite überlegen wir genau was im Homeoffice zu gestalten ist, wie wir die Dinge machen und auf der anderen Seite haben wir dann die gewerblichen Arbeitnehmer, bei denen es manchmal auch was Führung angeht, um vielleicht auch da nochmal ein Thema aufzureißen, gar nicht so positiv aussieht wie das oft besprochen wird. Das wäre vielleicht noch eine Sache, weil das treibt mich auch um, Führung. Du könntest das ruhig in Zusammenhang mit Prävention und psychischer Belastung sehen, was könnte denn da oder was sind in 3 bis 5 Jahren die wichtigen Themen? Wir sprechen ja auch über einen Generationswandel, Generation Z und Alpha. Das sehe ich auch an meinen Studierenden, das sich die Erwartungen doch massiv geändert haben. Was sind aus deiner Sicht, aus deiner Beratungstätigkeit heraus die bezogen auf die Führung wichtigen Themen?
Veronika: Bei der Führung geht es eben auch sehr stark darum, dass diese Führungskräfte lernen, wie sie führen können ohne einfach nur ihre Machtposition auszuspielen. Das heißt also nicht einfach mit dem erhobenen Zeigefinger und einem „Dann schmeiß ich dich halt raus“, weil ganz viele Leute sagen „Dann mach doch“ und sich dann zurücklehnen und sagen es ist mir egal. In gewissen Branchen herrscht ein großer Mangel an guten Beschäftigten, d.h. die Arbeitnehmer:innen lassen sich da nicht unter Druck setzen sondern die gehen dann im Zweifel zu einem anderen Arbeitgeber. D.h. da müssen die Führungskräfte sehr sensibel sein wie sie hier mit ihrer Macht umgehen, mit welchen Bedrohungsszenarien sie glauben mehr Motivation schaffen zu können. Ich glaub auch das je mehr, und das wird immer mehr werden, Menschen auch einen Zugang haben zu ihren eigenen Emotionen, sich trauen darüber zu sprechen, auch über psychische Belastungen desto eher sind auch Führungskräfte gefordert mit dieser angebotenen Information umzugehen. Was mach ich denn wenn ein eine Mitarbeiter:in zu mir sagt: „Peter ich kann nicht mehr, ich halte das nicht mehr aus, ich schaff das nicht mehr jeden Tag“ was macht man dann? Und da sind dann auch Führungskräfte gefordert, das hat von denen niemand gelernt. Und im schlimmsten Fall werden die dafür auch nicht ausgewählt, nicht die Menschen, die am besten auf Beschäftigte eingehen können, sondern Menschen die vom Inhalt her besonders gut gepasst haben, die fachlich extrem gut waren. Das ist eine Herausforderung, die einfach Führungskräfte da auch haben, die sagen ok, wie geh ich mit solchen Situationen um. Das sind sicher so große Dinge und ansonsten bin ich davon überzeugt, dass sowas wie die Pandemie, das wird in den nächsten Jahren immer mal wieder auftreten. Große lebensverändernde Ereignisse wo Führung gefragt ist, die flexibel ist, situationselastisch auch agieren kann und damit auch umgehen kann und ihre Schäfchen hier beieinander halten kann, auch in so schwierigen Situationen.
Peter: Vielleicht mal jetzt eine mutige Frage. Können wir denn über Präventionsfragen und über Evaluierung von Belastungen auch Einfluss auf Führungstätigkeiten, Führungsverhalten nehmen? Wäre das eine Idee? Macht man mit den Evaluierungen in Deinem Umfeld etwas? Gibt es da Schlussfolgerungen jetzt im Sinne von Personalentwicklung, von Trainings oder ist das jetzt zu weit gegriffen?
Veronika: Nein, definitiv. Es hat mal ein Kunde von mir gesagt, den Satz fand ich sehr schön, wenn man so eine Evaluierung richtig gut macht, dann ist das in Wirklichkeit eine Organisationsentwicklungsmaßnahme. Dann greift das ja wirklich in alle Bereiche ein, weil ich ja alle Arbeitsplätze einer Organisation mir anschaue und Führung, Sozialklima ist eins von vier großen Themenbereichen, die ich hier immer abdecke. Das heißt das ist ein Riesenthema und wenn ich gute Maßnahmen finde, dann sind die ja verhältnisbezogen. D.h. ich versuche Rahmenbedingungen zu verändern und im Zuge dieser Rahmenbedingungen, wenn die sich verändern, verhalten sich auch Führungskräfte anders. In der Regel sind Führungskräfte sehr sehr dankbar wenn sie sehr konkretes Feedback bekommen zum eigenen Führungsstil. Denn wir wissen alle, uns selber einzuschätzen ist ganz ganz schwierig. Und da sind Führungskräfte sehr dankbar, wenn man eben hier sehr konkret sagen kann in welche Richtung könnte es denn gehen, was wäre hilfreich beispielsweise oder wär es wert, vielleicht auch Rahmenbedingungen die sie mal ausprobieren können in ihrem Team. Was könnten sie verändern an der wöchentlichen Abteilungsbesprechung damit die Leute gerne hinkommen und sich dabei auch mehr beteiligen? Damit das nicht nur ein Vortragen ist, was der Vorstand letzte Woche erzählt hat. Und das sind Dinge, da kann ich natürlich Führungsverhalten gut steuern in Wirklichkeit.
Peter: Es ist eine Sache, die finde ich sehr sehr interessant, das dürfte auch eine Menge an Ansatzpunkten geben. So jetzt vielleicht noch was Provokatorisches zum Schluss. Ich hab bei LinkedIn gesehen, dass Du Anfragen und mögliche Aufträge ablehnst, weil Du sagst, aus meiner Sicht berechtigterweise, ich fühl mich da nicht zu Hause, ich verfüge nicht über die entsprechende Expertise und ich mache dies dann nicht. Jetzt gab es da eine „nette“ Diskussion, in der jemand gesagt hat, da kann man sich nicht weiterentwickeln oder da kann frau sich nicht weiterentwickeln, wenn man nicht andere Dinge macht. Wie siehst Du das Thema und kannst du das nochmal aus deiner Sicht reflektieren.
Veronika: Ja sehr gerne. Ich bin davon überzeugt, dass es gerade für Selbstständige extrem wichtig ist sich zu positionieren. Und wenn ich Anbieterin bin, Expertin für psychische Belastungen, dann ist das mein Themengebiet. Und dann bin ich da besser, je spitzer ich aufgestellt bin. D.h. wenn ich klar sagen kann, wer sind meine Kundinnen und Kunden und was sind die Dinge, die ich übernehme von einem Kunden oder die Aufträge, die ich übernehme und wo ziehe ich auch die Grenze zu anderen Dingen. Bei mir sag ich, mein Kerngeschäft ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Und dann kommen eben manchmal Anfragen rein, wo sich Leute vielleicht denken, dass könnte mit dem Thema Psyche irgendwie zu tun haben und in Wirklichkeit denke ich, dass ist nicht mein Thema. Ich bin eben Arbeitspsychologin und betreue Firmen und keine Einzelpersonen. Und wenn jetzt z.B. eine Anfrage reinkommt. Was hab ich mal bekommen? Von einem Frauennetzwerk, ich möge doch mal einen Vortrag halten oder Seminar geben für Frauen aus verschiedensten Organisationen, wie sie ihre Work-Life-Balance verbessern können. Ist ein total spannendes Thema und das Thema Work-Life-Balance kommt ja auch immer mal wieder vor in meinem Job, so ist es ja nicht, aber ich betreue Firmenkunden und ich betreue sie so, dass ich versuche, gemeinsam mit der Geschäftsführung und Führungskräften Arbeitsbedingungen zu verändern. Und ich betreue keine Einzelpersonen und werde dann mit denen planen, wieviel Zeit sollten sie sich nehmen für ihre Kinder und für das Arbeiten. Nicht meine Brille sozusagen, die ich aufsetze. Und da ziehe ich für mich die Grenze und sag ok das sind Aufträge, die geb ich sehr gern an Kolleginnen weiter, die sich mit diesem Thema beschäftigen oder dieses Thema aus dieser Sichtweise betrachten. Ich glaube nicht, dass ich mich dadurch nicht weiterentwickle. Ich glaube, dass ich mich dadurch weiterentwickle, dass ich mein Fachgebiet sehr gut abdecke. Da versuche auf dem neusten Stand der Informationen zu bleiben und auch eben mich didaktisch weiterentwickle, indem ich z.B. nicht nur Offline-Seminare anbiete sondern auch Webinare. Da gibt es für mich genug Möglichkeiten, mich hier in Dinge zu vertiefen. Und wenn mich mal ein Thema anlacht, wo ich sage eigentlich interessieren mich nicht psychische Belastungen in allen Organisationen, sondern ich möchte mich spezialisieren nur auf Baufirmen, fuchse mich dort richtig ein und lese mich dort total ein rund um das Thema Bau beispielsweise. Dann kann ich das ja immer noch machen als Selbstständige. Das ist ja das Schöne. In 11 Jahren der Selbstständigkeit, mach ich ja auch nicht mehr das, was ich vor 11 Jahren gemacht habe. Diese Weiterentwicklung habe ich ja sowieso bei mir drinnen. Deshalb kann mich mich sehr spitz positionieren und den Kunden versuchen, eine sehr hochwertige Dienstleistung zu bieten aber in einen sehr abgegrenzten, abgesteckten Themengebiet.
Peter: Ich sehe das offen gesagt ähnlich. Von Zeit zu Zeit werde ich angefragt was Vorträge angeht usw. Ich bin da auch durchaus der Meinung, dass es Dinge gibt, wo das Nein kommen muss. Ansonsten wird das für alle unangenehm, für mich als Vortragenden und natürlich auch für die Teilnehmenden. Ich will vielleicht zum Schluss nochmal, ich bin ja Personalprofessor und ich geh mal davon aus, dass Du bei deinem Studium auch etwas zu Personalmanagement gehört hast. Ich bin auch in der guten Lage meine Studierenden über mehrere Semester zu begleiten, die sich für den Studienschwerpunkt Personal entschieden haben. Was hältst Du denn auf dem Gebiet Personalmanagement für die wichtigen Themen. Das würde ich gerne hören, weil ich das auch bestimmt bei der Konzeption und bei der Änderung von Lehrinhalten berücksichtigen werde. Was ist da wichtig deiner Sicht? Was kommt vielleicht an neuen Dingen hinzu?
Veronika: Ich habe tatsächlich auch eine postgraduale Ausbildung gemacht als Personalpsychologin, weil ich das wirklich spannend finde dieses Thema. Und das Thema was mich immer, also ich arbeite nicht in diesem Feld, aber das Thema was sich für mich immer wieder auftut und wo ich Wissen einfließen lassen kann ist das Thema Recruiting. Wie setze ich gut ein Anforderungsprofil auf, für eine Tätigkeit und welche Fragen kann ich in einem Interview stellen um genau auf diese Anforderungen zu kommen. Das ist leider so, dass viele Organisationen nicht auf psychologische Testverfahren, Assessment Center und solche Dinge zurückgreifen. Aber es fragen mich immer wieder Führungskräfte, wie kann ich in einem Gespräch mit einem Bewerber mit einer Bewerberin draufkommen, ob die passt zu diesem Job. Und diese Informationen, die finde ich so extrem wichtig. Und ich glaube das jeder, der Personalwirtschaft studiert, der sollte auch von der entsprechenden DIN Norm 33430 gehört haben und wissen wie diese umgesetzt werden kann. Wissen, dass es ein Schwachsinn ist zu sagen, ich erkenne die Leute in den ersten 10 Sekunden ob sie passen sind oder nicht. Das sind für mich Scharlatane und Idioten, die das sagen. Sondern man muss in der Lage sein, wenn man das wissenschaftlich angeht, auf dem Level sind wir ja beide, das man sagt ok wie stelle ich ein Anforderungsprofil zusammen, an eine Tätigkeit, egal welche, und wie kann ich die in einem Gespräch möglichst gut abbilden. Das wäre großartig, wenn deine Leute das sozusagen mitnehmen könnten.
Peter: Das ist Eignungsdiagnostik, jetzt haben wir ja auch das Thema, dass dort künstliche Intelligenz eingesetzt wird. Ich konstruiere mal, wenn ich vorher schon damit nicht zurechtgekommen bin, dann dürfte das auch mit künstlicher Intelligenz etwas schwierig werden. Als großes Thema: Eignungsdiagnostik, ganz wichtige Frage. Und da haben auch gestandene Personaler durchaus ihre Probleme.
Veronika: Aber das ist das Kerngeschäft. Wenn man die falschen Leute an die falsche Position setzt, dann hab ich es nachher echt schwer mit Personalentwicklung. Sondern ich muss am Anfang des Problems anfangen und die richtigen Leute aussuchen und richtig hinsetzen.
Peter: Das werde ich mir wirklich auf die Fahnen schreiben, Veronika. Ein ganz wichtiger Hinweis. Jetzt haben wir so ein bisschen internationale Zusammenarbeit hier. Ich sitze in Leipzig, du sitzt in Wien. Gibt es da noch irgendetwas was dir durch den Kopf geht zum Ende unseres Gespräches was du für wichtig hältst? Ich hatte ja zu Beginn gesagt ich halte Österreich für etwas überschaubarer als das hier in Deutschland der Fall ist. Also Norden und Süden sind auch durchaus manchmal Probleme, Ost und West natürlich hier in Deutschland. Gibt es da irgendwas, das sollte ich mal los werden? Oder eher nicht?
Veronika: Ich glaube das so eine sozusagen grenzübergreifende Zusammenarbeit und so ein Austausch immer wertvoll ist. Also immer so ein bissl den Blick über den eigenen Tellerrand, also sowohl interdisziplinär als auch eben international, der hat mich immer weiter gebracht bis jetzt in meiner Arbeit. Also das ist etwas, was ich extrem genieße und was ich wirklich schätze, wenn so etwas zustande kommt. Ich glaube, dass wir uns da wirklich austauschen sollten, regelmäßig. Und das jeder von uns und auch alle Leute die uns jetzt zuschauen oder zuhören, dass die eben auch sich Netzwerke suchen sollten, wo sie sich austauschen können mit anderen. Weil das eben den eigenen Blick weitet und man soll eh bei seinen eigenen Leisten bleiben und bei seinen eigenen Dingen, aber nochmal einen anderen Blick darauf zu bekommen wie das in anderen Ländern gehandhabt wird oder eben auch in anderen Disziplinen gesehen wird. Das gleiche Problem aus unterschiedlichen Sichtweisen. Das finde ich immer extrem wertvoll.
Peter: Das kann ich nur bestätigen und wenn ich in Österreich bin und dort Lehrveranstaltungen durchführe, das ist immer sehr sehr interessant und es gibt in vielen Fällen mal eine andere Sichtweise, mal von einigen Worten abgesehen, wo ich dann immer mit mir kämpfe. Ich denke ich hab das jetzt schon ganz gut mitbekommen, dass es immer passen muss usw. Veronika, das ist wirklich sehr nett gewesen, das du hier für das Gespräch zur Verfügung standest und es ist wirklich auch sehr aufschlussreich. Ich werde mir alles nochmal anhören. Aber erstmal ganz ganz herzlichen Dank und ich möchte auch gern sagen, dass ich mich freue wenn sich mal wieder virtuell oder sich vielleicht sogar mal persönlich die Wege kreuzen. Ich wünsche Dir in der Beratungstätigkeit und auch bei den „Pionieren der Prävention“ nachhaltige, anhaltende und viele Erfolge. Und nochmals ganz ganz herzlichen Dank, dass ich das Gespräch hier mit dir führen konnte.
Veronika: Dankeschön lieber Peter für die Einladung, hat mich auch sehr gefreut und würde mich sehr freuen, wenn wir mal gemeinsam auf einen Kaffee gehen in Wien.
Peter: Das machen wir unbedingt. Viel Erfolg und mach es gut.
Dies ist das Ende
des Gesprächs mit Veronika Jakl - hier geht es zum Video des Gesprächs.
]]>Veronika Jakl ist eine bekannte Expertin für psychische Belastungen und wird als Beraterin, Buchautorin und Gesprächspartner sehr geschätzt. Das Interview mit ihr war für mich eine Premiere - eine erste Ausgabe des sogenannten HR Innovation Dialogs. Dieses Interview habe ich per Video geführt und das Transkript des ersten Teils dieses Interviews findet sich hier. Viele der hier angesprochenen Themen bewegen mMn die Personaler-Community nach wie vor und ich denke, das sich hier viele Anregungen und Ideen - auch hinsichtlich der Herausforderungen im kommenden Jahr finden lassen. Der Link zum Video des Interviews befindet sich am Ende dieses Textes. Gern nutze ich diese Gelegenheit, Veronika herzlich für diesen sehr offenen und konstruktiven Meinungs- und Ideenaustausch zu danken.
Peter: Liebe Veronika, herzlich Willkommen zu einem Gespräch mit mir, einem bloggenden Professor. Ich freue mich, dass du da bist und das mit dem Gespräch geklappt hat. Als kleines Entree, bevor ich dich frage, wer du bist und was du so machst, die kleine Geschichte, wie es zu unserer Bekanntschaft gekommen ist. Ich habe an den IAG-Online-Learning-Tagen 2021 teilgenommen, die von der deutschen Unfallversicherung organisiert wurden, und dort hast Du einen Workshop zu Fragen der Prävention, zu Belastung und Belastungsermittlung online gegeben. Der Workshop hat mich offen gesagt sowohl inhaltlich und fast noch mehr vom Stil her begeistert. Offensichtlich sind solche Workshops für Dich keine große Anstrengung bzw. was du sonst machst auch online anzubieten. Das war sozusagen der Aufhänger. Wir sind uns dann gegenseitig gefolgt, ich war mehr bei dir auf der Homepage, ich habe geschaut was Du bei Twitter und LinkedIn machst. Und da waren natürlich meine Augen und mein Staunen sehr sehr groß, denn, ich würde mal ganz einfach sagen, du bist eine sehr renommierte Arbeits- und Organisationspsychologin mit einer eigenen Firma. Du betreibst ein Netzwerk mit dem Namen "Pioniere der Prävention" mit Veranstaltungen, Erfahrungsaustausch, das sind ja Dinge, und das beobachte ich auch wenn von Zeit zu Zeit in Österreich bin, dass dies bei Euch manchmal etwas überschaubarer ist als bei uns in Deutschland. Gern würde ich den Ball jetzt mal nach Wien spielen und bitte Dich, stell Dich mal kurz vor, was machst Du, wo siehst du deine Ziele. Das wäre wirklich ganz nett.
Veronika: Gerne, den Ball greife ich sehr gerne auf. Vielen lieben Dank für die Einladung und diese schönen warmen Worte zu Beginn. Ja ich bin selbstständig als Arbeitspsychologin unterwegs, jetzt seit über 11 Jahren, und hab da auch schon einiges erlebt muss ich sagen. Mein Hauptschwerpunkt, wenn ich Firmen begleite, dann ist das in der Regel die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, die wir in Österreich ja genauso haben mit der sogenannten Evaluierung, wie es bei uns heißt aber inhaltlich genau das Gleiche ist. Das heißt, das ist mein Tätigkeitsschwerpunkt bei Organisationen. Daraus ergeben sich dann manchmal noch ein paar andere Aspekte aus der Arbeitspsychologie, die Firmen dann eben aufnehmen wollen. Und das begleite ich mit unterschiedlichsten Methoden: mit Workshops, mit Onlinebefragungen all dem was sozusagen die Organisationen brauchen und womit wir die Beschäftigten gut erreichen. Und eben mein zweites Standbein, meine zweite große Leidenschaft sind eben die „Pioniere der Prävention“. Das ist ein Netzwerk von Menschen, die in der betrieblichen Prävention unterwegs sind. Wo wir uns gegenseitig austauschen und hier auch psychologische Impulse geben rund um das Thema Gesprächsführung, wie kann man Leute mitreißen eben auch sich für dieses Thema Arbeitssicherung, Gesundheitsschutz zu begeistern. Das ist so mein Hintergrund.
Peter: Da bleiben wir gleich mal bei diesem schönen Wort mitreißen. Und ich hatte ja schon zu Beginn gesagt, dass es dir wirklich sehr gut gelingt, Online-Workshops mitreißend zu gestalten. Wie bist du darauf gekommen. Ist das vom Himmel gefallen? Hast du dich bei anderen informiert oder ist Dir das gegeben? Das ist so eine Frage, die mich in den letzten Wochen und Monaten bewegt hat. Wie macht du das? Ist das persönlichkeitsabhängig, können es einige und andere nicht? Was meinst du?
Veronika: Das glaube ich gar nicht. Ich glaub das ist eher eine Übungssache. Wie gewohnt ist man es, mit diesem Medium eben auch zu arbeiten. Und über so ein schwarzes Loch, über so eine Kamera, dann eben auch mit Menschen Kontakt herzustellen. Grundsätzlich, was mir so ein bisschen in die Wiege gelegt wurde, ich bin ziemlich technikaffin. Dass schon, mein Vater war Programmierer Zeit seines Lebens, deswegen habe ich schon selber relativ früh begonnen so mit einfachen HTML-Geschichten, meine eigenen Website zu bauen. Wie dann endlich das Internet aufgekommen ist. Von dem her hab ich da schon immer eine Affinität gehabt. Hab auch meine eigenen Websiten immer selber programmiert. Das war immer was, wo ich mich ganz gern eingefuchst habe, so in neue Dinge. Und wie dann eben auch Videokonferenzen aufgekommen sind, vor einigen Jahren, hab ich das natürlich auch mit ganz viel Begeisterung mitverfolgt. Hab aber ehrlich gesagt noch keine Kunden gehabt, die das mitgemacht haben. Ich hab immer versucht, dafür zu begeistern und gesagt „Ja wir können doch eine Videokonferenz machen“ anstatt ich 4 Stunden in eine Richtung fahre für 1 1/2 Stunden Besprechung. Die waren immer noch sehr zurückhaltend. Sagten „Na wir sollten uns schon mal die Hand gegeben haben und das wär doch wichtig“. Da bin ich immer gegen eine Wand gelaufen. Gut, hab ich akzeptiert und trotzdem immer wieder angeboten. Hab dann vor 3 Jahren mittlerweile meinen ersten Online-Kongress veranstaltet, für Menschen in der betrieblichen Prävention, und der ist in den letzten Jahren sehr sehr groß gewachsen und haben dieses Jahr auch fast 800 Teilnehmer dabei gehabt. Einfach weil das ein Medium ist, wo ich gesehen hab, da kann man die Leute sehr sehr gut vernetzen, zeit- und ortsunabhängig. Genau und so ist das einfach Schritt für Schritt in den letzten Jahren gewachsen. Und immer mehr angeboten habe und für Menschen in der betrieblichen Prävention und im ganzen deutschsprachigen Raum. Und ich sag mal meine ersten Videos und meine ersten Webinare waren sicher grauenhaft, ganz furchtbar.
Peter: Kann ich mir nicht vorstellen…
Veronika: Schau mal auf meinen YouTube-Kanal und blättere mal ein paar Jahre nach hinten. Wirklich furchtbar, kann man sich nicht mehr anschauen. Aber es ist etwas, das braucht halt seine Zeit. Das braucht seine Übung und da muss man auch einfach ins kalte Wasser springen. Und ich muss sagen, dadurch dass ich schon sehr früh in dieses Wasser zumindest meine Zehen reingesteckt habe und Dinge ausprobiert habe, ist es mir dann leichter gefallen. Auch wie die Pandemie kam und plötzlich alle meine Kunden online betreut werden wollten. Ist es mir dann durchaus leichter gefallen mich schnell anzupassen. Ja und dann war die Lernkurve natürlich nochmal deutlich steiler und so hat sich das gut entwickelt über die letzten Jahre.
Peter: Jetzt stoße ich natürlich bei meinen Überlegungen gleich auf eine Aussage von dir und du sagst ja, tolle Vorträge brauchen ganzheitliche Kommunikation und Interaktion. Da gibts, ich denke nach wie vor viele trotz der letzten Monate, die damit kämpfen. Was meinst du mit ganzheitlicher Kommunikationen und Interaktion bei Online-Vorträgen. Ich kämpfe ja, muss ich sagen auch jeden Tag, jede Woche. Wir sind ja jetzt schon über ein Jahr im Online-Lehrbetrieb, aber was meinst du mit ganzheitlicher Kommunikation und Interaktion bei Online-Formaten?
Veronika: Genau, ich finde es extrem wichtig eben auf diese Dinge zu schauen und zu schauen wie ich die Leute möglichst gut erreichen kann, auch über dieses Medium. Ganzheitliche Kommunikation, da stellt man sich vielleicht vor ich muss die Leute riechen können, muss sie greifen oder es muss in 3-D sein. Aber das stimmt so nicht in meinen Augen. Wenn wir das ganze in die Online-Welt verlagern, dann kann ich hier in anderen Dimensionen mitdenken. Dann kann ich versuchen, Leute auf andere Art und Weise zu erreichen und nicht nur über mein Video und meine Sprache. D.h. ich kann beispielsweise hier über Video und Sprache Fragen stellen und Vortrag machen. Aber damit ich zurück sozusagen diese Kommunikation bekomme, diese Interaktion, brauche ich nicht zwangsläufig das Video oder Audio von meinen Teilnehmern.
In einem Seminarraum finde ich es natürlich super, wenn ich so ein bisschen höre wenn die Leute zu gähnen anfangen, zu kichern, Nebengespräche… Da ist vielleicht etwas was ich gesagt habe, was sie jetzt besprechen wollen. Das hab ich in der Regel online nicht. Was ich aber versuchen kann online und was sehr sehr gut funktioniert, ist das ich andere Medien mit einsetze. Das die Leute bei Abstimmungen mitmachen, mir durch ein Klicken Kommunikation mitgeben oder das ich sie über den Chat mit kommentieren lasse. Oder das ich ein Whiteboard freigebe, wo wir gemeinsam zeichnen beispielsweise. Ich versuche, hier sehr ganzheitlich die Leute einzubinden, dass sie wirklich sehr niederschwellig die Möglichkeit haben, hier mit mir zu interagieren. Und dann ist es natürlich wichtig, dass wissen wir beide, auch aus psychologischer Sicht die Leute schnell zu belohnen, wenn sie sowas tun, so eine Verhaltensweise zeigen. Beispielsweise wenn ich ein Webinar halte, wo weiß ich nicht 200 Leute mit teilnehmen, dann ist es klar, dass ich nicht mit jedem reden kann und nicht diesen persönlichen Kontakt aufbauen kann. Aber was ich sehr schnell machen kann ist, dass ich eine Interaktion anbiete in den ersten 5 Minuten, nämlich wenn ich einen Klassiker sage: Schreiben sie mir mal in den Chat woher sie kommen. Dann rattern dann diese Angaben, diese Ortsangaben, und wenn ich es dann aber schaffe diese Ortsangaben schnell zu kommentieren mit „oh spannend, da war ich auch schon“, „lustiger Ort, wo ist das eigentlich?“ Dann merken die Leute, das geht in zwei Richtungen, ich reagiere auf das, was sie tun und sie werden belohnt, wenn sie was reinschreiben. Dann ist sozusagen etwas sehr sehr gut, wie ich finde, ganzheitlich kommunizieren kann. Das muss man einfach ausprobieren, was einem da gut liegt aber das finde ich extrem wichtig.
Peter: Ja ähnlich mache ich das auch in Vorlesungen, so Check Ins, bloß ist es bei Vorlesungen wirklich immer eine Zeitfrage, wie umfangreich das ist. Wir haben da nur die 90 Minuten, ich halte da auch nicht viel davon die Online-Vorlesungen 90 Minuten durchzuführen, ich teile das immer zwei mal 35 Minuten, das sind so die Erfahrungen der letzten Monate, die ich da gesammelt habe. Ja aber jetzt bist du ja Arbeits- und Organisationspsychologin und jetzt haben wir ja, ich denke wir alle, sehr viele Erfahrungen gesammelt. Für mich ist das ein sehr ambivalentes Bild - die letzten Monate. Viele Vorteile, ich bringe mal das Stichwort Homeoffice, jetzt aber natürlich auch viele Nachteile. Wie bewertest du das, was da entstanden ist? Was sich da gezeigt hat, die Erfahrungen? Ich denke das sind ja Dinge, die die Unternehmen deine Auftraggeber, deine Kunden an dich herantragen
Veronika: Definitiv ja, grundsätzlich gehe ich immer mit einer Einstellung ins Leben das ich sag, wir müssen es doch eh nehmen wie es kommt. Wir können es nicht ändern, dass jetzt Pandemie ist. Da müssen wir mit dem arbeiten was da ist. Und beispielsweise eben ganz zu Beginn, wo alle Leute de facto, die konnten, im Homeoffice gewesen sind. Da war es klar, dass sich psychische Belastungen verändern. Dass gerade Menschen, die zu Hause auch alleine wohnen beispielsweise und kein sehr enges soziales Netz haben, dass es denen auch beim Arbeiten nicht so gut gegangen ist. Dann muss man sich natürlich anschauen, was können noch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber denn machen, was können sie zur Verfügung stellen um solche Menschen gut einzubinden. Jetzt sind wir in einer anderen Phase, jetzt geht es viel ums hybride Arbeiten, das Zusammenarbeiten zwischen online und offline. Auch hier sag ich, das ist eine Situation, da muss man sich gut anpassen können. Und eben als Führungskraft, als Arbeitgeber:in eben sehr gut zuhören was die Beschäftigten mitteilen: an Bedürfnissen, an Wünschen. Wie man denn hier gut zusammenarbeiten kann. Ich sag mal diese aktuelle Form des Arbeitens, die wir hier haben und die sich in vielen Büros verändert hat, das ist eine Tatsache. Die hat natürlich ihre Vor- und Nachteile ganz klar, eben aus psychologischer Sicht habe sich einige psychische Arbeitsbedingungen verschoben. Aber ich bin sicher, dass man das sehr gut lösen kann und viele meiner Kunden machen das auch großartig. Wenn man zuhört, was die Beschäftigten brauchen und dann entsprechend darauf eingeht.
Peter: Naja das ist jetzt das Stichwort: Hybride Lösungen. Da versuche ich auch viel zu lesen. Ich hab auch die ersten ein zwei hybriden Vorlesungen, ein Teil der Studierenden war anwesend, ein anderer Teil war weltweit verteilt. Ich war sehr froh, dass es da jemand gab, der die Kamera immer neu ausgerichtet hat. Wo liegen denn da die besonderen Herausforderungen? Ich werfe da vielleicht auch mal ein Argument ein: komplette Freiheit - den Mitarbeitern überlassen, wann sie zu Hause arbeiten wollen, wann sie ins Büro kommen? Wie siehst du das? Was ist das Besondere bei hybriden Lösungen? Vielleicht noch ein Argument einzubringen, für mich ist es auch manchmal so, bei Kontakten mit Unternehmen, dass so gerade die etwas „altdenkenden“ Führungskräfte, sich freuen, wieder alle Schäfchen bei sich zu haben und so weiter und so fort. Also wo siehst Du aus psychologischer Sicht die besonderen Herausforderungen oder läuft das alles? Die Erfahrungen haben wir online und das andere ist ja so wie früher. Was können wir da machen, auf was sollten wir achten?
Veronika: Genau, also ich glaub wenn man mit der Denkweise herangeht, dass man sagt der Online-Teil, den haben wir jetzt schon geübt, den können wir gut und der Offline-Teil ist so wie früher, dann hat man defacto zwei Gefäße, die miteinander nicht kommunizieren. Also das ist wirklich die große Herausforderung beim hybriden Arbeiten, bei hybriden Vorträgen und Meetings diese zwei Welten irgendwie zusammenzubekommen. Und in Wirklichkeit ist das hybride Arbeiten, egal in welchem Setting jetzt, eine viel größere Herausforderung als wenn ich mit einem Medium arbeite. Es ist eine größere Herausforderung als in einem Raum miteinander zu arbeiten und es ist auch eine größere Herausforderung als ein Webinar oder Online-Meeting zu halten. Also da, ich bin selber sozusagen sehr häufig in solchen hybriden Situationen. Einerseits beim Vortragen anderseits auch bei Meetings, auf beiden Seiten kenne ich es schon. Ich kenne es als Teilnehmerin, ich kenn es als Moderatorin, ich kenn es auf der Offline-Seite, ich kenn es auf der Online-Seite. Ich kenn sozusagen da wirklich auch alle Vor- und Nachteile muss ich sagen. Und das was ich immer sehe ist die Schwierigkeit, den Kontakt herzustellen zwischen diesen beiden, ich sag mal Gefäßen, Menschen die entweder online oder offline da sind. Das ist etwas, was gar nicht so einfach ist, wo es viele Stolperfallen gibt. Das fängt an bei der Technik, die du schon angesprochen hast. Es beginnt bei ich brauch verschiedene Kameras, die den Raum aufnehmen um denjenigen die Online dabei sind ein Gefühl dafür zu geben, was macht der Vortragende, die Person die präsentiert und was machen die anderen, die Zuschauer. Auch diesen räumlichen Eindruck brauche ich ja, um zu bemerken, kommt eine Diskussion auf, kann man da vielleicht etwas einbringen. Also in Wirklichkeit brauchst da vielleicht zwei verschiedene Kameras. Audioqualität - Wahnsinn, dass ist eine riesige Herausforderung, dies in beide Richtungen zu schaffen. Das diejenigen die online dabei sind die Hand heben können und dann sprechen können in ihr Mikrofon und das man das dann eben hört in diesem Raum vor Ort und umgekehrt. Das die Raumqualität auch aufgenommen wird für diejenigen die online dabei sind. Also derjenige der spricht und aber auch diese Nebengespräche die im großen Raum stattfinden. Und das zu schaffen ohne Rückkoppelungen und Hall, das machen in Wirklichkeit eigene Audioanbieter die Räumlichkeiten dafür einrichten. Das ist nix, wo man einfach nur einen Laptop in die Mitte stellen kann von einem Besprechungstisch und sagt, redet mal alle da rein, das wird schon funktionieren. Also da muss man immer vorher testen. Das ist die eine Sache, die große Herausforderung. Und die zweite große Herausforderung sind halt auch diese Moderationsfähigkeiten und das Schaffen, beide Seiten gleichberechtigt hier auch zu Wort kommen zu lassen. Wenn du vorträgst beispielsweise bei einer hybriden Vorlesung, ist es wahrscheinlich so, dass du vor Ort bist, ein paar Studenten bei dir sind und ein paar Studenten zugeschaltet sind. Dadurch ist man aber in der Regel sehr versucht denjenigen mehr zu beachten, der im gleichen Medium ist wie man selber. Also diejenigen die vor Ort sind und die Augen verdrehen, auf die könntest du wahrscheinlich schneller reagieren als diejenigen, die zu Hause sitzen und dort die Augen verdrehen und vielleicht irgendwie nicht mitkommen bei dem was du vorträgst. Oder die lachen oder was auch immer. Man achtet immer sehr viel mehr auf das Medium wo man selber drinnen ist. Ich hab zum Beispiel mal vorgetragen in einem Seminar, da war ich online dabei und wurde zugeschaltet in einen Seminarraum am Bodensee. Und dort sind ein paar Leute gesessen und dann gab es noch Leute, die online dabei waren. Und auch hier war so die Herausforderung z.B. bei Kleingruppenübungen die dann zusammenzubringen. Wie organisiere ich es, dass diejenigen die online dabei sind die gleichen Chancen haben zu partizipieren wie diejenigen, die sich in einem Raum einfach an einen Tisch gemeinsam setzen können. Und das muss ich vorneweg mir didaktisch sehr klar überlegen. Und das ist etwas, das können sich viele Leute gar nicht vorstellen, wenn sie es noch nicht erlebt haben. Und das sehe ich wirklich als große Herausforderung.
Ja wenn wir an die Arbeitswelt denken, sag ich immer zumindest bei so Vorträgen und alles was so lernorganisatorisch ist, also wo die Zeit sozusagen kurz ist, nur dann machen, wenn es wirklich möglich ist von den räumlichen Bedingungen und wenn man auch schon weiß, wie man es angehen möchte. Das hat einen Grund, warum ganz viele Führungskräfte eben zumindest einen Tag pro Woche alle ihre Schäfchen gern beieinander haben wollen. Und so z.B. bei einem Jour fixe sagen, ok Leute wir haben jeden Montag unseren Jour fixe bitte am Montag sind alle hier und nicht im Homeoffice. Das hat schon seinen Grund, kann schon Sinn machen.
Peter: So gewisse Regeln dürften doch eine große Rolle spielen aus meiner Sicht und ich denke aus deiner Sicht auch.
Veronika: Ich glaub gerade wenn die Rahmenbedingungen sonst nicht gut gegeben sind, dann macht es definitiv Sinn hier sich auch gemeinsam auf Spielregeln zu einigen. Das heißt ja nicht, dass jede Partizipation oder Freiheitsmöglichkeit weg sind für die Beschäftigten, sondern man kann es sich ja gemeinsam auch ausmachen, wann man was tut und in welchem Umfang.
Dies ist das Ende des ersten Teils des Gesprächs mit Veronika Jakl - hier geht es zum Video des Gesprächs.
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