Interviews 2020
Wald: Was verstehen Sie im Kontext von Führung unter Handlungen?
Süß: Statt Zuschreibungen aufgrund der Persönlichkeit sind im virtuellen Kontext vor allem wirksame Verhaltensweisen entscheidend für die Wahrnehmung einer Führungskraft (Purvanova et al., 2020). Dabei sind vor allem Handlungen gemeint, die tatsächlich bei den Mitarbeitenden “ankommen”, also konkret spürbar sind. Zum Beispiel gehören dazu verbale Rückmeldungen oder auch konkrete Unterstützung bei Aufgaben (Marks et al., 2001; Dickinson & McIntyre, 1997).
Wald: Wenn Handlungen unter virtuellen Bedingungen Gold sind, drängt sich die Frage auf, ob beim Führen unter digitalen/virtuellen Bedingungen besondere (neue) Führungshandlungen gibt?
Süß: Die grundlegenden Inhalte der Führungsaufgaben bleiben vermutlich unverändert, wobei sich aber die Schwerpunkte der Tätigkeit verschieben (Kelley & Kelloway, 2012). Der Fokus verlagert sich deutlich in Richtung Informations- und Kommunikationsmanagement. Im virtuellen Kontext fällt beispielsweise ein Großteil der ungeplanten Kommunikation (Austausch in der Kaffeeküche, Gespräche auf dem Gang, etc.) weg. So kann es zu einer wichtigen Führungsaufgabe werden, diese Kanäle zu stärken bzw. aufzubauen. Unsere Interviewreihe hat gezeigt, dass Führungskräfte in diesem Bereich deutlich mehr Zeit und Aufwand investieren.
Wald: Was macht denn die Bedeutung dieser neuen Führungshandlungen aus?
Süß: Neben der psychosozialen Funktion dieser Handlungen für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden stellen diese Führungshandlungen natürlich auch eine Aufrechterhaltung der Produktivität sicher. Der virtuelle Kontext stellt neue Herausforderungen denen Führungskräfte begegnen sollten.
Hierzu zwei Beispiele:
- Aufgrund des Informations-Vakuums und der dadurch entstehenden Unsicherheit kann es zu negativen Attributionen (Spekulationen, Schuldzuweisungen) im Team kommen (Weisband, 2002), die sich wiederum negativ auf die Leistung auswirken können.
- Außerdem verändert die Remote-Arbeit zudem bisher existierende (Wissens-) Netzwerkstrukturen in Organisationen erheblich. Ein zu enger Fokus auf das eigene Team kann zur Vernachlässigung von sog. “weak ties” (also schwachen Verbindungen) führen. Diese “weak ties” sind eine wichtige Voraussetzung für die Innovationskraft und somit Produktivität einer Organisation (Granovetter, 1973).
Führungshandlungen, die an diesen konkreten Problemen ansetzten, können also entscheidend für die Leistung eines Unternehmens sein..
Wald: Wirken diese Handlungen anders als unter nicht-virtuellen Bedingungen?
Süß: Die Handlungen dürften nicht grundlegend anders, aber stärker als unter nicht-virtuellen Bedingungen wirken. Obwohl es z.B. auch im nicht-virtuellen Kontext sinnvoll ist, feste Kommunikationsstrukturen zu etablieren, ist deren Fehlen weniger schlimm, weil sie teilweise durch informelle Kommunikation ersetzt werden können (z.B. Treffen in der Kaffeeküche, Austausch “zwischen Tür und Angel”). Gleichzeitig verlieren andere Wirkmöglichkeiten der Führungskraft (z.B. Charisma) an Gewicht, so dass Handlungen relativ an Bedeutung gewinnen und unverzichtbarer für effektive Führung.
Wald: Was sollten Führungskräfte deshalb bei virtueller Führung berücksichtigen?
Süß: Die beiden oben genannten Beispiele sind bereits gute Ansatzpunkte der virtuellen Führung. So sollte eine Führungskraft beispielsweise versuchen, die Herstellung von gegenseitiger Awareness im Team zu ermöglichen oder zu erleichtern. Beispiel: Wenn ich nicht weiß, dass mein Kollege täglich um 14 Uhr eine Runde mit seinem Hund geht, werde ich seine Abwesenheit und verzögerten Antworten in diesem Zeitraum vermutlich negativer interpretieren, als wenn ich seine Tagespläne kenne. Gelingt es der Führungskraft diese Informationslücken (z.B. durch Team-Absprachen) zu füllen, können negative Attributionen vermieden werden. Dazu gehört auch eine klare Erwartungsklärung innerhalb von Teams: Welche Informationskanäle nutzen wir? Wer ist wann verfügbar? Auf welche Nachrichten sollte man sofort reagieren? Auch hier wird die Relevanz von Informations- und Kommunikationsstrukturen wieder ersichtlich. Generell spielt Vertrauen in Remote Teams eine größere Rolle, wobei dieser Zusammenhang schwächer wird, wenn Interaktionen gut dokumentiert werden (Breuer, Hertel & Hüffmeier, 2016). Für Führungskräfte lohnt es sich also, Zeit und Anstrengungen in diese Informations- und Kommunikationsstrukturen zu investieren, da diese als sogenannte “structural supports” sogar stellenweise die Führung ersetzen können (Hoch & Kozlowski, 2012).
Wald: Existiert hier ein besonderer Lernbedarf? Und: Wenn ja, wie kann mit diesen Lernanforderungen erfolgreich umgegangen werden?
Süß: Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts IAO und der DGfP (2020) geben 40% der Befragten an, dass Führungskräfte zum Thema “Führung auf Distanz” geschult werden müssen. Die genannten Punkte liefern womöglich evidenzbasierte Ansatzpunkte für Weiterbildungs-Maßnahmen in der Führungskräfteentwicklung. Aufgrund der hohen Diversität an Arbeitsmodellen (hybrid, komplett remote, etc.) eigenen sich darüber hinaus auch sog. “continuous listening”-Ansätze für gezieltere und individualisierte Entwicklungsmaßnahmen für Führungskräfte. Dabei erfolgt in kurzen Befragungen eine kontinuierliche Messung von relevanten Variablen, die analytisch (deskriptiv, diagnostisch, prädiktiv) ausgewertet und zur Verfügung gestellt werden können. Dies bietet die Chance eine gezielte und selbstgesteuerte Entwicklung der Führungskräfte im Kontext der virtuellen Führung zu ermöglichen.
Mein Gesprächspartner Dr. Julian Süß ist Co-Founder und Managing Director Data & Analytics der functionHR GmbH, die mit ihren Software gestützten Lösungen als Vorreiter auf dem Gebiet der intelligenten Datennutzung im Personalmanagement gilt. Julian Süß ist leidenschaftlicher Data Scientist und davon überzeugt, dass Datenanalysen dabei helfen können, moderne und attraktive Arbeitsplätze zu gestalten. Die Lösungen der functionHR verbessern durch Datenanalysen und Künstliche Intelligenz die Employee Experience und führen dadurch zu einer deutlichen Professionalisierung des Personalmanagements.
]]>Zum Einen in der zweiten Auflage des "Handbuches HR-Management - New Work" (ayway media GmbH Bonn) zum Bereich "Aktuelle Entwicklungen und Anforderungen an das Personalmanagement". Zu erreichen ist mein Beitrag unter dem folgenden Link. Angesichts von New Work sollte HR die Voraussetzungen und Folgen digitaler Transformationsprozesse stets aus Sicht von Mensch, Technik und Organisation betrachten, sich auf eigene Erfolgsfaktoren, wie eine hohe Gestaltungsfähigkeit und -bereitschaft sowie die notwendige digitale und Medienkompetenz konzentrieren. Personalarbeit ist mittels einer Neuausrichtung auf die Rehumanisierung durch die Einführung zunehmend selbstbestimmter und sinnstiftender Arbeitsformen zu orientieren. Hinzu kommt die Übernahme neuer Aufgaben und Rollen als Gestalter von Beziehungen, als Netzwerker innerhalb und außerhalb von Unternehmen sowie als Umgebungen schaffender Spezialist für Lernen und Zusammenarbeit und Manager der Unternehmenskultur. Angeschlossen wird dies mit Rollen als Schiedsrichter zur Einhaltung organisatorischer Regeln und als Lieferant von Ideen und Impulsgeber.
Zum Anderen hat mir Danny Herzog-Braune von Paperwings-Consulting in seinem Podcast viele Fragen zur digitalen Führung und zu meinem Leben gestellt. Es hat mir sehr viel Spass gemacht, in diesem Format über meine Erfahrungen und Learnings berichten zu können. Herzlichen Dank für diese Möglichkeit, meine Überlegungen und Einsichten in einem Podcast "loszuwerden".
Abschließend kann ich noch auf ein umfassendes Interview mit den Gründern von FYLTURA verweisen. In diesem Interview ging es neben aktuellen Fragen einer (wissenschaftlich begründeten) Personalauswahl auch um einen Blick auf meine beruflichen Erfahrungen als Personaler. Hinzu kamen Fragen zu meiner Meinung zu den aktuellen Fragen von Homeoffice, Remote Work und hybriden Lösungen. Auch im Rahmen dieses Interviews hatte ich breite Möglichkeiten, meinen Standpunkt zu aktuellen Fragen des Personalmanagements einzubringen.
]]>Wald: Lieber Herr Weilbacher, bereits an dieser Stelle ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen.
Weilbacher: Sehr gerne, lieber Herr Wald. Vielen Dank für die Einladung.
Wald: Als ich den Teasertext geschrieben habe, fiel mir wieder auf, wie umfassend Ihr Aufgabenfeld und die Ergebnisse Ihrer Arbeit sind. Deshalb kurz gefragt: Wie schaffen Sie dies alles? Setzen Sie hier ggf. Prioritäten?
Weilbacher: Und dabei haben Sie noch nicht erwähnt, dass ich Vater von drei Söhnen bin. Zwei Jobs und Familienleben zu vereinbaren, ist in der Tat nicht einfach. Die Strategie ist, klare Korridore zu setzen, in denen ich mich jeweils einem Bereich widme, und nicht zu viel gleichzeitig zu machen. Aber das gelingt natürlich nicht immer, weil sich nicht alles planen lässt. Man muss insgesamt einen gewissen Pragmatismus und Flexibilität mitbringen sowie auch mal Fünfe gerade sein lassen können.
Wald: Die letzten Monate haben eine Reihe sehr widersprüchlicher Entwicklungen mit sich gebracht. Einerseits hat die Pandemie viele Entwicklungen - hier vor allem die Digitalisierung - deutlich beschleunigt, andererseits sind aber auch viele Entwicklungen gebremst worden. Wie sehen Sie dies aus Sicht des Change Managements?
Weilbacher: Sowohl als Berater als auch als Journalist für Change Management bin ich zunächst einmal wirklich erstaunt, welche immensen Veränderungen man in den Unternehmen aufgrund von Corona beobachten kann. Es ist ja nicht nur so, dass die meisten Unternehmen sich wirklich gut auf Remote Work eingestellt haben. Die Geschwindigkeit, in der das im Frühling passierte, war beeindruckend. Mussten früher noch unzählige Konzepte geschrieben und Verhandlungen geführt werden, ging dieser enorme Wandel aufgrund der Pandemie innerhalb von Tagen und Wochen. Auch Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten wurden in hohem Tempo abgeschlossen. Einiges von dieser Flexibilität und Schnelligkeit wird bei zukünftigen Change-Vorhaben bleiben bzw. wird es eine entsprechende Erwartung geben. Ich beobachte auch starke kulturelle Veränderungen durch Corona und aufgrund des hybriden Arbeitens. Führungskräfte müssen mehr vertrauen und es wird kollaborativer zusammengearbeitet. Manche Unternehmen nutzen den Anlass Corona ganz bewusst für Kulturinitiativen. Und ich denke, dass die Möglichkeiten der digitalen Tools einen enormen Anteil daran haben. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite sind die strukturellen Veränderungen bzw. die Workforce Transformation. Der Personalumbau bzw. abbau und an manchen Stellen -aufbau hat durch Corona Fahrt aufgenommen. Aber es gibt natürlich auch Entwicklungen, die gebremst wurden, wie Sie sagen. Investitionen in Employer Branding und in die Personalentwicklung gehören für mich zum Beispiel dazu oder die ganze Debatte rund um Purpose.
Wald: Im Rahmen der Augustausgabe von changement! gab es eine Reihe von Beiträgen und Aussagen zur weiteren Entwicklung der Personalarbeit sowie zur Rolle von HR in der digitalen Transformation. Was sind hier aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aussagen?
Weilbacher: Unterm Strich geht es heute um dieselbe Frage wie vor zehn Jahren: Wie gelingt es der HR-Funktion, wirklichen Mehrwert für das Business und die ganze Organisation zu stiften? Um diese Frage dreht sich jeder Ansatz zur Personalarbeit und jedes Organisationsmodell, die von den Unternehmen ausprobiert werden. Wir sehen diesbezüglich bei mehr und mehr Unternehmen die Bereitschaft zur Transformation und zu innovativen Ansätzen. Wer hätte Gedacht, dass der Personalbereich der Commerzbank innerhalb des Unternehmens Pionier des agilen Arbeitens ist. Und die haben sich getraut, 2018 mit ihrer internen HR-Plattform Companion als Minimum Viable Product live zu gehen. Das wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen. Oder Bayer hat sein Performance-Management-Ansatz zusammen mit den Mitarbeiter*innen co-kreativ entwickelt. Insgesamt zeigt sich in dieser Ausgabe, dass es immer mehr den Willen der Personaler gibt, nutzerzentriert zu arbeiten und auch die Strukturen entsprechend auszurichten. Eine weitere wichtige Aussage: In Bezug auf die Digitale Transformation kommt HR eine wichtige Rolle zu, schließlich hat die Digitale Transformation eine starke kulturelle Dimension und geht es um entsprechende Kompetenzen. Vor allem aber dreht sich viel um eine gute Zusammenarbeit – sowohl in Teams als auch bereichsübergreifend. Hier gibt es oftmals noch eine Lücke in den Organisationen, die HR füllen könnte.
Wald: In Ihrer Kolumne zu dieser Ausgabe haben Sie die Experten-Rolle hervorgehoben, die HR gern einnimmt, die jedoch mit sich bringt, dass Prozesse und Lösungen nur in geringem Maße den Vorstellungen der Mitarbeitenden und Führungskräfte entsprechen. Was können Personaler hier in Zukunft tun, um dies nachhaltig zu ändern?
Weilbacher: Es ist natürlich nicht schlimm, Experte zu sein. Aber sehr oft schwingt da was von Elfenbeinturm mit und einer arroganten Haltung, die darin mündet, dass man andere nicht fragen muss, weil man alles besser weiß. Dabei ist heutzutage Offenheit und Vernetzung so wichtig, gerade weil HR es allein nicht richten kann. Es gilt, zum einen zu verstehen, dass Personalarbeit nicht nur Sache der Personaler ist, sondern auch von Führungskräften und Mitarbeiter*innen gestaltet wird. Und zum anderen soll Personalarbeit, soll die Gestaltung von Prozesse und Lösungen nicht nur Selbstzweck sein, sondern sie sollen einen Nutzen stiften, zum Beispiel Zusammenarbeit und Leistungen zu verbessern. Deshalb muss auch HR die Nutzer, also Führungskräfte und Mitarbeiter*innen, in irgendeiner Form in die Gestaltung der Personalprozesse und -instrumente einbeziehen.
Wald: Können dabei Ansätze wie Employee Experience helfen, das Personalmanagement besser auch die Erwartungen der Mitarbeitenden auszurichten?
Weilbacher: Ob es genau Employee Experience sein muss, weiß ich nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass Empathie und die Fähigkeit, die Dinge aus der Perspektive der Nutzer*innen zu betrachten, ein wesentlicher Punkt sind. Ich habe Personaler*innen erlebt, die sind noch nie auf die Idee gekommen, im Rahmen ihrer Arbeit die Führungskräfte und Mitarbeiter*innen zu fragen bzw. mit ihnen das Gespräch zu suchen. Diese Nähe zum Business, die Fähigkeit und der Wille zur Vernetzung und zur Kommunikation, die Bereitschaft sich zu öffnen und die Perspektive des Business in die Gestaltung der Personalprodukte einzubeziehen, ist der Weg zum Erfolg für HR.
Wald: Der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und der weiteren Entwicklung des Personalmanagements ist mMn deutlich erkennbar. Eine Studie des Lehrstuhls für Personalwirtschaft und Business Governance an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigt jedoch, dass viele Personalbereiche noch nicht einmal mit der Digitalisierung begonnen haben. Was muss hier passieren?
Weilbacher: Der Grad der Digitalisierung ist sehr unterschiedlich in den Personalbereichen. Auch hier kann ich nur sagen, dass die Offenheit und die Neugierde für Digitalisierungsthemen die wichtigste Voraussetzung sind. Oftmals hilft da auch der zusätzliche Druck des CEOs bzw. der Geschäftsführung, doch endlich mal auf diesem Gebiet voranzukommen. Die Entwicklung im Bereich der digitalen Lösungen, der Plattformen und Tools macht es HR ja auch mittlerweile sehr leicht – gerade in kleinen Unternehmen. So vieles funktioniert heute gut über cloud-basierte Software.
Wald: Seit geraumer Zeit beschäftige ich mich mit den Möglichkeiten digitaler Mitarbeiterführung und Zusammenarbeit. Wie stellt sich aus Ihrer Sicht eine moderne Führung dar? Müssen wir uns von klassischen Führungsmodellen verabschieden oder sind diese nach wie vor anwendbar?
Weilbacher: Meiner Beobachtung nach hat sich im Bereich der Führungsmodelle und -ansätze in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wenig geändert – wenn man mal von Begrifflichkeiten absieht. Ein Ansatz wie beispielsweise Agile Leadership basiert stark auf Servant Leadership und diese Idee ist schon 30 Jahre alt. Oder nehmen Sie die Transformationale Führung, die oft mit New Work in Verbindung gebracht wird. Die hat ihren Anfang in den 1980er Jahren genommen. Natürlich verändert die zunehmende Digitalisierung und das mobile Arbeiten die Führung. Und ich meine auch zu erkennen, dass Führung heutzutage nicht mehr unbedingt mit Hierarchie gleichgesetzt wird. Aber egal ob wir mehr Agilität, Digitalisierung und Komplexität haben: Am Ende geht es um gute Führung und es geht um eine Beziehung zwischen zwei mündigen Menschen.
Wald: Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Entwicklungen auf die wir uns in HR und beim Change Management im Jahr 2021 einstellen müssen?
Weilbacher: Mir fällt es schwer, dabei nicht an Corona zu denken. Ich bin mir sicher, dass das Thema uns mindestens das erste Halbjahr vollumfänglich beschäftigen wird – mit allen Implikationen für Führung, Zusammenarbeit, Tools, Betriebsvereinbarungen, Vergütung, Kommunikation und natürlich auch in Bezug auf das Gestalten von Veränderungen, insbesondere hinsichtlich Restrukturierungen und des sogenannten „New Way of Working“. Mein Gefühl sagt mir, dass wir in dieser Zeit darauf achten müssen, miteinander gut in Beziehung zu bleiben und zu schauen, wie es dem anderen geht. Ich sehe auf LinkedIn immer so viele Erfolgsgeschichten und Gute-Laune-Teambilder und ich frage mich, ob dabei auch noch Platz in den Organisationen für die Menschen ist, denen es gerade nicht so gut geht. Denn diese Corona-Zeit ist für einige verdammt hart.
Wald: Wird sich dies in den Schwerpunkten bzw. Themen von Changement! in den nächsten Monaten wiederfinden?
Weilbacher: Corona spielt – zumindest indirekt – immer eine Rolle momentan.
Wald: Herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch. Ich wünsche Ihnen bei allen Aufgaben und natürlich auch für changement! viele Erfolge und eine immer geneigte Leserschaft.
Weilbacher: Ich danke Ihnen. Und Ihnen wünsche ich viel Spaß und Wirksamkeit bei Lehre und Forschung in Leipzig.
Mein Gesprächspartner Jan C. Weilbacher ist Kommunikationsexperte sowie Organisationsberater und war sieben Jahre lang Chefredakteur des Fachmagazins „Human Resources Manager". 2017 wechselte er zu der Transformationsberatung HRpepper. Seine Schwerpunkte in der Beratung sind Themen der Personalentwicklung und der Change Communication. Seit 2019 ist er zusätzlich noch Chefredakteur des Magazins changement!, das für die Handelsblatt Media Group herausgegeben wird. Jan C. Weilbacher ist Vater von drei Söhnen und lebt in Berlin.
]]>Wald: Bereits an dieser Stelle herzlichen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen.
Häusling: Sehr gerne. Vielen Dank für die Möglichkeit.
Wald: Bislang finden sich nur wenige Informationen zum agilen Personalmanagement in meinem Blog. Warum sollte oder muss sich dies aus Ihrer Sicht ändern?
Häusling: Ich denke, da gibt es einige gute Gründe für. HR steht vor vielen großen Herausforderungen. Die Anforderungen der Fachbereiche steigen, werden komplexer und müssen nutzerorientierter werden. Zudem sind viele HR-Bereiche aus der Business-Sicht zu langsam, schwerfällig und zu weit weg vom Business. Auf der anderen Seite wird die interne Komplexität von HR immer größer. Viele Personalerinnen und Personaler sind völlig „Land unter“, sodass neue und agile Formen von Zusammenarbeit innerhalb des HR-Bereichs und auch in der Zusammenarbeit mit den Kunden immer relevanter werden. Bisherige HR-Organisationsmodelle kommen bei steigender Komplexität zunehmend an seine Grenzen.
Wald: Die zurückliegenden Corona-Monate werden von vielen als Boost für moderne Arbeitsformen, wie Homeoffice und mobile Arbeit, betrachtet. Trifft dies gleichermaßen auch auf das agile Personalmanagement zu?
Häusling: Ja, absolut. Die HR-Bereiche stehen vor der Herausforderung, sich an die neuen Rahmenbedingungen noch schneller anpassen zu müssen als vorher. Dafür benötigen sie neue Lösungen, bei denen Agilität ein Lösungsansatz sein kann.
Wald: Was ist zu tun, um einen Rückfall in alte Arbeitsformen zu verhindern oder sogar das agile Personalmanagement zu fördern?
Häusling: Agile Arbeitsformen sind ja kein Selbstzweck und nicht die Antwort auf alle Probleme. Der Nutzen von Agilität ist da hoch, wo die Komplexität hoch ist. In vielen HR-Projekten können agile Methoden helfen, in der Lohn- und Gehaltsabrechnung ggf. weniger. Eine Förderung entsteht dann, wenn mutig Alternativen ausprobiert werden. Unser Motto ist „Machen ist wie wollen – nur krasser.“. Wenn es ein Thema oder Projekt gibt - was eine höhere Komplexität hat - sollte es mal in einer anderen Arbeitsweise umgesetzt werden, um Erfahrung zu sammeln. Dann sehen die Beteiligten, ob es einen Nutzen liefert oder auch nicht. Hierfür gilt es die Rahmenbedingungen zu schaffen.
Wald: Inwieweit lässt sich Agilität im Personalmanagement wirklich nutzen? Braucht es hier nicht andere Akteure als die „Schornstein-Karrieristen“ die üblicherweise in den Personalbereichen anzutreffen sind? Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?
Häusling: Die „Schornstein-Karrieristen“ haben wir ja nicht nur in den HR-Bereichen. Die funktionale Organisationslogik behindert bisher cross-funktionales Arbeiten. Die wird nun immer wichtiger, um mehr Nutzen für Kundinnen und Kunden zu schaffen. Das ist bei HR auch der Fall. Ich denke, dass eine Kollaboration mit den Fachbereichen den großen Nutzen darstellt und nicht nur eine cross-funktionale Zusammenarbeit innerhalb eines HR-Bereichs.
Wald: Aus meiner Sicht gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Digitalisierung und agilem Personalmanagement. In einer aktuellen Studie des Lehrstuhls für Personalwirtschaft und Business Governance an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist zu erkennen, dass in vielen Personalbereichen noch nicht mit der Digitalisierung begonnen wurde. Was sollte hier passieren?
Häusling: Den Zusammenhang kann ich nachvollziehen. Vermutlich haben viele HR-Bereiche noch nicht genügend Gründe und Schmerzen, die Themen anzugehen. Bisher waren die Fachbereiche sehr kulant und haben Rücksicht genommen auf die Personalverantwortlichen und ihre Befindlichkeiten. Dies ändert sich aber gerade. Die Fachbereiche bauen eigene Lösungen ohne HR, beauftragen externe Beratungen, um HR-Lösungen zu bekommen oder HR-relevante Projekte wandern in die Unternehmensentwicklung. Die Personalthemen werden immer wichtiger, deshalb müssen viele HR-Bereiche „aus dem Quark kommen“, wenn sie nicht irgendwann wegen Erfolglosigkeit geschlossen werden sollen. Hier ist mir aber noch mal wichtig zu sagen, dass es häufig ein systemisches Problem ist. Die Personalerinnen und Personaler selbst geben meistens jeden Tag ihr Bestes. Was wir aber benötigen ist ein neues System von Zusammenarbeit in den HR-Bereichen, um mit den komplexer werdenden Anforderungen umgehen zu können.
Wald: Oft wird derzeit auch über die richtige Führung von Mitarbeitern diskutiert. Wie sehen Sie dies aus „agiler“ Sicht. Wie stellt sich hier moderne Führung dar? Wie weit entfernen wir uns von klassischen Führungsmodellen?
Häusling: Auch hier geht es nicht um modern oder traditionell, sondern um passend oder unpassend. In einem sehr stabilen, planbaren und vorhersehbaren Kontext können Führungsmodelle mit einem pyramidalen System und hoher Machtkonzentration durchaus passend sein. Wenn der Organisationskontext aber komplexer wird, dann sehen wir, dass verteilte Führungssysteme mit einem hohen Grad an Selbstverantwortung und Selbstorganisation wirksamer werden. Aber auch hier braucht es Führung – nur weniger fachlich. In agileren Kontexten geht es darum Orientierung zu geben, Rahmenbedingungen zu schaffen und Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern.
Wald: Zur Agilen HR Conference 2020. Diese wurde in diesem Jahr online durchgeführt. Aus agiler Sicht müsste dies doch eigentlich ein Heimspiel für HR Pioneers sein. Vermissen Sie vielleicht trotzdem den direkten Kontakt mit den Teilnehmenden?
Häusling: Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Lösungen. Wir haben viel überlegt und verschiedene Szenarien entwickelt und uns dann für eine Onlinevariante entschieden, bei der wir die Vorträge der Impulsgebenden von drei Bühnen vor Ort ins Netz gestreamt haben. Das ist bei allen Beteiligten sehr gut angekommen, und wir waren von dem sehr positiven Feedback überrascht und sehr beeindruckt. Aber klar: Wir hätten die Veranstaltung lieber als Präsenzveranstaltung gemacht.
Wald: Was waren aus Ihrer Sicht die Highlights in diesem Jahr? Können Sie hier vielleicht einige Beiträge skizzieren?
Häusling: Das ist natürlich schwer. Die Konferenz lebt von der Vielfalt. Es haben einige große Konzerne wie die Deutsche Telekom oder die SAP von Ihren Erfahrungen berichtet, was sehr spannend war. Genauso waren aber kleine und mittelständische Unternehmen präsent. Zum Beispiel hat Hettich sehr eindrucksvoll von deren HR-Transformation berichtet. Und zusätzlich hatten wir wissenschaftliche Impulse sowie unkonventionellere Beispiele, wie eine Bäckerei aus Thüringen, die erzählt hat, wie sie agile Arbeitsweisen etabliert haben.
]]>Wald: Bereits an dieser Stelle vielen Dank dafür, dass ich mit Ihnen über Zest sprechen kann. Vornweg aber die Frage, wie es Ihnen persönlich in den letzten Monaten ergangen ist.
Ramminger: Die letzten Monate waren spannend und herausfordernd, da ich im April 2020 die Stelle hier in Düsseldorf angetreten habe. Das Onboarding verlief virtuell. Ansonsten arbeiten wir ohnehin komplett in der Cloud und Homeoffice ist eine ständige Option.
Wald: Zest ist nach eigener Aussage ein Echtzeit-Feedbacksystem auf der Basis modernster SaaS-Technologie. Was kann ich mir darunter konkret vorstellen? An wen richtet sich die von Ihnen angebotene Lösung?
Ramminger: Der Mitarbeitende (m/w/d) kann jederzeit als Feedback-Geber oder als Feedback-Nehmer auftreten. Das Feedback kann auf seine Qualität hin bewertet werden und es ist eine Kommentierungsmöglichkeit vorhanden. Das Feedback kann sich an eine Einzelperson, eine Abteilung oder das gesamte Unternehmen richten. Hierbei handelt es sich um ein 360° Feedback und kein Top-Down Feedback. Zest richtet sich grundsätzlich an Jeden. Zest ist dabei eine hoch konfigurierbare und skalierbare Lösung. Angefangen bei Stimmungschecks über die Engagement-Messung, zu Pulsbefragungen, Check-Ins, das Projekt- und Skillmanagement, das Feedbacksystem bis hin zu einem Ideenmanagement. Alles in einer Lösung: webbasiert & als App auf mobilen Endgeräten.
Wald: Wie ich gelesen habe, stammt Zest von einem französischen Unternehmen, was ich mit einem Blick auf die Landschaft der HR-Lösungen und -Apps für ungewöhnlich halte. Können Sie etwas zur Entstehungsgeschichte sagen?
Ramminger: Was es damit auf sich hat beantwortete mir Chris Bergeon, der CEO von Zest, wie folgt: „Ich gründete Zest vor 5 Jahren, nachdem ich mehr als 12 Jahre für eine große HRIS-Plattform gearbeitet habe. Diese Lösungen sind alt, für die Personalabteilung bestimmt, nicht für Mitarbeiter, geben Informationen im Rückspiegel und sind nicht vorhersehbar. Deshalb wollte ich eine Echtzeitlösung erstellen, um bessser zu wissen, was die Leute bewegt. Heute sind wir die einzigartige „Suite“ der neuen Generation, die Listening-Funktionen (Engagement & Pulse) und Perform-Funktionen (Zielverwaltung & Check-Ins) sowie Teilen (Feedback) umfasst.“
]]>Da Frau Professor Mehner-Theuerkauf eine ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Medizinpsychologie mit einer erkennbaren digitalen Affinität ist, verspreche ich mir von diesem Interview auch Impulse, was die Betrachtung der digital gestützten Führung und Zusammenarbeit betrifft. Vielleicht gibt es zudem neue Akzente, was die Bewertung der mittlerweile nahezu unüberschaubaren Menge an Hinweisen und Tipps zum „Homeoffice“ betrifft. Ich hoffe, dass ich mit diesen einleitenden Bemerkungen, die Chancen, Antworten auf meine Fragen zu bekommen, nicht verringert haben.
Wald: Bereits an dieser Stelle herzlichen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen.
Mehnert-Theuerkauf: Gerne.
Wald: Mit dem erwähnten Interview in der hiesigen Zeitung der LVZ haben Sie meiner Meinung nach die derzeit laufenden Diskussionen bereichert. Das Interview hat einen ganz anderen Blick auf das Thema „Homeoffice“ erlaubt. Es ist doch so, dass darüber oft einseitig und auch nur wenig kontrovers diskutiert wird. Oft geht es dabei ausschließlich um die technisch-organisatorischen Aspekte.
Mehnert-Theuerkauf: Vor dem Hintergrund meiner Arbeit interessieren mich natürlich die psychologischen Auswirkungen des Homeoffice und die Dinge, die wir tatsächlich für eine ausgeglichene Stimmung und eine gute Lebensqualität tun können – auch oder gerade in belastenden Lebensphasen.
Wald: Wie sind Sie auf das Thema Homeoffice und Kleidung gekommen? Warum sollten sich Mitarbeiter im Homeoffice schick anziehen? Warum ist das Thema überhaupt Outfit bzw. Kleidung im Homeoffice wichtig?
Mehnert-Theuerkauf: Nun ja, das war tatsächlich der Wunsch der LVZ, zu diesem Thema ein Interview zu machen. Aber ich halte das Thema auch für wichtig, denn Kleidung gibt neben anderen Aspekten wie Funktionalität oder Mode vor allem auch Struktur. Kleidung ist wie Essen oder Körperpflege ein wichtiger Teil unserer Kultur und sie sendet Signale nach außen – aber genauso nach innen. Mit Kleidung drücke ich etwas aus, sie kann inspirieren, beeinflusst die innere Haltung und ist auch ein Aspekt der Selbstfürsorge. Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Menschen zu Hause etwas Bequemes tragen, also meist Jogginghose und T-shirt. Das ist grundsätzlich nicht verkehrt und auch ein schönes Gefühl, wenn man abends nach Hause kommt und die Arbeitsklamotten gegen etwas Bequemes eintauscht. Wenn man aber den ganzen Tag zu Hause verbringt, und vielleicht Schwierigkeiten hat, den Tag selbst zu strukturieren oder in Schwung zu kommen, dann ist die Jogginghose nicht förderlich. Es ist vergleichbar mit Esskultur: Besser ein gutes selbst gekochtes Gericht am Tisch als die Fertigpizza vorm Laptop.
Wald: Im erwähnten Interview sprechen Sie von zwei grundlegenden Ausprägungen des Verhaltens im Home Office – vom „Sich-gehen-lassen“ auf der einen und vom „Tag planen“ auf der anderen Seite. Warum ist es so wichtig, den Tag im Home Office zu planen?
Mehnert-Theuerkauf: Vielen Menschen fällt es schwer, über längere Zeit ohne Struktur von außen eine Tagesstruktur aufrecht zu erhalten und sich z.B. zu einer bestimmten Zeit an den Schreibtisch zu setzen und zu arbeiten. Da sind die Ablenkungsmöglichkeiten groß: das Handy, TV, Serien, Computerspiele etc. Natürlich ist es normal, den einen oder anderen Tag auf der Couch abzuhängen, aber es sollte kein Dauerzustand werden. Aus der klinischen Psychologie wissen wir, dass daraus schnell ein Teufelskreis entsteht von Inaktivität, dysfunktionalen Gedanken, depressiven Verstimmungen, einem geringen Selbstwertgefühl und Passivität. Deswegen ist es wichtig, sich selbst eine Tagesstruktur zu geben und Dinge zu planen.
Wald: Das Thema „Feste Tagesstruktur“ findet sich in vielen der aktuellen Statements. Dies ist gerade für die Mitarbeiter wichtig, die noch nicht über viele Erfahrungen im Homeoffice verfügen. Wie kommen diese Mitarbeiter zu einer festen Tagesstruktur bzw. um einen vernünftigen Umgang mit der verfügbaren Arbeitszeit? Sollten sie den ganzen Tag „durchplanen“?
Mehnert-Theuerkauf: Ja, warum nicht, zumindest die wichtigsten Aufgaben. Und auch freie Zeiten sollte man einplanen oder bestimmte Dinge, auf die man sich besonders freut. Den Tag zu planen, hört sich meist öde an und wenig spontan. Aber eine gute Planung gibt Halt und Struktur und hilft dabei, aktiv zu bleiben.
Wald: Sie haben auch die Fragen von „Struktur und Disziplin“ im Homeoffice thematisiert. Was meinen Sie damit?
Mehnert-Theuerkauf: Struktur meint, dass ich meinen Tagesablauf selbst organisiere. Ich plane die Aufgaben, die notwendig sind, z.B. arbeiten, einkaufen, aufräumen etc., Mahlzeiten und natürlich auch Pausen und bewusst erholsame Dinge ein: Das kann Bewegung und Sport sein, ein bestimmtes Hobby, ein gutes Essen, ein gutes Buch oder auch eine spannende Serie. Dazu gehört natürlich eine gewisse Portion Selbstdisziplin, den Tagesablauf auch einzuhalten. Es kann helfen, sich den Wecker zu stellen, aber auch Kleidung kann hier helfen. Es ist meist leichter, sich in einem frischen Hemd und einer Jeans an den Schreibtisch zu setzen als im Pyjama.
Wald: Ein Blick auf Ihre aktuellen Projekte wie zum Beispiel „Optimierte psychoonkologische Versorgung durch einen interdisziplinären Versorgungsalgorhythmus – vom Screening zur Intervention“ weist nicht unbedingt auf Bezüge zum „Homeoffice“ hin. Bei anderen Projekten habe ich jedoch eine Reihe von Verbindungen zur Digitalisierung gefunden. Wie sind Sie zum Thema „Homeoffice“ gekommen?
Mehnert-Theuerkauf: In der Forschung befasse ich mich schwerpunktmäßig mit den psychosozialen Auswirkungen akuter und chronischer körperlicher Erkrankungen wie z.B. Krebs. Wir forschen auch dazu, wie wir Menschen und ihren Familien in solchen schwierigen Lebensphasen helfen können. Auch hier sind – soweit es die körperliche Verfassung zulässt – Tagesstruktur und Aktivität enorm wichtig, um die Lebensqualität zu erhalten. Das Thema Homeoffice kam tatsächlich durch das LVZ-Interview.
Wald: Oft wird derzeit auch über Fragen der richtigen Führung von Mitarbeitern im Homeoffice diskutiert. Gibt es hier Dinge, die aus Ihrer Sicht wichtig sind? Haben Sie ggf. bereits persönliche Erfahrungen gesammelt?
Mehnert-Theuerkauf: Ja, in unserer Abteilung war auch ein Teil des Teams zumindest zeitweise im Homeoffice. Wichtig sind kontinuierliche aber maßvolle Informationen, Transparenz, klare Zuständigkeiten, Verlässlichkeit und nicht zuletzt auch der Teamspirit, diese Zeit gemeinsam zu meistern.
Wald: Vom Homeoffice zur digitalen Lehre. Ich kann mittlerweile auf einige Monate intensiver digitaler Lehre zurückblicken. Was denken Sie, warum haben nach wie vor eine Reihe von Studierenden Probleme damit, sich in diesen Lehrveranstaltungen zu zeigen (d.h. die Kamera anzuschalten)?
Mehnert-Theuerkauf: Das kann natürlich unterschiedliche Gründe haben. Manche möchten sich vielleicht nicht in ihrem privaten Umfeld zeigen, vielleicht sind es soziale Ängste, oder auch einfach Technikprobleme.
Wald: Wie wird es aus Ihrer Sicht mit der Digitalisierung im Homeoffice und bei der Lehre weitergehen? Gibt es hier aus Ihrer Sicht wichtige Entwicklungen?
Mehnert-Theuerkauf: Es gibt viele gute Möglichkeiten, z.B. dass die Studierenden sich die digital zur Verfügung gestellten Inhalte eigenständig aneignen und die Präsenzveranstaltungen dann zur gemeinsamen Diskussion und Vertiefung des Lehrstoffes nutzen („Inverted Classroom“). Ich denke, wir werden in den nächsten Jahren hier viele neue Formate mit den Studierenden gemeinsam ausprobieren und daraus lernen können. Ein viel größeres Problem sehe ich momentan in der unzureichenden Digitalisierung an den Unis. Im Zeitalter von KI bin ich manchmal schon froh, wenn Eduroam funktioniert.
Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses offene Gespräch. Ich wünsche weiterhin viele Erfolge in der wissenschaftlichen Arbeit!
Meine Gesprächspartnerin Frau Professor Anja Mehnert-Theuerkauf ist seit 2015 Leiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsmedizin Leipzig. Sie wurde 2015 auf den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig berufen. Frau Mehnert-Theuerkauf studierte von 1993 bis 1999 an der Universität Hamburg Psychologie und wurde 2005 promoviert. Nach einem einjährigen post-doc Aufenthalt am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center 2007-2008 in New York schloss sich 2010 die Habilitation und Venia Legendi für Medizinische Psychologie und Klinische Psychologie an der Universität Hamburg an. 2016 erhielt Professor Anja Mehnert-Theuerkauf den Deutschen Krebspreis.
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Themenfeld: "Risiken, Herausforderungen und Auswirkungen der Krise"
staffboard: Herr Wald, Sie sind Professor für Personalmanagement an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig und waren davor langjährig in leitender Position im Personalbereich tätig: Welche Herausforderungen sehen Sie durch die aktuelle Corona-Krise auf (kleinere) Unternehmen zukommen, speziell im Kontext Ihrer Expertise aus Theorie und Praxis?
Peter M. Wald: Die derzeitige Situation stellt sich sehr differenziert dar und bringt für alle Betroffenen – Firmen wie Mitarbeiter – komplexe und vor allem bislang ungeahnte Anforderungen mit sich. Stehen einige Unternehmen vor extremen Belastungen ihrer Handlungsfähigkeit, was die Nachfrage nach ihren Leistungen und Produkten angeht, kämpfen andere Firmen um das Überleben. In ihrer Mehrheit verfügen die Unternehmen über keinerlei Erfahrungen im Umgang mit den derzeitigen Herausforderungen und befinden sich in einem ständigen Lern- und Anpassungsprozess. Dies betrifft auch die Mitarbeitenden, die häufig vor der Herausforderung stehen, ein neues Verhältnis zwischen Arbeit und Leben bzw. der Familie zu finden. Bei den Mitarbeitenden bringt die Situation vielfältige Ängste und Befürchtungen mit sich, die sich zum Teil auch bewahrheitet haben. Gewachsene Beziehungen und gegenseitiges Vertrauen wurden und werden auf die Probe gestellt und es hat sich gezeigt, wer wirklich Vertrauen verdient. Auch jetzt gilt es zu beweisen, dass Zusammenhalt keine leere Worthülse ist. Es ist verständlich, dass die Menschen aber auch die Unternehmen erwarten, rechtzeitig und offen von Plänen und Absichten zu erfahren, die Konsequenzen für sie selbst und ihr konkretes Umfeld haben. Dies betrifft insbesondere die gegenwärtig erfolgten ersten Schritte in die Normalität und die Planungen zum weiteren Umgang mit der Pandemie.
Warum ist das aus Ihrer Sicht “mission critical” für viele (kleinere) Unternehmen und damit potentiell gefährlich für deren Fortbestehen?
Die meisten Unternehmen waren auf Situationen dieser Art nicht vorbereitet. Viele und hier gerade die kleineren Unternehmen verfügen weder über die nötigen Mittel noch über die Instrumente, um diese besonderen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Hierbei denke ich nicht nur an finanzielle Ressourcen, sondern auch an die Unternehmen, die gerade nicht auf die häufig diskutierten Home-Office-Möglichkeiten zurückgreifen können. Besonders kritisch sieht es bei einigen der mir bekannten Startups aus, bei denen diese Krise zur Unzeit kam. Ihnen fehlten plötzlich die Möglichkeiten, ihre als aussichtsreich eingeschätzte Geschäftsentwicklung wie geplant voranzutreiben. Alternative Optionen stehen häufig nicht zur Verfügung. Ich bin sehr froh, dass nicht alle, aber viele der hier erwähnten Startups die derzeitige Situation und die Zukunft optimistischer einschätzen.
Themenfeld: "Mitarbeiter, Führung und HR"
Was macht diese Situation mit den Menschen? Welche Effekte erwarten Sie für die Führungskräfte und Mitarbeiter in (kleineren) Unternehmen? Was braucht es, um zielgerichtet damit umzugehen?
In den letzten Wochen wurde gerade der besondere Zusammenhalt und das Engagement der Mitarbeiter in kleineren Unternehmen auf eine harte Probe gestellt. Die Unsicherheit erstreckt sich nicht nur auf die Arbeitssituation, sondern auch auf Familien, Kinder und den Kreis der Angehörigen. Es darf nicht vergessen werden, dass viele Mitarbeiter auch ihre persönlichen Dinge ständig regeln müssen. Im Zuge der Nutzung von Home-Office-Lösungen ist oftmals ein sehr forderndes Work-Family-Blending entstanden. Unternehmen haben in den meisten Fällen erkannt, wie Mitarbeiter mit der Situation umgehen und wo konkrete Hilfe besonders wichtig ist. Zum Themenbereich Führung: Die Stärke von Führung und Zusammenarbeit hat sich gerade in den letzten Wochen gezeigt. Dabei sind Führungskräfte besonders gefragt, denn Mitarbeiter, die noch nicht über Erfahrungen mit der Zusammenarbeit auf Distanz verfügen, fühlen sich von den gegenwärtigen Herausforderungen zeitweise überfordert, haben aber mittlerweile gelernt damit umzugehen. Hinzu kommt jedoch die Einsicht, dass Führung und Zusammenarbeit auch anders als bisher funktionieren kann. Viele haben erlebt, dass Wertschätzung und Achtsamkeit auch unter virtuellen Bedingungen vermittelt werden kann. Es muss jetzt darum gehen, diese Erfahrungen zu vergemeinschaften und kulturell zu verankern. Es darf nicht dazu kommen, dass die Uhren wieder zurückgedreht werden ("Back to the Office" oder Normal statt Next Normal).
Wie bewerten Sie – gerade aus Ihrer Erfahrung in der HR Praxis sowie als Hochschulprofessor – die Rolle von HR (Human Resources / Human Relations / Personalwesen)? Was kann – oder sogar: muss – HR tun, um eventuell gegenzusteuern und die Organisation weiter zu stabilisieren?
HR war in der ersten Tagen und Wochen vor allem als Krisenmanager gefragt. Nach der recht zögerlichen Nutzung von digitalen Lösungen zur Flexibilisierung der Arbeit in der Vergangenheit mussten jetzt neue Arbeitsformen ganz schnell umgesetzt werden. HR war jetzt plötzlich als Gestalter neuer Arbeitsweisen aber auch als Experte zu rechtlichen und organisatorischen Themen gefragt. Es sollte in Zukunft unbedingt darum gehen, diese Gestalterrolle aktiv und ständig auszuüben und als Personalmanagement mit Standing zu agieren. Veränderungen können gerade jetzt vorbereitet, wenn nicht sogar auf den Weg gebracht werden. HR sollte die Zeit nutzen, um beim Übergang in die Normalisierung die gewonnen Erfahrungen mit flexiblen Lösungen zu integrieren. Es darf keinen Rückfall in die alte Normalität geben. Und: Gerade jetzt informieren sich viele Menschen über Unternehmen und die Möglichkeiten einer Mitarbeit. Dies sollte Anlass für ein kluges Employer Branding und den systematischen Aufbau von Beziehungen zu wichtigen Talenten sein. Das an vielen Stellen zu beobachtende Zurückfahren nahezu aller Recruitingaktivitäten und die mangelnde Beachtung der eigenen Signale nach außen wird sich aus meiner Sicht in Zukunft "rächen".
Themenfeld: "Digitalisierung, Kompetenzen und Mindset"
Welche Sofortmaßnahmen können (kleinere) Unternehmen direkt ergreifen, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben? Gibt es eventuell ganz konkrete Handlungsanweisungen speziell aus Ihrer Perspektive?
Hier braucht es nicht nur die gezielte Weiterentwicklung vorhandener Kompetenzen, sondern auch breitere Verteilung von Verantwortung im Unternehmen. Hinzu kommt die Notwendigkeit sich außerhalb der Unternehmen zu vernetzen. Es kann durchaus hilfreich sein, sich Rat und Hilfe bei Partnern zu holen, die bereits über weitergehende Erfahrungen verfügen. Dafür gibt es meines Erachtens derzeit zahlreiche Online-Angebote und später bestimmt auch wieder Offline-Formate. Ohne Mut zur Offenheit, den Willen zur gegenseitigen Unterstützung und auch langen Atem wird dies jedoch nicht funktionieren.
Welche Rolle kann Digitalisierung spielen, um Antworten in der Krise zu finden? Können digitale HR-Lösungen hier einen Mehrwert bringen?
Digitalisierung ist extrem wichtig, dabei darf aber nicht vergessen werden, dass sie immer nur Mittel zum Zweck ist. Als Hilfsmittel und intelligente Werkzeuge können digitale Lösungen gerade im HR-Bereich große Erleichterungen für alle Akteure bringen. Sie müssen aber funktionieren und setzen eine entsprechende Anwendungskompetenz voraus. Dabei kommt es darauf an, wie die Nutzer diese Lösungen erleben. Digitale Angebote dürfen jedoch nicht dazu führen, dass sich Führungskräfte zurückziehen und weniger auf den Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu den Mitarbeitenden setzen. Aktuell sind in vielen Fällen die Entscheidungen zur Digitalisierung vertagt - wobei jedoch in den letzten Wochen an vielen Stellen intensiv mit digitalen Hilfsmitteln gearbeitet wurde. Die Fragen zur Digitalisierung werden sich jetzt mit großer Schärfe stellen. Bestehende Kompetenzlücken sind zu benennen und es sind unbedingt die notwendigen Lernprozesse zu initiieren. Es gibt Unternehmen, die die letzten Wochen für die anstehenden Lernprozesse bewusst genutzt haben.
Themenfeld: "Chancen, Gewinner und Ausblick"
Lassen Sie uns eine Plattitüde bemühen: Gemeinhin heißt es, dass jede Krise auch neue Chancen mit sich bringt. Wie bewerten Sie das in diesem Kontext? Welche Chancen sehen Sie und warum?
Allein das Wissen darum, dass der Status quo endlich ist und das vieles nicht mehr so sein wird, wie es vor der Pandemie war, dürfte den Blick auf Künftiges verändern. Chancen ergeben sich vor allem aus den gewonnenen Erfahrungen. Ich denke dabei an die neuen Formen und Medien zur Zusammenarbeit und bei der Führung, die letztlich auch kulturelle Veränderungen mit sich bringen. Diese Erfahrungen künftig aktiv zu nutzen, darüber offen zu diskutieren sowie begonnene Entwicklungen fortzuschreiben sind wichtige Aufgaben. In diesem Zusammenhang verdienen gerade Lernprozesse eine deutlich höhere Aufmerksamkeit als bisher. Ohne systematisches miteinander und voneinander Lernen werden kommende Herausforderungen nicht zu bewältigen sein. Aus dem aktuellen Umgang mit den Veränderungen muss gelernt werden. Hierbei sollte auch der Stellenwert langfristiger Beziehungen zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen thematisiert werden.
Auch wenn Sie kein Hellseher sind interessiert uns Ihre Einschätzung: Welche Unternehmen beziehungsweise Branchen werden aus Ihrer Sicht am meisten profitieren, wenn die Krise wieder vorbei ist und so etwas wie “Normalität” einkehrt? Warum gerade die von Ihnen genannten?
Meine Antwort beziehe ich weniger auf Branchen und konkrete Firmen, sondern verweise auf die Unternehmen, denen es gelingt, gerade jetzt zu lernen und ihre Zusammenarbeit neu auszurichten. Das Lernen umfasst dabei zum Einen die gezielte Nutzung von digitalen Hilfsmitteln für Führung und Zusammenarbeit aber zum Anderen auch, wie es gelingt, den Mitarbeitenden Vertrauen, Wertschätzung und Zusammenhalt zu vermitteln. Mitarbeitende werden ihre im Zusammenhang mit der derzeitigen Situation gemachten Erfahrungen bestimmt nicht schnell vergessen. Das von mir erwähnte Lernen wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen und ein - wenn nicht sogar DER - kritische(r) Erfolgsfaktor für viele Unternehmen sein.
Was ist aus Ihrer Sicht darüber hinaus noch wichtig zu wissen für unsere Leser?
In vielen meiner Statements geht es mir um eine nachhaltige Sensibilisierung der Personaler für neue Arbeitsweisen und den zielgerichteten Einsatz digitaler HR-Werkzeuge. Hier ist jedoch künftig mehr Selbstreflexion und eine kluge Abschätzung der Risiken gefragt. Nicht zuletzt müssen auch die Fragen des Umgangs mit Populismus und Rassismus durch HR häufiger als bisher diskutiert werden. Für HR bedeutet dies insgesamt eine nachhaltigere Positionierung als glaubwürdiger Partner von Mitarbeitenden und Führungskräften. Diese Positionierung muss sich ständig an ethischen Standards messen lassen.
Es braucht immer einen konkreten Anlass für ein Innehalten und das Nachdenken. Deshalb auch an dieser Stelle ein herzlicher Dank an Staffboard für die Aufforderung zu diesem Interview.
]]>Doch zurück zur Überschrift: Wie steht es um die Verbindungen zwischen Video-Tools wie Zoom und dem Vermitteln von Empathie? Es handelt sich um eine Verbindung, die ich derzeit täglich erlebe. Warum? Weil ich mich entschieden habe, den Großteil meiner Lehrveranstaltungen in Online-Präsenz anzubieten. Nur im Ausnahmefall greife ich auf Slidecasts zurück. Bei Online-Präsenz-Lehrveranstaltungen an einer HAW (früher FH) sollte es aus meiner Sicht in jedem Fall um Interaktion gehen, d.h. es geht um einen Beziehungsaufbau zwischen Studierenden und den Lehrenden. Dieser Kontakt mit den Studierenden und deren Feedback ist für den Erfolg der Lehrveranstaltungen unverzichtbar. Dies bestärkt mich in meiner Meinung, dass virtuelle Lehrveranstaltungen unbedingt interaktive Elemente aufweisen sollten. Voraussetzung dafür ist, dass ich die Teilnehmer der Lehrveranstaltungen auch sehe, was nach der Meinung einiger Studierender in den ersten Wochen des Semesters nicht ganz klar war. Hier hatte ich häufig das Erlebnis der "Generation unsichtbar" (Link zum Artikel in der Süddeutschen Zeitung). Mittlerweile ist hier so etwas wie eine Sichtbarkeits-Routine entstanden, denn insbesondere in den Schwerpunktmodulen ist es normal, die Kamera anzuschalten. In anderen Modulen stellen die "Unsichtbaren" die Minderheit dar. Besonders erfreulich ist, dass es auch Gruppen gibt, die die vorhandenen Interaktionsmöglichkeiten nicht nur mit mir, sondern auch untereinander aktiv nutzen. So gibt es gegenseitig Feedback, Ermunterungen, Fragen werden gestellt und es kommt zu Diskussionen. Dies sollte sich auch in anderen Gruppen umsetzen lassen. Auch möchte ich künftig weitere Möglichkeiten für die virtuelle Interaktion anbieten.
Doch zurück zu dem hier referierten Post. Dieser ist ist in zweifacher Hinsicht interessant. Zum Einen wird mit diesem an die aktuelle Situation und die Diskussionen zum Umgang mit Rassismus und Diversität angeknüpft. Es gibt Empfehlungen, wie Manager in den USA auf die derzeitige Situation reagieren können. Dabei wird die Tatsache berücksichtigt, dass die digitalen Möglichkeiten die notwendigen Diskussionen und die Hilfsangebote nicht erleichtern. Führungskräften wird erklärt, wie sie auch virtuell Empathie zeigen können.
Zum Anderen beinhaltet der Post viele Anregungen und Erkenntnisse, die ich im Kontext der aktuell praktizierten digitalen Kommunikation für sehr wichtig halte. Der Aufbau und die Pflege von Beziehungen ist unter virtuellen Bedingungen ungleich schwerer als unter f2f-Bedingungen. Besonders augenfällig ist dies bei schwierigen Gesprächen. Es ist hier nicht möglich, jemanden in den Arm zu nehmen oder auch „Berührungen als Trost zu benutzen, wenn jemand emotional wird“. Aufgrund der aktuellen Situation sind nahezu alle Akteure massiv auf digitale Kommunikationsmittel angewiesen, um bestehende Beziehungen aufrecht zu erhalten und auch neue aufzubauen. Dabei ist offensichtlich, dass digital vermittelte Kommunikation stets ärmer als die konventionelle Kommunikation ist. Es fehlt der Blick auf die andere Person, deren Körpersprache und auch das Spiegeln von Emotionen ist eingeschränkt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Studie „What are you looking at? ‚Virtual‘ communication in the age of social distancing“ der Atlantic University Florida. In dieser Studie mit 173 Teilnehmern wurde festgestellt, dass unter digitalen Bedingungen auch der visuelle Kontakt beeinträchtigt wird. Es wurde analysiert, worauf Menschen ihre Aufmerksamkeit bei digitaler Kommunikation richten. Sind es die Augen, ist es der Mund oder das ganze Gesicht? Und wie kodieren sie Gespräche? Dabei wurde festgestellt, dass sich die Menschen, wenn sie glauben, dass die betreffende Person sie anschaut, weniger auf den Mund des Sprechers fokussieren, sondern mehr auf das ganze Gesicht. Aus Sicht von Leigh Thompson (Professorin an der Kellogg School of Management und Spezialistin für Verhandeln – auch unter virtuellen Bedingungen) bringt dies unangenehme Interaktionen mit sich. Tonfall und Rhythmus der Gespräche können durcheinander geraten.
Dies muss jedoch nicht so sein. Die Kommunikation sollte unbedingt umfassender vorbereitet werden, um bei Tonfall, Tempo und Wortwahl so viel Emotion und Verständnis wie möglich zu zeigen. Thompson empfiehlt hier mehr Pronomen wie „wir“, „uns“, „unser“ zu benutzen und weniger auf Pronomen wie „ich“ und „mein“ zurückzugreifen. Dadurch kann auch bei digitaler Kommunikation Empathie signalisiert werden. Auch unter digitalen Bedingungen ist das Zuhören entscheidend, um Empathie zu signalisieren. Führungskräfte sollten fähig sein, die Gefühle anderer zu erkennen, aufmerksam zuzuhören, um die Perspektiven anderer zu verstehen. Aufgrund der Grenzen digitaler Kommunikation ist es entscheidend, das aktive Zuhören zu üben. Auf diese Weise kann signalisiert werden, dass die Gefühle anerkannt und verstanden werden und dass sich die Führungskräfte Zeit nehmen, sich zu öffnen oder in einen Dialog einzutreten. Tapia (Senior Client Partner bei Korn Ferry) beschreibt Zoom in diesem Zusammenhang (als) "ein großartiges Hilfsmittel, aber es muss situationsgerecht eingesetzt werden – und zwar angemessen“.
]]>Peter: Schön, dass es mit diesem Gespräch klappt und ich komme auch umgehend zur ersten Frage. Wie derzeit oft thematisiert, scheint die aktuelle Situation einen Boost hinsichtlich der Digitalisierung des Recruitings mit sich zu bringen. Könntest Du dies etwas näher erläutern?
Christoph: Hallo Peter, danke für die Frage. Wir haben ja schon eine seit Jahren laufende Digitalisierung im Recruiting und im HR allgemein. Oft aber eher schleppend im Tempo. Die Situation durch die Coronakrise und die damit einhergehenden Maßnahmen wie Social Distancing usw. hat aber nun sehr eindringlich klar gemacht, wie wertvoll vollständig digitalisierte Prozesse sind. Das beste Beispiel sind die massenhaft nun zum Einsatz kommenden Life-Video-Interviews. Daher glaube ich, dass Unternehmen, welche weiter rekrutieren, die Digitalisierung nun deutlich ambitionierter angehen werden.
Peter: Die Ergebnisse der Studie verweisen jedoch auch auf schrumpfende Recruiting-Budgets und auf mögliche Jobverluste bei Recruitern. Haben Dich diese Ergebnisse erstaunt?
Christoph: Ja und nein. Ja, weil aus den Daten hervorgeht, dass sich knapp 40% der Recruiter Sorgen um ihre Jobs machen. Das ist schon heftig und mehr als ich erwartet hatte. Nein, wenn es um die in vielen Fällen reduzierten Recruiting-Budgets geht. Das ist eine typische Krisenreaktion. Allerdings liegt hier auch ein Grund für die Arbeitgeber weiter zu Digitalisieren: Wenn man im Recruiting mit weniger Geld auskommen muss, ist es noch wichtiger treffsicher zu agieren. Dabei helfen digitale Prozesse und Tools.
Peter: Offensichtlich sind die Auswirkungen im Recruiting bei KMUs gravierender als in den Großunternehmen. Dies dürfte bei einer Verbesserung der Situation nicht schnell aufzuholen sein. Warum verhalten sich gerade die „beweglicheren“ Unternehmen nicht antizyklischer?
Christoph: Ich kann hier nur Vermutungen anstellen. In der Tendenz haben kleinere Unternehmen dünnere Kapitaldecken und sind häufig einfach schneller in einer bedrohlichen Lage als größere Unternehmen. Da bleibt dann vermutlich bei manchen einfach nichts mehr übrig, um antizyklisch agieren zu können, obwohl sie von den Strukturen hier beweglicher wären…
Peter: Auch auf Bewerberseite gab es Veränderungen. Die Ergebnisse verweisen auf eine Zurückhaltung bei Bewerbern. Hast Du Erklärungen für die Unterschiede zwischen den Branchen und den Jobprofilen?
Christoph: Was die Branchen angeht liegt das aus meiner Sicht weitgehend auf der Hand. Kaum jemand bewirbt sich bei Arbeitgebern mit sehr ungewisser Zukunft. Daher sind die Bewerbungen in der Gastronomie oder in bestimmten Bereichen des Handels natürlich massiv rückläufig. Viele dieser Arbeitgeber haben zudem das Recruiting nachvollziehbar vorerst eingestellt. Bei den Jobprofilen sieht es ein wenig anders aus: Besonders rückläufig waren Bewerbungen von IT- und Vertriebsprofis, sowie von Ingenieurs-Profilen. Hier vermute ich, dass die Wechselbereitschaft bei diesen besonders gefragten Profilen besonders nachgelassen hat. Diejenigen wissen vermutlich, dass sie tendenziell auch in der Krise gefragt bleiben und beobachten lieber erstmal wie alles weitergeht.
Peter: Interessant ist auch die Feststellung, dass die Arbeitgeber ihre Recruitingaktivitäten nur bedingt effektiv reduzieren. Dies verweist auf einen undifferenzierten Blick auf das Recruiting und hat bestimmt auch Auswirkungen auf die längerfristigen Beziehungen zwischen Talenten und Unternehmen.
Christoph: Ja, in Teilen ist das sicher so. Einige Arbeitgeber reduzieren offenbar allerhand Recruitingmaßnahmen, ohne die Wirkungsgrade klar zu hinterfragen. Wo einfach alles um z.B. 50% reduziert wird, trifft das dann natürlich auch Maßnahmen, die oft besonders effektiv waren und besonders gut Bewerbungen generiert haben. Allerdings ist das zum Glück nicht überall so. Einer der i.d.R. effizientesten Recruitingkanäle, nämlich die Mitarbeiterempfehlungsprogramme, werden am wenigsten reduziert.
Peter: Diese Veränderungen im Recruiting werden bestimmt noch längere Zeit nachwirken. Gibt es hier Entwicklungen, die aus Deiner Sicht das Recruiting in der Zukunft insgesamt prägen werden?
Christoph: Unbedingt. Die Coronakrise hat einen großen gesellschaftlichen Impact und diese werden zu Veränderungen führen. In Teilen sieht man das schon. Wie zuvor erwähnt glaube ich, dass die Recruitingdigitalisierung einen Schub bekommen wird. Außerdem sagen die Zahlen unserer Studie, dass in nächster Zukunft das Thema Personalauswahl wieder wichtiger wird. Das hat m.M.n. zwei Gründe: Einerseits wird es absehbar wieder mehr Bewerber auf dem Markt geben, zumindest in einer Reihe Profile, andererseits werden die Recruiter mit schlankeren Budgets operieren müssen und da tut es doppelt weh eine Fehlauswahl zu treffen. Letztlich vermute ich auch noch, dass in den nächsten Monaten eine Reihe von Personalmarkting- und Employer Branding-Botschaften überarbeitet werden. Das Thema „Sicherheit“ wird eine Neubewertung erfahren, ebenso wie die Wertefrage insgesamt noch mehr Gewicht bekommen wird. Das merken wir nicht zuletzt an den in den letzten Wochen gestiegenen Anfragen für unser Tool, den Cultural Fit Evaluator.
Peter: Wie Dir bekannt ist, musste mein HR Innovation Day 2020 abgesagt werden. Ich plane als Alternative ein neues digitales Format den „HR Innovation Stream“ und würde mich freuen, wenn ich Dich dazu als ersten Partner und Ideengeber begrüßen könnte.
Christoph: Herzlich gern, Peter. Ich finde es wichtig, dass solche wertvollen Offline-Formate wie der HR Innovation Day vertretungsweise online stattfinden. Ein Online Innovation Stream wird die HR-Community sicher inspirieren. Selbstverständlich mache ich da mit und freue mich darauf.
Peter: Herzlichen Dank für diese Zusage und die interessanten Einblicke in das aktuelle und künftige Recruiting-Geschehen. Ich freue mich auf unser digitales Zusammentreffen beim HR Innovation Stream und natürlich auch auf ein f2f-Treffen – vielleicht beim nächsten HR BarCamp?
Christoph: Ja, ich wünsche mir auch, dass wir uns bald wieder persönlich treffen. Aber der HR Innovation Stream ist ein guter Anfang im Remote-Modus. Und das HR BarCamp haben wir in den Oktober verschoben. Jannis Tsalikis und ich sind guter Dinge, dass es stattfinden wird – natürlich mit Dir, Peter!
Mein Interviewpartner Christoph Athanas, ist Geschäftsführer der meta HR GmbH - einer Unternehmensberatung für Personalfragen, die sich auf Recruiting-Optimierung sowie auf die Themen Employer Branding/ Arbeitgeberattraktivität und Cultural Fit spezialisiert hat. Christoph ist Co-Autor der Studien „Candidate Experience“ (2014), „Candidate Journey“ (2017) und “Recruiter Experience” (2018). Er ist einer der zwei Gründerväter der bekannten HR BarCamps – einem innovativen, nicht-kommerziellen Veranstaltungsformat für HR Professionals.
Über HR-Trendthemen schreibt Christoph in seinem lesenswerten meta HR Blog.
In diesem Zusammenhang bin ich vor wenigen Tagen auf eine App gestoßen, die frischen Wind in die Vermittlung digitaler Fähigkeiten bringen kann. Nach einem ersten kurzen Test der Digital Fitness App bin ich auf den Anbieter - PwC - zugegangen und freue mich, dass ich heute an den Verantwortlichen, Herrn Rusbeh Hashemian, einige Fragen richten kann.
Wald: Glückwunsch zu dieser interessanten App. Ich freue mich sehr, dass Sie Zeit für dieses Interview gefunden haben.
Hashemian: Vielen Dank für die Einladung. Wir sind stolz darauf in dieser Zeit weltweit vielen Menschen ein bisschen Ablenkung zu schenken. Jeder der die Digital Fitness App nutzt, investiert damit spielerisch in das Wichtigste was er hat: seine digitale Zukunft.
Wald: Könnten Sie etwas zur Entstehungsgeschichte der Digital Fitness App sagen? Wie ist die Idee – auch zum Start mit einem Digitalen Assessment - entstanden?
Hashemian: Wie in jeder Branche, bringt Digitalisierung auch im Beratungs- und Wirtschaftsprüfungssektor viele Herausforderungen, aber auch enorme Chancen mit sich. PwC als eine der größten Professional Services Firmen der Welt hat dabei früh erkannt, dass gezielte Weiterbildung der Schlüssel zum Erfolg ist. Mit Präsenzschulungen, dicken Wälzern oder selbst klassischen Webinaren ist es eben nicht getan. Um Führungskräfte von morgen weiterzubilden, müssen wir verstehen wann, wie und wo sie lernen wollen. Die Digital Fitness App ist also das Resultat einer nutzerzentrierten Produktentwicklung, um zunächst unsere eigenen Mitarbeiter, später die unserer Mandanten und nun jeden interessierten Privatnutzer aufzuschlauen. Als Gesamtfirma investieren wir deswegen drei Milliarden US-Dollar in das Thema Digital Upskilling, um die digitale Transformation für uns und unsere Mandanten nicht zu einem Massensterben von Arbeitsplätzen zu machen, sondern zu einer Möglichkeit sich als Arbeitgeber zukunftsträchtig aufzustellen. All dies beginnt zunächst mit einem Assessment, um herauszufinden, wie digital fit ein Unternehmen oder man selbst als Individualnutzer bereits ist. Die Lerninhalte richten sich dann am Kenntnisstand und den Interessengebieten aus.
Wald: An wen richtet sich die App?
Hashemian: An jede und jeden. Aus meiner Sicht gibt es keine Branche und keinen Bereich des Lebens, der nicht durch digitale Technologie oder Innovation verbessert, verändert oder zumindest beeinflusst wird. Die Digital Fitness App ist für viele Unternehmen dabei der erste Schritt auf einer langen digitalen Transformationsreise.
Wald: Eine wichtige Frage, die ich aber vorsichtig stellen möchte. Wie steht es um die digitale Fitness in den verschiedenen Ländern? Lassen sich hier Muster erkennen?
Hashemian: Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede, die sich zum Beispiel im Bereich der Offenheit für Neues widerspiegeln. Ich habe lange in New York gelebt und habe dort eine “Trial and Error”-Kultur kennengelernt, die ich mir manchmal auch hierzulande wünschen würde. Auch viele asiatische Länder innovieren was das Zeug hält, weil sie in digitalen Technologien zurecht ihren Wohlstandsmotor erkennen. Wenngleich Europa in der ersten Halbzeit der Digitalisierung in Rückstand geraten ist, so haben wir trotzdem dank unserer starken Industrie, der exzellenten Ausbildung und den politischen Rahmenbedingungen beste Voraussetzung das Spiel in der zweiten Hälfte noch zu drehen.
Wald: Die vorliegende App ist basiert auf einer englischsprachigen Version. Es ist interessant zu erfahren, wie die ursprüngliche App eingeführt wurde und welche Erfahrungen damit gesammelt wurden. Ich habe in diesem Zusammenhang von 153.000 Nutzern gelesen. Respekt!
Hashemian: Ich denke der Erfolg der App kommt daher, dass wir als Unternehmen nicht nur Anbieter der Lösung sind, sondern selbst auch Nutzer. Bevor wir die Digital Fitness App an den Markt gebracht haben, haben wir sie zunächst intern unseren 250.000 Mitarbeitern weltweit zur Verfügung gestellt und sie damit getestet. Die nutzerzentrierte Entwicklung und die Erfahrungen unserer eigenen Transformationsgeschichte - bei der uns die App wesentlich begleitet hat - sind für mich das Fundament dieses Erfolgs. Zur deutschen Sprachvariante sind wir schließlich erst durch Feedback unserer Mandanten und potentieller Kunden gekommen. Digitalisierung - so hörten wir des Öfteren - sei an sich schon fast überfordernd, dann sollten die Inhalte doch wenigstens in der Muttersprache vermittelt werden. Gesagt, getan: heute gibt es die App nicht mehr nur auf Englisch, sondern auch auf Deutsch.
Wald: Dies weist auf eine hohe Akzeptanz hin. Wie konnte diese erreicht werden? Gibt es konkrete Anwendungsszenarien?
Hashemian: Damit ist es eigentlich wie immer bei der Einführung von neuer Software in Unternehmen: Man darf es nicht einfach über den Zaun werfen. Die Hürden zum Start sind bei der Digital Fitness App zwar denkbar klein (Download im App Store und Registrieren), aber trotzdem ist die interne Unternehmenskommunikation das A und O. Spielerische Anreize und Führungskräfte, die als Vorreiter voran gehen, helfen ungemein, um hohe Nutzungszahlen zu erreichen.
Wald: Mit dem Blick auf die vorliegenden Erfahrungen: Gibt es hier ggf. Dinge, die Sie in Deutschland anders machen werden?
Hashemian: Wir sind in Deutschland nun schon einige Zeit aktiv. Im Vergleich mit anderen Ländern ist hierzulande besonders wichtig, auch den Betriebsrat früh in die Angelegenheit mit einzubinden. Ansonsten lassen wir das Produkt am liebsten für sich selbst sprechen. Hin und wieder müssen wir dank des zweideutigen Namens übrigens noch Aufklärungsarbeit leisten, dass sich die App nicht um den Aufbau von Muskeln dreht, sondern um den Aufbau von Digitalkompetenz.
Wald: Ein Blick auf die Nutzergruppen: Gibt es hier die oft zitierten Unterschiede zwischen den Generationen?
Hashemian: Das erheben wir aus Datenschutzgründen nicht genau, aber davon ist schon auszugehen. Für unsere Mandanten ist ohnehin spannender zu sehen, in welchen Bereichen ein digitaler Mindset ausgeprägt ist, in welcher Abteilung wenig digitale Kompetenz vorhanden ist oder in welchen Business Units bereits digitale Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden. All dies kann erhoben werden und bietet für Manager spannende Einblicke in das Innenleben ihrer digitalen - oder noch nicht so digitalen - Organisation.
Wald: Offensichtlich setzen Sie bei der Nutzung auf Unternehmen? Gibt es auch Überlegungen hier stärker auf Privatnutzer oder auch die Nutzung im Kontext der Ausbildung z. b. an Hochschulen zu setzen?
Hashemian: Das liegt daran, dass wir traditionell im B2B-Bereich tätig sind. Trotzdem gibt es bereits auch Organisationen im Bildungsbereich und im öffentlichen Sektor, die die App nutzen. Wir sind da offen für alle Seiten und freuen uns über jede Schule und Hochschule, die ihren Schülern und Studenten die App zugänglich machen möchte. In den USA haben wir sogar ein umfangreiches Programm zur Weiterbildung von Lehrkräften geschaffen - das wäre in Deutschland sicher auch nicht verkehrt.
Wald: Falls sich die Erfolgsgeschichte in Deutschland fortsetzt – gibt es Pläne was weitere Angebote zur digitalen Fitness angeht?
Hashemian: Auf jeden Fall! Stillstand ist Rückschritt - deshalb arbeiten wir bereits an einer Weiterentwicklung der App, die besonders für Unternehmen noch größere Flexibilität bringen soll. So entwickeln wir derzeit eine übergeordnete Plattform, die beispielsweise noch stärker auf spezifische Fachthemen zugeschnitten werden kann, eine Integration in herkömmliche Learning Management Systeme (LMS) erlaubt und zudem soziale Interaktion zwischen den Nutzern fördern soll.
Wald: Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche Ihnen und der Digital Fitness App viel Erfolg!
Hashemian: Ich bedanke mich - für das Interview und für Ihre Initiativen zur Digitalisierung im HR-Bereich. Alles Gute!
Mein Gesprächspartner Rusbeh Hashemian ist Chef von PwC New Ventures Europe und hat an der Technischen Universität Berlin und der UC Berkeley studiert. Seit 2007 ist er für die Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC tätig.
Wald: Lieber Herr Dr. Seegers, wieder einmal habe ich Sie für ein Gespräch gewinnen können, diesmal zusammen mit Larissa Fuchs von der Universität zu Köln. Liebe Frau Fuchs, auch Ihnen herzlichen Dank bereits vorab dafür.
Fuchs: Lieber Herr Prof. Wald, es freut mich Sie kennenzulernen.
Seegers: Immer wieder sehr gerne.
Wald: Ihrem Beitrag beim genannten Online-Event haben Sie einige interessante Zitate vorangestellt, die ich hier gern wiedergeben und ergänzen möchte: „81 Prozent der Recruiter halten KI für zukunftsweisend, haben selbst jedoch mehrheitlich (57 Prozent) kein oder nur geringes Wissen darüber“ (Hennemann/Schlegel/Hülskötter, 2018). „Lediglich ein Viertel der Personaler gibt an, über ausreichend Wissen zu den Einsatzmöglichkeiten und Funktionsweisen von KI und Algorithmen zu verfügen“ (Jäger/Meurer, 2018). Hinzu kommen aktuelle Zahlen aus einer der bekannten Monster/HRIS-Studien (Weitzel et al. 2020). Hier ist erkennbar, dass bereits 9,4 % der befragten Unternehmen digitale Auswahlsysteme nutzen und 62,9 % der Unternehmen davon ausgehen, dass diese Systeme eine diskriminierungsärmere Bewerbervorauswahl fördern.
Seegers: Natürlich sollte HR auf der einen Seite mehr von der Technik verstehen, auf der anderen Seite muss aber auch die Technik besser werden. Bei CASE geben wir uns große Mühe, dass wir unsere Algorithmen transparent erklären und sauber validieren. Dazu gehört natürlich nicht nur zu überprüfen, ob die Produktivität von Einstellungen steigt, sondern auch, ob diese fair und diskriminierungsfrei zustande gekommen sind. Ich bin davon überzeugt, dass Algorithmen grundsätzlich die Qualität von Einstellungsentscheidungen verbessern können und gleichzeitig Diskriminierung abbauen können. Dabei kommt es aber natürlich auf den Algorithmus an. Genau wie bei der Eignungsdiagnostik manche Verfahren berechtigterweise einen schlechten Ruf haben, gibt es auch Algorithmen, die einfach nicht funktionieren und nicht eingesetzt werden sollten. Und um hier unterscheiden zu können braucht HR natürlich ein gewisses Verständnis davon, was die Algorithmen eigentlich genau machen und wie man sie überprüfen kann.
Wald: Für mich drängt sich hier die Frage auf, wie künftig Wissen zur Funktionsweise dieser Systeme vermittelt werden kann. Und weiter gefragt: Wie können Personaler in die Lage versetzt werden, Einschätzungen zur Qualität der durch diese Systeme generierten Entscheidungsvorschläge zu treffen? Gibt es hier so etwas wie Augenscheinvalidität oder bestimmte Regeln, die Personaler berücksichtigen sollten?
Fuchs: Ich glaube wir müssen hier zwischen zwei Dingen unterscheiden: (1) Trifft der Algorithmus effiziente Entscheidungen, also werden produktivere Kandidierende ausgewählt und (2) trifft der Algorithmus sozial vertretbare Entscheidungen, wird also fair und diskriminierungsfrei selektiert. Unternehmen sollen natürlich marktwirtschaftlich gute Entscheidungen treffen, aber der Ausschluss bestimmter Personengruppen wirkt sich negativ auf die Produktivität aus – auch wenn man das nicht immer so leicht messen kann. Die Beförderungspraxis in Deutschland zum Beispiel suggeriert fälschlicherweise oft, dass Männer produktiver wären als Frauen. Genau aus diesem Grund brauchen wir für die verschiedenen Konzepte eigene Metriken. Diese sind aber für Algorithmen gar nicht unbedingt anders als für klassische Auswahlverfahren. Man sollte sich angucken, welche Auswahlverfahren die spätere Produktivität gut voraussagen können (prädiktive Validität), ob diese Auswahlverfahren geschlechts- oder herkunftsneutral sind und ob mögliche Abweichungen hiervon zu Lasten bestimmter Gruppen gehen. Mit unserem FAIR Index haben wir hier eine einfache Metrik geschaffen.
Wald: Was sollte in Zukunft getan werden, um hier für mehr Verständnis bzw. mittelfristig für einen gezielten Ausbau der entsprechenden Kompetenzen der Personaler zu sorgen?
Seegers: Ich würde hier auch die Anbieter in die Pflicht nehmen, ihre Algorithmen zu erklären. HR sollte offen für diese Technik und für solche Gespräche sein – der Aufbau der Kompetenzen ergibt sich dann mit der Zeit von selbst. Darüber hinaus kann der beste Experte einen Algorithmus nicht ohne Datengrundlage überprüfen. Deswegen gilt, HR sollte bereit sein, verantwortungsvoll Daten zu sammeln und zu analysieren. Datengetriebene HR-Arbeit findet viel zu selten statt, obwohl dies auch im Interesse von HR wäre, um den Mehrwert der eigenen Arbeit zu unterstreichen.
Fuchs: Unternehmensdaten sind natürlich auch für die Forschung interessant und wir, als Wissenschaftlerinnen, helfen im Gegenzug auch gerne bei dem richtigen Aufbau von Stichproben und der Analyse. Gute Daten zur Produktivität von Mitarbeitern sind in der Forschung rar, obwohl hier riesige Potenziale stecken. Natürlich muss man sich dann auch über Dinge wie Datenschutz und Publikationsrecht unterhalten, aber das sind absolut lösbare Fragestellungen, die viel zu häufig die Rolle eines „Todschlagargumentes“ einnehmen.
Wald: Mit Ihrem Projekt FAIR setzen Sie ja genau an diesen Punkten an. Können Sie die Zielstellung und die gewählte Vorgehensweise dieses Projektes etwas näher erläutern?
Fuchs: Das FAIR Projekt hat das Ziel, faire und diskriminierungsfreie Algorithmen zu entwickeln, mit deren Hilfe Lebenslaufinformationen wie Bildung oder Arbeitserfahrung bewertet werden können. Zu diesem Zweck arbeitet unser Lehrstuhl von Professorin Pia Pinger an der Universität zu Köln mit CASE zusammen. Darüber hinaus beteiligen sich die Deutsche Telekom, Simon-Kucher & Partners, Studitemps und Viega als assoziierte Partner an dem Projekt. Gefördert wird das Vorhaben durch das Land NRW und die Europäische Union. Durchführungszeitraum ist Januar 2020 bis Dezember 2021.
Seegers: Es handelt sich bei FAIR um ein praktisch angelegtes Projekt. Es soll nicht theoretisch ergründet werden, was mögliche Probleme und Vorteile von Algorithmen sind, sondern es sollen Kontextdaten gesammelt und Algorithmen entwickelt werden. Bei den vielen Beiträgen und Leitlinien zu Algorithmen kommt meiner Meinung nach die praktische Anwendung und die konkrete, gerne kritische, Auseinandersetzung zu kurz. Das ist nicht so öffentlichkeitswirksam und deutlich zeitaufwendiger, aber durch die großzügige Förderung haben wir jetzt die Möglichkeit zu entwickeln, zu evaluieren und zu optimieren. Anschließend verstehen wir besser was funktioniert und was nicht und leisten somit einen konkreten Beitrag.
Wald: Dies klingt sehr interessant. Ich wünsche Ihnen viele Erfolge bei diesem und den anderen Projekten von CASE!
Fuchs: Vielen Dank für das Gespräch. Sollten einige Ihrer Leser Fragen haben oder gerne bestimmte Verfahren wie den FAIR Index ausprobieren wollen, freuen wir uns natürlich über eine Kontaktaufnahme.
Seegers: Vielen Dank, lieber Herr Prof. Wald.
CASE ist eine Ausgründung der Universität Bonn, welche sich mit der Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen auf Basis großer Datensätze und wissenschaftliche Methoden befasst. Die Entwicklung des CASE Algorithmus wurde durch das Bundeswirtschaftsministerium gefördert und durch die Europäische Union prämiert. Im Rahmen von Studien konnte gezeigt werden, dass der CASE Score im Gegensatz zu absoluten Noten die im Studium erbrachte Leistung messen kann und hierdurch valide Vorhersagen zu der zukünftigen Arbeitsleistung treffen kann. Mehr Informationen unter www.candidate-select.de
Wald:Lieber Herr Dr. Kolb, ich freue mich, dass ich Sie für dieses Gespräch gewinnen konnte und Sie zu den angeteaserten Themen befragen darf.
Kolb: Gerne, die Freude ist ganz meinerseits!
Wald: Wie sieht es derzeit bei Ihnen aus? Ruht die Beratertätigkeit oder anders gefragt: Wie gehen Sie als Berater mit Social Distancing um?
Kolb: Wir sind ein Beratungsunternehmen, das eigentlich vom persönlichen Kontakt lebt. Wir sind spezialisiert auf die Themen HR und Organisationsentwicklung und stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Demzufolge erfolgt ein Großteil unserer Mandate eigentlich direkt beim Kunden bei persönlichem Kontakt. Wir haben im März daher frühzeitig umgestellt, um über moderne Video-Conferencing- und Kollaborations-Tools Kundenprojekte weiterhin durchführen zu können. All unsere Mitarbeiter:innen arbeiten gerade aus dem Home-Office.Inzwischen können wir Trainings, Workshops, Assessments und Beratungsprojekte auch komplett online aus der Ferne durchführen. Zudem werden wir noch im Frühjahr als erste HR Beratung in Deutschland individuelle, adaptive e-Learning-Kurse mittels modernster KI-basierter Technologie im Portfolio haben.
Wald: Daraus ergibt sich, dass Sie nach wie vor mit vielen Ihrer Kunden im Gespräch sind. Wie sieht es bei diesen Personalern aus? Vor welchen aktuellen Herausforderungen stehen diese?
Kolb: Personaler waren in den letzten Wochen im „absoluten Feuerlöschmodus“: Produktionsstopps, Umsetzung von Sicherheitsvorkehrungen, Kurzfristiger Wegfall von Arbeitskräften aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, die Umsetzung von großflächigem Home-Office, Kurzarbeit – nur um ein paar Themen zu nennen. Viele Unternehmen sind immer noch im „Ausnahmezustand“. Bei anderen pendelt sich langsam eine Art „stabiler Krisenbetrieb“ ein.
Wald: Wie gehen diese Unternehmen bzw. die Personaler mit diesen Herausforderungen um?
Kolb: Es war hier und da in der Tat chaotisch. Dies ist jedoch auch der Tatsache geschuldet, dass die Lage sich so schnell zugespitzt hat. Wer hätte Anfang März gedacht, dass wir schon in der zweiten März-Hälfte flächige Ausgangssperren haben werden? Die Krise hat die meisten Unternehmen schlicht „überrollt“.
Wald: Sind hier vielleicht bereits bei einigen der Krisenbewältigungs-Handlungen Muster erkennbar? Oder bleibt es bei den sehr spezifischen Lösungen?
Kolb: Die Lösungen hängen stark von verschiedenen Parametern ab: Wie stark ist das Unternehmen wirtschaftlich von der Krise betroffen? Besteht ein Personalmangel aufgrund von Betreuungsaufgaben oder der Grenzschließungen bei grenznahen Betrieben? Sind Corona-Fälle im Unternehmen aufgetreten? Was jedoch überall ein ganz klares Muster ist, ist die raketenweise Ausbreitung von Home-Office. Das wäre noch vor ein paar Wochen in vielen Unternehmen undenkbar gewesen!
Wald: Was meinen Sie, können sich aus den gegenwärtigen Erfahrungen auch neue Lösungen für die Zukunft ergeben? Lassen sich vielleicht auch gewisse „Beschleuniger“ für die Lösung von HR-Fragen erkennen? Oder wird in einigen Wochen doch schnell wieder auf Normalbetrieb umgeschaltet?
Kolb: Meines Erachtens wird die Corona-Krise die Wirtschaft und die Arbeitswelt nachhaltig verändern. Die Wirtschaft wird sich in Zukunft mehr Gedanken über die Fragilität von internationalen Lieferketten machen. Und zweifelsohne wird der Trend zu Home Office sowie zu digitalem und vernetztem Arbeiten nachhaltig beschleunigt. Virtuelle Teamarbeit war vor der Krise nur Gegenstand von multinationalen Konzernen, die Mitarbeiter in verschiedenen Ländern/Zeitzonen beschäftigten. Nun entstanden plötzlich da virtuelle Teams, wo man vor der Krise Bürotisch an Bürotisch arbeitete.
Wald: Sie haben breiten Einblick in die HR-Praxis. Was können Sie Personalern als wichtige Erfahrung mit auf den Weg geben?
Kolb: Ich erlebe es aktuell häufig, dass die Orientierungslosigkeit bei virtuell zusammenarbeitenden Führungskräften und Mitarbeitern steigt. HR sollte hier unterstützen, gemeinsam Regeln für die virtuelle Zusammenarbeit zu erarbeiten, Führungskräfte in der virtuellen Führungsaufgabe befähigen und darauf achten, dass sich zwischen vor Ort und Remote arbeitenden Mitarbeitern keine „Gräben bilden“, Stichwort: Warum muss ich weiterhin vor Ort sein, während XYZ aus dem Home Office arbeiten darf? Darüber hinaus veranschaulicht die jetzige Situation ausdrücklich, wie wenig planbar die VUCA-Welt geworden ist. Als Unternehmen wird es in Zukunft entscheidender denn je sein, eigenständig denkende, motivierte und kreative Mitarbeiter zu haben. Denn das ist in Zeiten rapiden Wandels der einzige Garant für nachhaltigen Unternehmenserfolg. Dies wird vielerorts eine Anpassung der Arbeitsorganisation, die aktive Gestaltung der Unternehmenskultur und die Etablierung eines mitarbeiterzentrierten Führungsverständnisses erfordern. Diesen Wandel jetzt zu begleiten birgt für HR aber die einmalige Chance, einen großen Schritt in Richtung einer gestalterisch und strategisch orientierten Personalarbeit zu machen! Von daher: blickt nach vorne und seid mutig!
Wald: Lieber Herr Dr. Kolb, ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin viel Erfolg!
Kolb: Vielen Dank, lieber Herr Wald, machen Sie weiter so und bleiben Sie gesund!
Mein Gesprächspartner Dr. Peter Markus Kolb ist Geschäftsführer des Centers of HR Excellence der EXPERTS & TALENTS Unternehmensgruppe. Nach seinem Studium der Wirtschaftspsychologie und Promotion mit Schwerpunkt Personal und Organisation hat er sowohl Erfahrung in der HR Beratung als auch der unternehmensinternen Personalarbeit gesammelt. Das Center of HR Excellence berät als Business Partner für HR und Organisationsentwicklung Kunden aus allen Branchen zu sämtlichen Fragestellungen einer exzellenten und modernen Personalarbeit.
]]>Über Arbeitgeberrankings und ihre Qualität wird häufig diskutiert. Sie sind auch ein beliebtes Thema für Abschluss- und Hausarbeiten meiner Studierenden. Es gibt derzeit eine nahezu unüberschaubare Anzahl dieser Rankings, die mehr oder weniger sinnvolle Ergebnisse bringen und über deren Akzeptanz sich trefflich streiten lässt. Mit den "Students' Choice Awards" liegt ein neues Ranking vor, das jedoch sofort meine Aufmerksamkeit hatte, weil ich den Autor, Herrn Dr. Philipp Seegers, gut kenne und seine Arbeit sehr schätze. Herr Dr. Seegers ist einer der Gründer von candidate select (kurz CASE) und hat den HR Innovation Day 2017 mit einem exzellenten Workshop bereichert. Unmittelbar nachdem ich von den Students‘ Choice Awards erfahren habe, habe ich Kontakt mit ihm aufgenommen und freue mich sehr, dass ich ihn heute dazu befragen kann.
Wald: Lieber Herr Dr. Seegers, schön, dass sich unsere Wege wieder einmal kreuzen und dass ich Sie zu Ihrem neuen Baby – einem Arbeitgeberranking mit dem Titel "Students' Choice Awards" befragen darf.
Seegers: Lieber Herr Prof. Wald, vielen Dank für die Möglichkeit, mit Ihnen darüber zu sprechen. Das Baby ist in dieser Hinsicht aber eher die Studienreihe „Fachkraft 2030“ und, da wir diese zusammen mit Studitemps bereits seit 2012 durchführen, inzwischen auch schon acht Jahre alt. Im Rahmen dieser Studienreihe konnten wir schon über 300.000 Studierende deutschlandweit befragen und auf dieser repräsentativen Stichprobe bauen jetzt auch die Students‘ Choice Awards auf.
Wald: Eine Frage drängt sich mir auf: Bei der Vielzahl der vorhandenen Arbeitgeberrankings braucht es wirklich noch ein weiteres Ranking? Oder anders gefragt, was macht Ihre "Students‘ Choice Awards" einzigartig?
Seegers: Sie haben vollkommen recht, es gibt wirklich schon einige Arbeitgeberrankings. Dennoch sind die Students‘ Choice Awards aus zwei Gründen einzigartig. Zum einen nutzen wir eine andere Methodik, um besser zwischen der Attraktivität und der Bekanntheit von Arbeitgebern unterscheiden zu können. Zum anderen ist unsere Stichprobe in Deutschland einzigartig und die Studierenden haben es auch bei diesem Thema verdient, eine Stimme zu bekommen.
Wald: Können Sie dies den Leser*innen etwas näher erläutern.
Seegers: Die häufigste Frage bei empirischen Arbeitgeberrankings ist die nach dem Wunscharbeitgeber. Neben der Tatsache, dass die wenigsten Studierenden im Anschluss an das Studium bei ihrem Wunscharbeitgeber arbeiten werden, misst man mit dieser Art Fragestellung gleichzeitig Bekanntheit und Attraktivität. Und, man kann nicht zwischen diesen beiden Faktoren unterscheiden. Mit den Students‘ Choice Awards wollen wir aber Attraktivität und nicht Bekanntheit auszeichnen und müssen deswegen zwischen diesen beiden Faktoren unterscheiden können. Das erreichen wir, indem wir den Studierenden zufällig ausgewählte Arbeitgeber anzeigen und sie hierzu befragen.
Wald: Wenn Sie den Studierenden zufällig ausgewählte Arbeitgeber anzeigen, wie schließen Sie die Gefahr aus, dass es bei der Auswahl zu Fehlern kommt. Liegt in dieser Auswahl nicht die Gefahr, dass wie so oft die „Hidden Champions“ nicht berücksichtigt werden? Was passiert, wenn Studierende die genannten Arbeitgeber nicht kennen und sich deshalb auch nicht vorstellen können, für diese zu arbeiten. Es dürfte in diesem Fall den Studierenden auch schwerfallen, die betreffenden Arbeitgeber hinsichtlich Karrierechancen, Chancengleichheit, Nachhaltigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Innovationskraft zu bewerten.
Seegers: Wir haben die Vorauswahl, welche Unternehmen wir abfragen, im Rahmen der vorherigen Erhebungswelle durch die Studierenden treffen lassen. Und, wir befragen Studierende natürlich nur zu Unternehmen, die diese auch kennen. Aber genau darin liegt das von Ihnen angesprochene Problem. Selbst mit einer wirklich großen Studienreihe wie der „Fachkraft 2030“ kommt man bei einigen „Hidden Champions“ dann schon nicht mehr auf eine aussagekräftige Stichprobe. Und das bedeutet, dass selbst, wenn wir den Blick lediglich auf Attraktivität richten wollen, wir leider manche Unternehmen mit „zu niedriger“ Bekanntheit aufgrund von nicht ausreichend großen Stichproben ausschließen müssen. Trotzdem treibt uns aber auch gerade das Thema „Hidden Champions“ sehr um. Genau aus diesem Grund haben wir dazu vor gut einem Jahr ein Whitepaper veröffentlicht. Interessierte Leser finden dies hier
Wald: Welche Themen beeinflussen die Attraktivität von Arbeitgebern?
Seegers: Unser Fokus lag in dieser Befragungsrunde darauf, methodisch sauber zu erheben, welche Arbeitgeber wie attraktiv sind. Leider darf ich aktuell die Preisträger noch nicht nennen, aber besonders im Anschluss an die Preisverleihung wird sich der Blick auf die ausgezeichneten Unternehmen lohnen, denn diese machen auf jeden Fall einiges richtig und davon können dann auch andere Unternehmen lernen. Welche Faktoren grundsätzlich Arbeitgeberattraktivität ausmachen, ist eine andere Frage, an der wir in der Vergangenheit bereits geforscht haben. Das Thema wird bei uns auch zukünftig eine große Rolle spielen.
Wald: Können Sie uns da ein paar konkrete Beispiele geben?
Seegers: Gerne, im Rahmen einer Vortragsreihe beschäftigen wir uns aktuell sehr stark mit den Erwartungen angehender Absolventen an den Arbeitsmarkt. Neben den klassischen Faktoren wie Gehalt und Arbeitszeit schauen wir dort auch auf weiche Faktoren wie Jobprofile, Nebenleistungen und Anforderungen an den Arbeitsplatz. Im April kommen wir auch nach Leipzig, daher gerne ein Tipp vorweg: Die Möglichkeit, sich im Job fortzubilden, ist bei Absolventen sehr beliebt. Wer dies nicht nur anbietet, sondern auch aktiv bewirbt, hat sicherlich gute Chance, nicht nur attraktiv zu sein, sondern so auch wahrgenommen zu werden.
Wald: Was bringt Studierenden ein Blick auf die Ergebnisse Ihres Rankings?
Seegers: Die Studierenden als Gruppe sind die Jury der Students‘ Choice Awards, die Zielgruppe sind die Unternehmen. Der Blick auf die Ergebnisse kann Studierenden aber dabei helfen, die eigene Wahrnehmung mit der von Mitstudierenden abzugleichen. Ob Studierende auf Basis der Students‘ Choice Awards ihre Karriereplanung anpassen sollten, würde ich aber in Frage stellen. Die ausgezeichneten Unternehmen sind zweifelsohne sehr attraktiv. Was für den Einzelnen aber der richtige Weg in den Arbeitsmarkt ist, ist eine individuelle Entscheidung. Da muss man dann seinen eigenen Weg suchen und finden.
Wald: Ja, und noch eine Frage von mir aus meiner Sicht als aktiver Twitterati. Warum ist Ihr Unternehmen seit einiger Zeit so aktiv auf Twitter?
Seegers: Wir haben mit CASE im letzten Jahr eine Finanzierungsrunde abschließen können und durch den Leitmarktwettbewerb IKT.NRW die Möglichkeit bekommen, eine Förderung des Landes NRW und der Europäischen Union zu erhalten. Hier setzen wir uns im Rahmen des Projektes „FAIR“ zusammen mit der Universität zu Köln, der Deutschen Telekom, Simon-Kucher & Partners, Studitemps und Viega mit der Entwicklung diskriminierungsfreier Recruiting-Algorithmen auseinander. Durch diese tollen Entwicklungen ist unser Team stark gewachsen und ich bin nicht mehr der Einzige, der unseren Twitter-Account bespielt. Jeder, der etwas zu sagen hat, darf bei uns twittern.
Wald: Lieber Herr Dr. Seegers, herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen und CASE weiterhin viele Erfolge.
Seegers: Vielen Dank, ich freue mich bereits auf das nächste Wiedersehen, vielleicht klappt es ja bei der Network Night in Leipzig.
Dr. Philipp Seegers forscht an der Maastricht University School of Business and Economics zu Arbeitsmarkt- und Bildungsthemen und ist Gründer sowie Managing Director der candidate select GmbH (kurz CASE) mit Sitz in Köln/Bonn. CASE hat es sich zum Ziel gesetzt akademische Abschlüsse mithilfe eines Algorithmus und großen Bildungsdatensätzen vergleichbar zu machen. Weitere Ergebnisse aus der „Fachkraft 2030“ Studienreihe stellt Herr Seegers im Rahmen einer Vortragsreihe auf den Studitemps Network Nights dar. Inhaltich geht es dabei vor allem um die Erwartungen junger Akademikerinnen und Akademiker an ihren Berufseinstieg. Am 27. April 2020 wird er dafür in Leipzig zu Gast sein. Anmeldungen zu diesem kostenfreien Event sind über diesen Link möglich.